Coworking Kindergarten in Berlin

Wo Eltern ohne schlechtes Gewissen arbeiten

Ein Erzieher malt am 07.07.2016 mit zwei Kindern in der Kindertagesstätte «Coworking Toddler» in Berlin ein Bild. Es begann mit einer Kampagne im Internet, jetzt startet das Projekt «Coworking Toddler» durch. Das Konzept will Eltern dabei helfen, Job und Familie besser zu vereinbaren.
Ein Erzieher malt mit zwei Kindern im Coworking Toddler in Berlin ein Bild. © picture alliance / dpa / Sophia Kembowski
Von Mandy Schielke · 10.04.2017
Ein Coworking Space mit angeschlossener Kita: Es gibt einen weiteren Grund, warum viele Eltern der Republik neidisch auf Berlin schauen. In Prenzlauer Berg können Mütter und Väter einen Schreibtisch inklusive Betreuungsplatz für ihr Kind mieten.
Ein Junge wühlt in der Bausteinkiste, ein kleines Mädchen liegt noch träge vom Mittagsschläfchen auf dem Teppich und nuckelt genüsslich an ihrer Milchflasche. Dann eine Drängelei, Tränen, ein beruhigendes Wort der ausgebildeten Erzieherin und schnell ist alles wieder gut. In diesem Kindergarten ist erst einmal alles so, wie anderswo auch. Nur, das zwei Türen entfernt eben die Eltern am Schreibtisch sitzen und sich ihren beruflichen Projekten widmen. Wie Lena zum Beispiel.:
"Ich arbeite für ein Label, wir produzieren Konzerte fürs Fernsehen."

Schreibtisch samt Betreuungsplatz fürs Kind

Die junge Mutter hat bei Coworking Toddler nicht nur einen Betreuungsplatz, sondern eben auch einen Schreibtisch. Und dafür muss sie zusätzlich zu den einkommensabhängigen Betreuungsgebühren noch monatlich 350 Euro zahlen. Wenn Lena morgens zur Arbeit geht, nimmt sie Thea einfach mit:
"Ich weiß, dass meine Tochter nur eine Tür weiter ist. Ich könnte jederzeit zu ihr, was nicht häufig passiert. Aber die Möglichkeit, dass man könnte, wenn irgendetwas ist. Und der zweite Punkt, der mir persönlich sehr gut gefällt, dass man mittags zusammen sitzt im Gemeinschaftsraum mit den Kindern und den Erziehern. Man verbringt zusammen Zeit und dann geht's für die Kinder in die Heia und zurück zum Schreibtisch für die Eltern."
Abgesehen vom gemeinsamen Mittagessen sind die Welten von Eltern und Kindern allerdings streng getrennt. Auch an diesem Nachmittag arbeiten die Mütter konzentriert an ihren Laptops. Unter den Schreibtischen krabbeln keine Kinder umher und es liegt auch kein Spielzeug herum.

Zweifache Mutter als Gründerin

Und das ist auch wichtig, damit sich die Eltern konzentrieren können, sagt die Gründerin der Kita, Sandra Runge, 39 Jahre alt und selbst zweifache Mutter:
"Eine Zielgruppe haben wir überhaupt nicht im Auge. Die einzige Voraussetzung, die man haben muss, ist, dass man ortsunabhängig arbeiten kann. Dadurch ziehen wir natürlich viele Freischaffende, Kreative und Gründer an. Wie haben aber auch Angestellte mit Home-Office-Option."
Die Gründerin der Kindertagesstätte Coworking Toddler, Sandra Runge, aufgenommen am 07.07.2016 in Berlin. Es begann mit einer Kampagne im Internet, jetzt startet das Projekt «Coworking Toddler» durch. Das Konzept will Eltern dabei helfen, Job und Familie besser zu vereinbaren. 
Die Idee, eine Kita zu gründen, hatte Sandra Runge als ihr zweiter Sohn zur Welt kam.© picture alliance / dpa / Sophia Kembowski
An diesem Tag arbeiten im Coworking Space mit Kita-Anschluss ausschließlich Frauen. Ist Vereinbarkeit getreu dem Klischee also auch in dieser neuen Form der Kita hauptsächlich eine weibliche Angelegenheit? Keineswegs entgegnet Sandra Runge entschieden:
"Es gibt mehrere Elternpaare, die sich den Platz teilen, bei einem Kind ist auch wirklich nur Papa da. Wir hatten auch eine Zeitlang mal eine Oma da, die hier gearbeitet hat oder auch ein Au-Pair. Bezugspersonen zum Kind in den unterschiedlichen Lebenslagen, wie es einfach gebraucht wird."
Der moderne Arbeitsalltag vieler Eltern passt nicht immer gut zum konventionellen Kita-System, findet Sandra Runge. Deshalb ist Coworking Toddler beispielsweise auch alle zwei Wochen am Samstagvormittag geöffnet. Und bei Bedarf werden die Kinder auch mal bis 19.30 Uhr betreut. Die Idee, eine Kita zu gründen, hatte die selbständige Rechtsanwältin, als vor drei Jahren ihr zweiter Sohn zur Welt kam und sie schon nach wenigen Monaten zurück ins Berufsleben wollte. Die Gründung war ein Kraftakt: Vorschriften für Kleiderhaken, Papierhandtücher ...
"Ich sag immer, es ist einfacher, ein Atomkraftwerk zu gründen als eine Kita, denn es ist wirklich wahnsinnig, wie viele Voraussetzungen da erfüllt sein müssen. Ist natürlich auch ein sensibles Thema, es geht um Kinderschutz. Bevor man überhaupt Räume anmietet, müssen schon 4-5 Behörden durchlaufen, um die zu checken, ob die überhaupt kita-tauglich sind. Gesundheitsamt, Veterinär und Lebensmittelaufsicht, Brandschutz, Bauamt."

Zulauf aus ganz Berlin

Coworking Toddler in Prenzlauer Berg gibt es inzwischen seit fast einem Jahr und zählt zu den eher kleinen Kitas im Kiez. 15 Kleinkinder werden hier betreut. Die Eltern kommen nicht nur aus den Straßen rund um den Helmholtzplatz, sondern auch aus anderen Stadtteilen Berlins.
"Das Gefühl ist einfach gut. Und die Produktivität habe ich trotzdem. Denn es ist ja klar, ich bringe mein Kind morgens hierher, wie in eine ganz normale Kita. Dann gehe ich in den Coworking Space, dann klappe ich meinen Laptop auf und dann sind die Eltern in der Arbeit."
Eltern arbeiten am 07.07.2016 in einem Büro der Kindertagesstätte Coworking Toddler in Berlin. Es begann mit einer Kampagne im Internet, jetzt startet das Projekt Coworking Toddler durch. Das Konzept will Eltern dabei helfen, Job und Familie besser zu vereinbaren.
Eltern bei der Arbeit in einem Büro der Kindertagesstätte© picture alliance / dpa / Sophia Kembowski
Und dann ist noch was anders:
"Hier ist es so, dass das schlechte Gewissen, das es das einfach nicht gibt."
Das schlechte Gewissen, sein Kind in fremde Hände zu geben, sich wieder dem Beruf zu widmen, das viele Mütter jedenfalls in den ersten Wochen nach der intensiven Elternzeit plagt.
Die Frage, wie Vereinbarkeit am besten zu praktizieren ist, wird sehr unterschiedlich beantwortet. Coworking Toddler aus Berlin jedenfalls verquickt das Prinzip der Großfamilie mit der nicht unbekannten Idee des Betriebskindergartens. Und katapultiert das Ganze gelungen in die digitale Arbeitswelt. Der Beweis dafür sind die langen Wartelisten, die in Sandra Runges Laptop stecken. Und deshalb will sie jetzt auch expandieren.
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