Crossover

Minimal Music, Glockenarchaik und Laptopbeats

Von Martin Risel · 16.02.2014
Das Festival "Stargaze presents" an der Berliner Volksbühne hat am Wochenende heftig an den Genregrenzen gerüttelt. Zu hören waren interdisziplinäre Projekte aus Pop, zeitgenössischer und klassischer Musik.
Mit Bryce Dessners jüngster Komposition für Streichquartett wurde die dreitägige Veranstaltung in der Berliner Volksbühne eröffnet. Sonst spielt er bei der US-Indierockband The National, aber auch im Ensemble von Steve Reich.
Ein Musterbeispiel für das Festival – "Stargaze" ist eine Art Berliner Think Tank der zeitgenössischen, interdisziplinären Musik aus Elektronik, ambitioniertem Pop und Neuer Musik.
Geleitet von André de Ridder, Violinist, Komponist, Dirigent, Brückenbauer, Programmacher. Jeder der drei Abende hatte drei Teile, Teil 1:
"Das sind reine Instrumentalkompositionen. Und dann haben wir neue Projekte erarbeitet, bei der eine Band mit einem Instrumentalensemble und einem Chor – in diesem Fall dem Berliner Chor Cantus Domus – zusammen arbeitet. Und im dritten Schritt dann die Interpretation eines Klassikers der Moderne, nämlich dem Minimal-Stück 'In c' von Terry Riley, das interpretiert wird durch Popmusiker oder Elektronikmusiker, die normalerweise nur ihre eigenen Stücke spielen."
Meilenstein der Minimal Music
Vor genau 50 Jahren erschuf Terry Riley mit seinem Stück "In c" einen Meilenstein der Minimal Music, ein Grundmuster auch für elektronische Musik. Eine Herausforderung also auch für einen ihrer wichtigsten aktuellen Vertreter: Hendrik Weber, besser bekannt als Pantha du Prince. Seine Interpretation zusammen mit dem norwegischen Ensemble The Bell Laboratory - gekleidet wie Chemielaboranten – das war sicher einer der Höhepunkte des Festivals. Über 10 Minuten standing ovations im ausverkauften Theatersaal für diese zeitgenössischen Beats aus dem Laptop, kombiniert mit archaisch anmutenden Glocken, Gongs und Xylofonen.
Pantha du Prince: "Dieses Obertonspektrum macht eben auch die Archaik aus, weil es eben ein sehr klarer und weiter Frequenzrahmen ist, der da schwingt. Und eben auch ein sehr ungeordneter Obertonbereich ist. Und insofern hat der eine Gemeinsamkeit mit der elektronischen Musik, weil die elektronische Musik sich ja eben in Frequenzen bewegt und nicht in Tonalität."
Hochtechnologie im Dialog mit einem archaischen Klangkörper, entwickelt vor 3500 Jahren in China und im Mittelalter nach Europa gekommen. Sounds und Strukturen aus House und Minimal Music, Jazz und Neuer Musik, Gamelan und westlichen sakralen Klängen laufen ineinander und organisieren sich bei Pantha du Prince und The Bell Laboratory zu einer komplexen musikalischen Textur:
Pantha du Prince: "Es ist ne Komposition, aber es ist eben auch etwas, das einfach passieren darf. Also es ist dann auch näher am Jazz, aber es ist trotzdem kein Jazz. Und es ist auch Neue Musik, aber da würden mir Leute wahrscheinlich an die Gurgel springen, würde ich das sagen."
Heller Stern über Berlin
Damit genau so etwas nicht mehr passiert, ist André de Ridder zu einem Experten für innovative Programmgestaltung zwischen den Genres geworden. Gern gesehener Gast bei britischen Orchestern, Bands wie den Gorillaz und internationalen Festivals.
Und so stellt der Deutsch-Brite hier die Hamburger Elektroband 1000 Robota auf eine Bühne mit dem Berliner Chor Cantus Domus und seinem eigenen klassischen Stargaze Ensemble.
Musikalische Grenzgänge - kaum vorstellbar in der Berliner oder Münchner Philharmonie – zu sehr setzen die deutschen Hochkultur-Tempel noch auf Klassik pur, während anderswo die Genregrenzen entschwunden sind, meint André de Ridder:
"Das ist eine Entwicklung, die in Deutschland noch nicht selber so stark vertreten ist. Und wir wollten für Berlin hier so eine Plattform bilden, wo wir solche Projekte erarbeiten können. Aber die auch eine internationale Reichweite und Bedeutung haben. Das heißt, wir erarbeiten die her und zeigen die dann auch nationalweit und im internationalen Rahmen – und kooperieren mit den Festivals in Amsterdam, in London oder in Sidney."
Und so geht die mit Mitteln des Hauptstadtkulturfonds gelegte Saat des "Stargaze" Think Tanks dann wohl auch international auf. "Stargaze presents" jedenfalls leuchtete drei Tage lang hell wie ein Stern über Berlin.
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