"Da ist endlich ein alter Zopf abgeschnitten worden"

Peter Tobiassen im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 28.12.2010
Ab März 2011 werden nur noch Freiwillige ihren Wehrdienst antreten. Nach Meinung von Peter Tobiassen, Leiter der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerung, ist die Entscheidung für die Aussetzung des Wehrdienstes eine längst überfällige Antwort auf den "Mainstream."
Jan-Christoph Kitzler: Zwar heißt es, die Wehrpflicht wird im kommenden Jahr nur ausgesetzt, aber faktisch bedeutet das, wir müssen uns verabschieden zum Beispiel von Musterungsritualen, die Schulabgänger bisher über sich ergehen lassen müssen, aber auch mit dem Zivildienst ist es dann vorbei und damit auch mit dem Akt der Kriegsdienstverweigerung. Immer wenn es dabei Probleme gab, war die sogenannte Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer ein wichtiger Anlaufpunkt, aber auch das ist vorbei. Der Trägerverein hat die Auflösung zum 30. Juni 2011 beschlossen. Peter Tobiassen, der Leiter, wird damit praktisch arbeitslos. Mit ihm bin ich jetzt im niedersächsischen Bockhorn verbunden. Schönen guten Morgen!

Peter Tobiassen: Guten Morgen!

Kitzler: 53 Jahre gibt es die Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer – sind Sie jetzt eher stolz oder eher wehmütig, dass nun Schluss ist?

Tobiassen: Nein, wir sind stolz, dass nun Schluss ist, denn die Zentralstelle ist ja eine Hilfsorganisation gewesen für Leute, die durch die Wehrpflicht in Not gekommen sind, Kriegsdienstverweigerer, die eben ihre Gewissensentscheidung nicht durchsetzen konnten. Und die Ursache für die Einrichtung der Zentralstelle, nämlich die Einschränkung der Gewissensfreiheit der Kriegsdienstverweigerer, die Einschränkung eines Grundrechts, geht nun zu Ende, und das erfüllt uns natürlich mit Stolz, dass unsere Arbeit sich dadurch erledigt hat.

Kitzler: Stolz vielleicht auch ein bisschen, weil sich Ihre Argumente durchgesetzt haben am Ende?

Tobiassen: Ja – dass diese Debatte so schnell ging, hing natürlich damit zusammen, dass die Zentralstelle seit 20 Jahren, seit dem Ende des Kalten Krieges, immer wieder gesagt hat, wir können auf die Wehrpflicht verzichten, denn die Wehrpflicht ist ja ein Rekrutierungsinstrument, um schnell große Armeen aufstellen zu können. Wir können auf diese Wehrpflicht verzichten, weil all das, was vorgetragen wird, was für die Wehrpflicht angeblich spricht, nicht zutreffend ist. Und deshalb war es relativ einfach in diesem Sommer, gesellschaftlich einfach, dass es kein Aufbegehren gab, sondern eigentlich die Bevölkerung schon lange eingesehen hatte, wie auch die Bevölkerung in unseren Nachbarländern, wo die Wehrpflicht ja schon länger abgeschafft ist, dass wir diese Wehrpflicht nicht mehr brauchen.

Kitzler: Das heißt, Sie wundern sich auch gar nicht so sehr, dass ausgerechnet ein CSU-Verteidigungsminister die Abschaffung der Wehrpflicht faktisch durchgesetzt hat – er ist eigentlich in Ihren Augen nur auf einen fahrenden Zug aufgesprungen?

Tobiassen: Von dem Mainstream her kann man das mit Sicherheit so sagen. Die Entwicklung der Wehrpflicht letztlich hin zu sechs Monaten Dienstdauer, wo ja der Dienst nur noch Ausbildung bedeutete, dann aber nicht mal mehr Wehrübungen stattfanden – schon seit über zehn Jahren gibt es ja keine Wehrübungen mehr für Grundwehrdienstleistende –, das heißt, man hat nur ausgebildet und sie dann wieder entlassen im Wissen darum, auf diese Wehrpflichtigen werden wir auch im Verteidigungsfall nicht zugreifen. Das heißt, da ist einfach endlich ein alter Zopf abgeschnitten worden, der keine Funktion mehr hatte. Es ist so ein bisschen, als wenn man den Heizer auf der E-Lok abgeschafft hat.

Kitzler: Sie sind ja jetzt schon 32 Jahre Leiter der Zentralstelle. Noch in den 70er-Jahren, da galten Zivildienstleistende als Drückeberger oder Vaterlandsverräter – das sind Argumente, die heute eigentlich undenkbar sind. Ist der Zivildienst vielleicht ein besonders gutes Beispiel für gesellschaftlichen Wandel in der Bundesrepublik nach dem Krieg?

Tobiassen: Ja, und ich finde, das ist ein Indikator dafür, dass immer mehr Menschen mit militärischen Mitteln, mit militärischen Mitteln zur Konfliktlösung nichts mehr anfangen können. Wir haben ja zum Schluss die Situation gehabt, dass fast 50 Prozent der tauglich gemusterten Wehrpflichtigen verweigert haben. Das heißt, die haben alle gesagt, Militär ist nicht der richtige Weg, um Frieden zu sichern, da müssen andere Instrumente her. Und an dem Umgang mit den erst Ersatzdienstleistenden, dann ja später Zivildienst leistenden genannten jungen Männern kann man sehr gut ablesen, wie aus einer Außenseiterposition in der Gesellschaft eine Mehrheitsposition geworden ist. Und die Zustimmung oder Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr zeigt das ja auch ganz deutlich: Die Bevölkerung macht solche militärischen Konfliktlösungswege nicht mehr mit.

Kitzler: Wie sehen Sie eigentlich jetzt die Zukunft der Bundeswehr? Viele fürchten ja, dass das alte Ideal vom Bürger in Uniform ohne die Wehrpflichtigen in Gefahr ist – sehen Sie das auch so?

Tobiassen: Nein, das sehen wir nicht so, das ist eben einer der Punkte, den wir schon lange aufgearbeitet haben in Fachtagungen. Es gibt den Wehrbeauftragten, wir haben eine Parlamentsarmee und es gibt insbesondere auch Sie als Journalisten, die sehr genau darüber wachen, dass sich diese Bundeswehr demokratisch weiterentwickelt, demokratisch kontrolliert wird und dass die Soldaten nur das tun, was das Parlament beschließt. Und ob die Soldaten einen bestimmten Auftrag bekommen oder nicht, das liegt eben in unserer Hand als Wähler, dass wir die richtige Parlamentszusammensetzung wählen.

Kitzler: Noch ganz kurz: War der Beschluss, den Verein aufzulösen, eine eindeutige Sache, oder gab es vielleicht auch mal die Überlegung, sich neue Ziele zu suchen?

Tobiassen: Die Zentralstelle ist so konstruiert, dass sie sich keine neuen Ziele suchen kann, denn wir haben 26 Mitgliedsorganisationen, die nur zu dem Zwecke Gewissensfreiheit für Kriegsdienstverweigerer zusammengekommen sind, und da lässt sich nicht einfach eine neue Zielbestimmung finden. Ein paar Mitgliedsorganisationen überlegen noch, ob der Verein sozusagen auch ausgesetzt, also in Wartestellung gebracht werden soll, oder ob wir endgültig auflösen. Sicher ist, im Sommer nächsten Jahres wird die Geschäftsstelle aufgelöst.

Kitzler: Peter Tobiassen, der Leiter der Zentralstelle für Rechte und Schutz der Kriegsdienstverweigerer, vielen Dank und einen schönen Tag!

Tobiassen: Ebenso, danke!
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