Cy Twombly im Centre Pompidou

Atemberaubende Werkschau

Cy Twombly: Fifty Days at Iliam Shades of Achilles, Patroclus and Hector (1978), Part VI
Cy Twombly: Fifty Days at Iliam Shades of Achilles, Patroclus and Hector (1978), Part VI © Courtesy of Philadelphia Museum of Art, Philadelphie
Von Kathrin Hondl · 29.11.2016
Der US-amerikanische Künstler Cy Twombly hat Bilder zu Texten von T.S. Eliot oder Ingeborg Bachmann und der griechischen Mythologie gemalt. Das hat ihm den Ruf eines malenden Dichters eingebracht. Das Pariser Centre Pompidou zeigt nun seine bisher umfassendste Retrospektive.
Das Bild schaut zurück: Die Retrospektive beginnt mit einem jener rätselhaft unfertig wirkenden Kritzelgemälde, denen Cy Twombly seinen Ruf als malender Dichter verdankt. Inmitten der Schlieren und leicht krakeligen Wachs- und Bleistiftlinien vor weißem Grund sind deutlich zu erkennen: ein Elektrokabel mit Stecker und ein Auge.
"Dieses Bild behielt er sein ganzes Leben lang", sagt Kurator Jonas Storsve. "Es war ihm wirklich wichtig. Und es ist einzigartig in seinem Werk. Deshalb eröffne ich die Ausstellung damit: Die Besucher sehen das Bild und gleichzeitig erwidert das Bild den Blick ..."
Insgesamt 140 Werke hat Jonas Storsve für die Cy Twombly-Ausstellung im Centre Pompidou zusammengetragen und chronologisch geordnet, von den ersten Schrift-Kritzel-Bildern der 1950er-Jahre bis zu den späten Rosenbildern nach Gedichten von T.S. Eliot, Rainer Maria Rilke oder Ingeborg Bachmann, entstanden in den Jahren kurz vor seinem Tod 2011.

Achill steht im Mittelpunkt des Werks

Doch allein ein Raum dieser umfassenden Werkschau lohnt schon die Reise nach Paris: Zu sehen ist "50 Days at Iliam" von 1977/78 – ein "Gemälde in zehn Teilen" nach Homers "Ilias". Und eine Leihgabe, auf die Jonas Storsve zu Recht stolz ist. Seit 1989 gehört das Werk zur ständigen Sammlung des Kunstmuseums in Philadelphia, das es bisher nie ausgeliehen hat, nicht einmal für die große Twombly-Retrospektive im New Yorker MoMA 1994.
Achill, der Held der Griechen vor Troja, steht im Mittelpunkt des monumentalen Werks. Das signalisierte Twombly schon im Titel: Denn nicht Ilium heißt es da, sondern – in künstlerischer Freiheit – "IliAm". Mit A wie Achill. Dieser Achill erscheint im zentralen, knapp 3 mal 5 Meter großen Bild an der Stirnseite des Raums als blutrote Farbe, wolkenähnlich vor weißem Hintergrund, daneben dessen Freund Patroklos: eine dunkelblau-lila changierende Wolke – und rechts davon, schemenhaft weiß auf weiß skizziert, Hektor, der Heerführer Trojas.
"Schatten" nannte Twombly seine Darstellung der antiken Helden, ihre Namen hat er mit Bleistift auf die Leinwand geschrieben. Twomblys auf den ersten Blick krakeliges Gemälde dekonstruiert Kulturtraditionen, indem es eines der wichtigsten Werke der Weltliteratur in eine neue poetische Bildsprache übersetzt.
Ihn mache das sprachlos, sagt Jonas Storsve:
"Das ist so eine starke Malerei – noch dazu in den späten 70er-Jahren, als die Malerei total out war. Twombly gelingt es, Schrift und den malerischen Akt auf absolut außergewöhnliche Art und Weise zu vereinen."
Und das gilt eigentlich für alle Werke, die jetzt im Centre Pompidou zu sehen sind. Der Schwerpunkt der Retrospektive liegt auf der Malerei, zu sehen sind aber auch Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen.

"Er sagte, die weiße Farbe sei sein Marmor"

Das bildhauerische Werk hat Kurator Jonas Storsve besonders spektakulär installiert: Vor den Panoramafenstern mit Ausblick auf die Pariser Stadtlandschaft erheben sich seltsam zerbrechlich wirkende Objekte, gebildet aus allerlei gefundenem Material wie Holzstücken, Treibgut oder Orangenkisten, angemalt mit weißer Farbe.
"Er sagte, die weiße Farbe sei sein Marmor. Das ist eine sehr schöne Metapher. Wir zeigen hier nur die originalen Gips und Holzskulpturen. Einige davon gibt es auch als Bronzegüsse, aber ich wollte hier nur die Originale."
Jonas Storsve hat in Zusammenarbeit mit der Cy Twombly Foundation eine atemberaubende Ausstellung zusammengestellt, der man trotzdem nicht zu viele Besucher wünschen mag. Denn das Betrachten dieser dichten, poetischen und manchmal rätselhaften Form- und Bildwelten erfordert Raum, Zeit und Konzentration.
Der Philosoph Roland Barthes verglich Twombly einmal mit einem taoistischen Meister: "Er tut, ohne etwas zu erwarten", schrieb Barthes. "Ist sein Werk vollendet, hängt er nicht daran. Und weil er nicht daran hängt, wird es bleiben."

Die Cy Twombly-Retrospektive ist bis zum 24. April 2017 im Centre Pompidou in Paris zu sehen.



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