"Da hilft kein Nachbessern mehr"

Moderation: Leonie March · 18.09.2007
Der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Horst Friedrich, hat die Teilprivatisierungspläne der Bundesregierung für die Deutsche Bahn kritisiert. Das ganze Gesetzgebungsverfahren sei "Murks", sagte Friedrich. Es sei zu befürchten, dass Bahnstrecken im regionalen Raum aufgegeben würden. Er sprach sich dafür aus, das Schienennetz in den Händen des Bundes zu belassen.
March: Von einer Quadratur des Kreises sprechen die Gutachter. Gemeint ist der Kern des Gesetzentwurfes zur Teilprivatisierung der Bahn. Der Bund soll ja juristischer Eigentümer des Schienennetzes bleiben. Bewirtschaftet und bilanziert wird es allerdings von der Bahn. Der Bund gebe damit seinen Einfluss auf das Netz fast völlig auf und das sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Zu diesem Schluss kommt das Gutachten, das die Bundesländer in Auftrag gegeben hatten und gestern vorstellten. Sie wollen den Börsengang stoppen, wenn Bundesverkehrsminister Tiefensee nicht erheblich nachbessert. Der aber hält an seinen Plänen fest. Der Gesetzentwurf sei ohne Zweifel verfassungsgemäß, hieß es in einer Stellungnahme.

Über den Streit um den Börsengang der Bahn spreche ich jetzt mit Horst Friedrich. Er ist der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und außerdem Mitglied im Eisenbahninfrastrukturbeirat der Bundesnetzagentur. Guten Morgen Herr Friedrich.

Friedrich: Guten Morgen!

March: Ist der Gesetzentwurf Ihrer Ansicht nach mit dem Grundgesetz vereinbar oder verfassungsrechtlich bedenklich?

Friedrich: Klares Nein! Wir haben von Anfang an gesagt, dass das, was Tiefensee vorlegt, nicht dem entspricht, was die Verfassung eigentlich verlangt. Es entspricht noch nicht mal dem, was die eigenen Regierungskoalitionen in ihrer Entschließung vom November verlangt haben, nämlich die uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit des Bundes auf das Schienennetz. Was Herr Tiefensee hier vorlegt, ist Tarnen und Täuschen. Formal soll der Bund Eigentümer des Netzes bleiben; praktisch bleibt es so, wie es jetzt ist: Die Bahn bestimmt und der Steuerzahler hat zu zahlen, und das ist das Ergebnis einer langen Überlegung.

Also wir sind vom Inhalt dieses Gutachtens nicht überrascht. Es bestätigt das, was andere Verfassungsrechtler auch gesagt haben. Die einzigen, die anderer Meinung sind, sind Herr Scholz im Auftrag der Bahn, Herr Gersdorf im Auftrag des Verkehrsministeriums und das Justizministerium, aber darauf würde ich mich nicht verlassen. Die haben auch bei der Privatisierung der Flugsicherung gesagt, die sei verfassungsgemäß, und sind dann grandios beim Bundespräsidenten gescheitert. Also wenn das alles ist, was er zu bieten hat, der Herr Tiefensee, dann springt er ein bisschen kurz.

March: Die Kritik der Länder ist ja bekannt. Sie fürchten unter anderem steigende Kosten für die Nutzung von Gleisen und Bahnhöfen, die Stilllegung von Nahverkehrsstrecken. Berechtigte Sorgen aus Sicht der Gutachter. Welche Konsequenzen hätten die Pläne Tiefensees damit für die Bürger, sowie als Bahnkunden als auch als Steuerzahler?

Friedrich: Wenn das einigermaßen zutrifft, was der Gutachter feststellt, dann haben die Länder völlig Recht mit ihren Bedenken. Die Netz-AG, die bisher Defizit produziert hat, soll ja auf einmal gewissermaßen zur Cashcow werden, also zur Eier legenden Wollmilchsau. Das kriegt man dadurch, dass man regelmäßig die Trassenpreise erhöht. Wenn die Regionalisierungsmittel, die den Ländern zur Verfügung gestellt werden, um Nahverkehr zu bestellen, nicht im gleichen Umfang steigen, bedeutet das, dass ich Schienenverkehr abbestellen muss und logischerweise wird das zunächst mal die treffen, die sowieso schon schlechter dran sind, nämlich den dünn besiedelten flachen Raum. Dort werden die ersten Strecken wegfallen.

Und wenn man dann noch weiß, dass diese Strecken hauptsächlich von Wettbewerbern gefahren werden, kann man sich ja vorstellen, was die Zielrichtung des ganzen ist. Also es ist zu befürchten, dass das Gesetz Tiefensee das Gegenteil von dem bewirkt, was er eigentlich will, nämlich mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Es wird dann in der Fläche weniger geben und überraschenderweise werden dann Strecken, die sowieso schon jetzt nur noch sehr selten befahren werden, dann gar nicht mehr befahren werden. Wenn ich Strecken dann nicht mehr benutzen muss, dann bleibt mehr Rendite für die Infrastruktur übrig und genau das ist das Ziel.

March: Die Bahn streitet ja genau das ab und sagt, es seien auch nach dem Gesetzentwurf immer noch die Länder für die Strecken verantwortlich und auch für deren Stilllegung.

Friedrich: Die Länder bestellen Fahrten; das ist klar. Nur Sie müssen sich vorstellen, wenn ich als der Infrastruktureigentümer und Betreiber die Kosten für die Infrastruktur erhöhe und gleichzeitig das Geld, um Verkehr zu bestellen, nicht mehr wird, dann muss ich als Land weniger Verkehr bestellen. Dann dünne ich da aus, wo ich keine Verkehre habe oder wo sie nicht ausreichend deckungsfähig sind. Und wenn dann über ein Jahr oder zwei Jahre auf einer Strecke kein Zug mehr fährt, dann wird die Netz-AG sicherlich die erste sein, die den Antrag beim Land stellt, die Streckt stillzulegen, und es wird dann niemand geben, der dann nein sagt. Es ist ein bisschen Tarnen und Täuschen, was da läuft.

Es wäre seriöser und das ist unser Ziel, die Trennstelle da zu machen, wo es ordnungspolitisch sauber ist, das Netz komplett tatsächlich in der Hand des Bundes, rausgelöst aus der Deutschen Bahn. Dann kann die Deutsche Bahn mit ihren Transportsparten weltweit tätig werden, losgelöst vom Steuerzahler, losgelöst vom Bundeshaushalt, und nur die Infrastruktur bleibt tatsächlich in der Verantwortung des Bundes und damit des Steuerzahlers. So wäre es sinnvoll und richtig und das sagen eigentlich alle Experten außerhalb der Bahn.

March: Wäre das auch für die Konkurrenten besser?

Friedrich: Das wäre sicherlich auch für den Wettbewerb besser, denn eine neutralisierte Netz-AG, die nicht mehr bei der Deutschen Bahn als Tochterunternehmen angegliedert ist und in deren Bilanz konsolidiert wird, hat natürlich zunächst mal vorrangig Interesse, überhaupt Verkehr auf der Schiene zu finden, völlig losgelöst wer fährt. Das würde dann die ganzen kleinen Nadelstiche auf der dritten, vierten, fünften Ebene - denn das Diskriminierungspotenzial der Deutschen Bahn ist ja nach wie vor hoch - nicht mehr geben, denn eine Infrastrukturgesellschaft, die nicht mehr bei der Bahn ist, hat hauptsächlich das Interesse, Verkehr auf der Schiene zu finden. Und dann werden die Wettbewerber, die ja jetzt schon im Güterverkehr zum Beispiel wesentlich für die Steigerung überhaupt verantwortlich sind, mit mehr Sicherheit mehr investieren, mehr Verkehr anbieten und dann kriegen wir endlich das was wir wollen: mehr Verkehr auf die Schiene. Das muss ja nicht zwangsläufig die Deutsche Bahn sein.

March: Wolfgang Tiefensee ist ja trotz all der Kritik zuversichtlich, dass ein Kompromiss gefunden wird, aber reicht reines Nachbessern, oder muss ein vollkommen neuer Gesetzentwurf her?

Friedrich: Das jetzige Gesetz ist etwas, was Otto Graf Lambsdorff mal in seinen geflügelten Worten so beschrieben hat: "Wer glaubt, eine bessere Marktwirtschaft zu kriegen, indem er Marx integriert, der wird feststellen, dass er keine bessere Marktwirtschaft, sondern bestenfalls Murks erntet". Das was Tiefensee vorgelegt hat, ist Murks. Da nützt Nachbessern nichts mehr. Da kann man nur sagen "zurückgeben an den Absender, neu nachdenken, die richtige Schnittstelle schaffen und dann kriegt man ein ordentliches Gesetz". Aber das kann hier nicht mehr nachgebessert werden.

March: Das heißt der Gesetzentwurf gehört komplett in den Papierkorb?

Friedrich: Da gehört er schon lange hin, aber jetzt erst recht. Ich weiß nicht, was noch passieren muss, um Herrn Tiefensee deutlich zu machen, dass er sich mit dieser Gesetzgebung völlig verrennt. Der Supergau für ihn wäre ja, wenn der Bundespräsident nach der Flugsicherungsgesetzgebung nun auch noch die Bahngesetzgebung bremsen würde, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Köhler, nachdem wie er agiert hat, im Zusammenhang mit der Deutschen Bahn jetzt noch im Zustand der Ahnungslosigkeit ist. Die Diskussion läuft dort seit langem. Also wenn es der Bundespräsident nicht macht würde ich mal sagen wird das Verfassungsgericht entscheiden. Wie kann man eigentlich nur sehenden Auges auf so ein Desaster zulaufen?

March: Im Gespräch sind ja bereits Alternativen, eine Bahn-Volksaktie zum Beispiel oder ein Modell, bei dem die Mitarbeiter einen Teil der Aktien erhalten. Welche Art der Privatisierung wäre Ihrer Meinung nach am günstigsten für Bund, Länder und Bürger?

Friedrich: Für die Bürger wäre sicherlich am sinnvollsten, die Schnittstelle da zu machen, wo ich gesagt habe. Alles, was Transport ist, ist keine Staatsaufgabe. Es kann nicht Aufgabe des deutschen Steuerzahlers sein, in Haft genommen zu werden für Container-Anlagen in Shanghai, in Südamerika, in Nordamerika, in Australien, wo sonst auch immer. Das kann nicht Aufgabe des Steuerzahlers sein und das wird es aber sein, wenn ich das mache wie Herr Tiefensee, nämlich die Netz-AG in der DB-AG lasse.

Die Schnittstelle muss da sein, wo die Verantwortung des Bundes endet, nämlich für die Infrastruktur. So wie ich Straßen baue, so wie ich Binnenwasserstraßen baue, bin ich auch verpflichtet, Schienenwege zu bauen. Aber dann endet es. Transport ist keine staatliche Aufgabe. Also der Steuerzahler sollte mithelfen, da zu trennen, wo es für ihn sinnvoll ist.

Alles andere ist der Versuch, wiederum einen Logistikdienstleister zu bieten, der weltweit agiert, der in den Wettbewerb mit anderen Privaten geht, die keine Staatshaftung haben, der damit bessere Wettbewerbsbedingungen hat und der damit auch den Markt verzerrt. Das ist alles nicht Aufgabe des Steuerzahlers.

Auch die Volksaktie ist in dem Fall nur der Versuch, das Gesetzgebungsverfahren so zu verändern, dass man in der nächsten Runde was Neues machen könnte. Die Volksaktie, sage ich mal, wäre der letzte Punkt, um zu sagen: Wenn schon gar nichts mehr kommt, dann machen wir die Volksaktie. Die verhindert nichts und lässt in der nächsten Periode vielleicht die Chance, sinnvolle Lösungen zu machen.

Mir wäre es ganz ehrlich lieber, das ganze Gesetzesverfahren würde jetzt enden. Es ist Murks. Man sollte aufhören und sollte in der nächsten Periode dann versuchen, es vernünftig zu machen. Es zwingt eigentlich niemand ernsthaft die Bahn jetzt an die Börse, außer natürlich der Wunsch von Herrn Mehdorn.