"Da ist ein gemeinsames Motiv da"

Josef-Otto Freudenreich im Gespräch mit Jürgen König · 15.09.2010
Stuttgart 21 ist zu einer Metapher für die kaltschnäuzige Cliquenwirtschaft geworden, sagt Journalist Josef-Otto Freudenreich. Politik und Wirtschaft spielten sich bei dem Projekt in die Hände. Kriminelle Handlungen unterstellt er der "Spätzles-Connection" aber nicht.
Jürgen König: "Die Bahnhofsmafia" ist der Aufmacher der heutigen Ausgabe der "TAZ" überschrieben, Unterzeile: "Stuttgart 21 – wie acht ältere Männer dafür sorgten, dass die baden-württembergische Landeshauptstadt mit Milliardenaufwand unterkellert werden soll und was das mit Macht, Geld und Demokratie zu tun hat". Geschrieben hat den Artikel der Journalist Josef-Otto Freudenreich, dessen neues Buch übermorgen erscheinen wird: "Die Taschenspieler: Verraten und verkauft in Deutschland", auch in diesem Buch findet sich ein langer Essay über Stuttgart 21 beziehungsweise umgekehrt: Der Text in der "TAZ" ist eine Kurzform dieses Essays in diesem Buch "Die Taschenspieler". Guten Tag, Herr Freudenreich!

Josef-Otto Freudenreich: Ich grüße Sie, Herr König!

König: "Die Bahnhofsmafia" – das ist starker Tobak. Mafiosi sind Verbrecher. Waren, sind in Stuttgart Verbrecher am Werk?

Freudenreich: Also zunächst mal bin ich jetzt nicht für die Titelei der "TAZ" zuständig und verantwortlich. Wir sprechen hier in Stuttgart eher von der Maultaschen- oder von der Spätzles-Connection.

König: Also der Titel stammt nicht von Ihnen?

Freudenreich: Nein.

König: Das ist ja schon mal dann geklärt. Was haben denn die von Ihnen genannten acht älteren Männer dafür gesorgt, dass die baden-württembergische Landeshauptstadt unterkellert werden soll?

Freudenreich: Na ja, sie haben dafür gesorgt, dass über die vielen Jahre hinweg dieses Projekt, dieses Jahrhundertprojekt eingetütet worden ist, und sie haben über ihre Kontakte – wir reden auch gerne über die Verfilzung –, über ihre sehr große Nähe dafür gesorgt, dass dieses Projekt zustande gekommen ist. Ob es nun verwirklicht wird, das ist noch eine andere Frage.

König: Das ist eine andere Frage. Sie zitieren Erwin Teufel, früher Ministerpräsident, der von einer "Jahrhundertchance für Stuttgart" sprach, oder Sie zitieren Matthias Wissmann, damals Verkehrsminister, dem ein "Pilotprojekt für ganz Europa" vorschwärmte, oder auch Heinz Dürr, damals Bahnchef, wird genannt, der eine "völlig andere Stadt Stuttgart" vor sich sah. Das sind vielleicht Großphantasien oder auch Wunschträume, berechtigte oder nicht, aber es sind ja noch keine kriminellen Handlungen.

Freudenreich: Nein, also ich unterstelle den Protagonisten auch keineswegs, ... Ich werde den Teufel tun, denen kriminelle Handlungen zu unterstellen. Da ist ein gemeinsames Motiv da, das ist eigentlich jetzt zunächst eher mal auf der psychologischen Ebene angesiedelt. Das ist dieser unbedingte Glauben an den Fortschritt, an die Modernisierung, man könnte auch vom Technikwahn reden, und jetzt natürlich, je weiter dieses Projekt geht, von der Sorge, der großen Sorge, das Gesicht zu verlieren, weil man ja eben mal all dieses angestoßen und durchgekämpft hat und jetzt nicht so dastehen will, dass man sagen muss, oh Gott, oh Gott, tut uns leid, wir haben uns geirrt, wir machen das jetzt nicht.

König: Sie unterstellen keine kriminellen Handlungen, sagen Sie. In Ihrem Text steht zu lesen, Stuttgart 21 sei zu einer Metapher für die kaltschnäuzige Cliquenwirtschaft geworden. Sie nennen Martin Herrenknecht, Eigentümer der Herrenknecht AG, der weltgrößte Tunnelbohrer, wie Sie es nennen. Sie titulieren Herrenknecht als Kompagnon von Lothar Späth, auch einst Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und als Freund von Ex-Bahnchef Mehdorn. Da heißt es bei Ihnen, Zitat: "Mehdorn erzählt, der Martin" – also gemeint ist Martin Herrenknecht – "sei bei jeder Kanzlerreise mit ökonomischem Hintergrund dabei, er wisse eben, dass heute kein Großauftrag mehr ohne politische Vernetzung zu akquirieren sei." Und sie erwähnen, dass Herrenknecht gut bekannt sei mit Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier. Natürlich unterstellen Sie keine kriminellen Handlungen, aber der Eindruck entsteht natürlich, dass zum Beispiel Martin Herrenknecht Bestechungsgelder gezahlt haben könnte, um an Aufträge zu kommen im Rahmen von Stuttgart 21.

Freudenreich: Also die Personalie Herrenknecht ist in der Tat eine sehr interessante. In seinem Aufsichtsrat sitzt eben dieser Lothar Späth, der sitzt dem Aufsichtsrat auch vor, und Herrenknecht hat auch – aber auch dieses ist nicht kriminell, sondern völlig legal – der CDU eine Spende von 70.000 Euro zukommen lassen. Und wenn Sie dann noch wissen, dass Ministerpräsident Oettinger schon 2008 in der Regierungserklärung gesagt hat, Herrenknecht wird bohren, ohne dass Ausschreibungen vorliegen, dann können Sie sich vorstellen, wie dieses System – wir nennen das dann auch immer gerne ein geschlossenes System –, wie das funktioniert. Und das ist eben die Spätzles-Connection oder die Maultauschen-Connection, wir können es auch den Filz nennen.

König: Aber wer genau profitiert da von wem?

Freudenreich: Na, in diesem Falle ist es natürlich, wenn Sie denn zu bohren beginnen, die Firma Herrenknecht in Schwanau, profitiert natürlich dieses Unternehmen. Das wird ein Milliardenauftrag werden, weil hier ja mindestens 33 Kilometer Tunnel gebohrt werden müssen.

König: Und die Politiker profitieren davon, indem sie ihr Gesicht wahren und ihre Jahrhundertträume verwirklichen können?

Freudenreich: Ja klar. Ich würde keinem von denen unterstellen, dass da jetzt irgendwelche Geldbündel unter dem Tisch hin- und hergeschoben werden, sondern da geht es eben um den Erhalt dieses Systems, zu dem sie alle gehören.

König: Wo haben Sie recherchiert, wie sind Sie an Ihre Zahlen, an Ihre Erkenntnisse gekommen?

Freudenreich: Also das ist kein Kunststück heutzutage mehr, also der Heinz Dürr, der ja mal Bahnchef war, der sagte den für mich durchaus verblüffenden Satz, er hätte seinen Nach-Nach-Nachfolger, Rüdiger Grube, gesagt, sag doch einfach, was ist, weil in deinem Unternehmen bleibt eh nichts geheim. Das heißt, sie werden natürlich bemustert von Menschen, die gegen das Projekt sind, die durchaus Insider sind, die Sachkenntnisse haben. Also das ist nicht sonderlich schwierig hier, an sein entsprechendes Material zu kommen.

König: Aber sehen Sie nicht auch das Problem Ihres Textes, dass Sie zwar ein Beziehungsgeflecht nachzeichnen – das zu den unterschiedlichsten und blumigsten vielleicht auch Schlussfolgerungen Anlass gibt –, dass Sie aber, wie soll ich sagen, den Nachweis individuellen Fehlverhaltens schuldig bleiben? Oder ist das gar nicht Ziel gewesen?

Freudenreich: Nein, mein Anspruch war jetzt nicht, hier Korruption nachzuweisen anhand und persönlichen Verflechtungen in dem Sinne, wie ich es vorher gesagt habe, dass sich jemand daran irgendwie jetzt schon bereichert hätte. Wir müssen mal schauen, wie sich das weiterentwickelt, weil noch sind wir ja nicht in dem Stadium, in dem die Ausschreibungen tatsächlich laufen beziehungsweise auch umgesetzt sind. Da wird es dann natürlich spannender. Mir ging es einfach darum – und diese Arbeit mache ich ja nicht erst seit gestern –, wieder mal nachzuvollziehen, auch nachzuweisen, wie die herrschende Elite hier im Land, in der Stadt miteinander umgeht, welche Geschäfte sie miteinander macht, aber ohne jetzt hier ihnen zu unterstellen, dass sie hier kriminell handelten. Das wäre jetzt also ein weit überhöhter Anspruch.

König: Ich gestehe, dass mir dieser Gedanke schon kam, als ich das las, dass Sie sozusagen mehr andeuten als klar belegen, vielleicht auch, weil es schwer ist. Deswegen auch meine Frage nach der Herkunft der Quellen sozusagen, weil man letztlich ja nichts belegen kann. Sie sind so vorsichtig dabei, was ich sehr gut verstehen kann, aber ich las den, also jetzt nicht diesen "TAZ"-Artikel, sondern den Essay in dem Buch schon in dem Gefühl, dass Sie da auch sehr wütend sind und gerne auch etwas ändern möchten und schon irgendwie auch Ross und Reiter beim Namen nennen wollen, ohne es dann aber zu tun.

Freudenreich: Na ja, Sie müssen da natürlich auch aufpassen. Also Sie wissen, dass solche Texte ja nicht nur von Lesern, sondern auch von Anwälten gelesen werden.

König: In der Tat, ja.

Freudenreich: Und es ist heutzutage so, dass Sie, wenn Sie so journalistisch arbeiten, auf einem sehr schmalen juristischen Grat gehen. Also Sie haben sehr schnell eine Klage an der Backe, und da müssen Sie halt einfach aufpassen und gelegentlich auch zu Dingen schweigen oder sie so verklausulieren, dass sie nicht justiziabel sind. Also wir wollen ja auch mit dem Buch – das ich im Übrigen nicht alleine geschrieben habe, sondern da sind sehr verdienstvolle Kollegen dabei – wir wollen mit dem Buch ja auch nicht in eine Klagewelle reinlaufen. Das, glaube ich, wäre ein sehr, sehr großes finanzielles Risiko dann auch.

König: Ministerpräsident Mappus hat jetzt gesagt, man werde das Projekt Stuttgart 21 auf jeden Fall durchziehen. Auf die Frage, ob er das Risiko eingehen werde, die Landtagswahl zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 werden zu lassen, hat er rundheraus geantwortet: "Ja." Ist auch er Teil der von Ihnen gemeinten Clique?

Freudenreich: Ja, natürlich. Das ist die CDU hier in Baden-Württemberg, die seit 57 Jahren regiert, das kann gar nicht anders sein, als dass da ein Ministerpräsident, der Mappus ja nun mal ist, auch dazugehört.

König: Wie groß ist das Risiko, die Landtagswahl zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 werden zu lassen?

Freudenreich: Also ich glaube mal, dass der CDU ganz heftig, und damit natürlich auch ihrem Vorsitzenden Herrn Mappus, die Hosen flattern. Zumal: Die Hoffnung der Politik, also egal, ob das nun die CDU oder die SPD ist, die da ja im gleichen Boot sitzt, dass sich diese Proteste irgendwie jetzt dann mal verlaufen werden und dann Ruhe einkehren werde, also die halte ich für völlig unberechtigt.

König: Ja. Was glauben Sie, wird Stuttgart 21 gebaut?

Freudenreich: Hach, da bin ich unsicher. Also wenn das tatsächlich mit der Protestwelle so weitergeht und wenn sich in den nächsten Tagen – was man nie ausschließen kann – wieder mal erweisen sollte, dass noch mal eine Milliarde drauf kommt, was das alles so kosten soll, dann könnte ich mir vorstellen, dass das Projekt kippt.

König: Vielen Dank! Das Projekt Stuttgart 21 aus der Sicht des Journalisten Josef-Otto Freudenreich. Das von ihm herausgegebene Buch "Die Taschenspieler", worin sich unter anderem auch ein Essay über Stuttgart 21 dann auch aus der Feder von Josef-Otto Freudenreich findet, dieses Buch erscheint übermorgen in der Edition Hubert Klöpfer. Herr Freudenreich, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Freudenreich: Ich danke Ihnen!