Covid-19 und die Zukunft der Metropolen

Weniger Markt und mehr kommunale Gestaltung

24:13 Minuten
Eine Familie, mit Mund- und Nasenschutz, steht auf dem Bürgersteig, vor der Filiale einer Firma, die LKWs für Umzüge und Transporte in New York City vermietet.
Dass derzeit mehr Menschen die Großstädte verlassen, liegt auch ein bisschen an Corona, aber vor allem an den Folgen der Gentrifizierung. © Getty Images/ Alexi Rosenfeld
Städteforscher Stefan Siedentop im Gespräch mit Tina Hüttl  · 19.08.2020
Audio herunterladen
In New York prägen Umzugswägen das Stadtbild, seit Corona wollen viele bloß noch weg. Auch viele Römer flüchten aufs Land. Ist der Traum vom Großstadtleben geplatzt? Städteforscher Stefan Siedentop mit Ideen, wie Metropolen zukunftsfähiger werden können.
"Covid-19 und die Zukunft der Städte" heißt ein aktuelles Paper des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dormund. Wenn nicht gerade Corona die Welt verändert, untersuchen die Wissenschaftler am ILS den urbanen Wandel: Es geht um Gentrifizierung, Mobilität, Klimaanpassung und soziale Fragen, die vergleichend erforscht werden, um dann Empfehlungen an Politik und Praxis zu geben. Wissenschaftlicher Direktor des Insituts ist Professor Stefan Siedentop. Er hat am aktuellen Paper mitgeschrieben.

Hören Sie auch im "Weltzeit"-Podcast: "Wir werden die Stadt so vermissen. Aber was wir vermissen, ist die Stadt, die wir hatten", sagt eine überzeugte New Yorkerin. Und ist damit nicht allein. Fast 420.000 Menschen haben den Big Apple seit der Pandemie verlassen, berichtet unsere Korrespondentin Antje Passenheim. Auch in Rom flüchten die Bewohner derzeit lieber aufs Land, wie jeden Sommer. Neu seit Corona sind jedoch viele Radwege und Verkehrspläne, die sich in der ewigen Stadt aber nicht einfach gesalten, wie die deutsch-italienische Autorin Sandra Limoncini erzählt.

Tina Hüttl: Schon vor Corona haben die hohe Preise in den Metropolen die Menschen aus den Stadtzentren in die Speckgürtel vertrieben. Beschleunigt die Pandemie nun diese Entwicklung?
Stefan Siedentop: Kurzfristig, vielleicht. Längerfristig aber glaube ich eher nicht. Dass derzeit Menschen, vor allen Dingen Familien, die Großstädte verlassen, liegt in erster Linie an den gestiegenen Wohnkosten im Zuge von Gentrifizierung, die wir in vielen Städten der Welt beobachten. Insbesondere Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen können sich die Stadt schlicht und einfach nicht mehr leisten.
Ich glaube schon, dass Corona diese Abwanderung kurzfristig verstärken kann, weil Menschen sich in Städten gefährdeter fühlen. Dafür gibt es übrigens statistisch keine Belege. Aber es ist ein subjektives Empfinden, was viele Menschen haben. Längerfristig werden die Städte jedoch weiterhin attraktiv für Zuwanderung bleiben, weil sie einen differenzierten Arbeitsmarkt haben, eine gute Infrastruktur.
Zudem gibt es große ethnische Communitys, die für internationale Zuwanderer wichtig sind und nach wie vor ist da das individuelle Freiheitsversprechen der Großstadt. All das sind Faktoren, die in einer Post-Corona-Welt Städte auch weiterhin anziehend machen.

Aufwertung von Infrastruktur nötig

Hüttl: Was wir bereits sehen, etwa in São Paulo, ist, dass viele ihre Miete nicht mehr zahlen können und auf der Straße landen. In Brasilien vergrößern sich die Slums. Welche Verwerfungen werden wir in der Stadt noch erleben?
Siedentop: Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Schon vor Corona haben wir gesehen: Da wo Markt und Staat versagen, entstehen informelle Siedlungen - gewissermaßen als Selbsthilfe der Menschen. Und das ist natürlich in Corona-Zeiten insbesondere problematisch, weil dort die Dichte noch viel, viel extremer ist.
Vor allen Dingen ist auch die Gesundheits-Infrastruktur schwach ausgebildet oder existiert gar nicht. Eine zentrale Aufgabe für die Zukunft ist daher, in diesen Gebieten eine Verbesserung der Lebensbedingungen zu erreichen, beispielsweise durch Aufwertung von Infrastruktur oder auch Installation von Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Es trifft ja auch andere Infektionsrisiken als nur Sars-CoV-2.
Hüttl: Sie haben vorher vom Gefühl der Unsicherheit gesprochen. Mit Bollern versucht man gegen Terroranschläge vorzugehen. Aber wie kriegt man eine Riesenmetropole virusresistenter?
Siedentop: Virusresistent können Städte niemals sein. Wo viele Menschen zusammenleben, sich im Alltag begegnen, besteht immer ein Risiko für Viruserkrankungen. Das lässt sich niemals gänzlich vermeiden. Aber Städte können widerstandsfähiger gemacht werden. Wir sprechen da in der Stadtentwicklungsforschung von Resilienz. Das heißt, sie können sich in die Lage versetzen, Krisen besser zu bewältigen. Das wird die zentrale Zukunftsaufgabe für die Stadtplaner werden.
Leider gibt es keine Patentrezepte, aber doch eine Reihe von Maßnahmen, die Städte ergreifen können oder auch bereits ergriffen haben: Erstens muss die kommunale Verwaltung wieder leistungsfähiger aufgestellt werden, kommunale Verwaltungen sind ja weltweit im Zuge von neoliberalen Entwicklungen abgebaut worden.
Das Zweite ist, leistungsfähige Infrastrukturen anzubieten, etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung, im Bereich des Nahverkehrs. Grünflächen sind ein dritter Punkt. Gerade in Pandemie-Zeiten müssen Menschen wohnortnah Grünflächen aufsuchen können. Und letzter Punkt ist: Gut gestaltete öffentliche Räume, die Menschen soziale Begegnungen unter Einhaltung von Abstandsregeln ermöglichen. Auch da sind Städte sehr unterschiedlich aufgestellt.

Krisenereignisse als Katalysator von Innovationen

Hüttl: In puncto Nahverkehr - sicherlich eine wichtige Maßnahme - passiert bereits eine Menge. Plötzlich waren in Berlin Pop-up-Radwege zu sehen. In anderen Städten wurden Straßen verkehrsberuhigt und für Fußgänger geöffnet. Wie könnte da ein gutes, intelligentes Konzept aussehen?
Siedentop: Das ist vielleicht einer der positiven Punkte in der Covid-19-Pandemie, was uns auch ein bisschen Optimismus geben kann. Wir haben in der Geschichte gesehen, dass epochale Krisenereignisse als Katalysator von Innovationen wirken. Das liegt daran, dass in solchen Situationen althergebrachte Denk- und Handlungsspielräume hinterfragt werden oder auch an Glaubwürdigkeit verlieren. Dinge werden denkbar, die vorher nicht gedacht wurden.
Und Mobilität ist da ein gutes Beispiel: Verkehrsberuhigung wie in Brüssel und London sind etwa Beispiele. Die Pop-up-Radwege in Berlin sowie weitergehende Beschränkungen für den motorisierten Individualverkehr. All das sind Chancen eines solchen Krisenereignisses.
Porträt des Städteforschers Stefan Siedentop
Der Städteforscher Stefan Siedentop rät Städten auch zu radikal einschneidenden Maßnahmen.© ILS / Siedentop
Die Erfahrung zeigt aber auch, dass solche Möglichkeitsräume möglichst schnell genutzt werden müssen. Denn nicht zu unterschätzen, sind die Beharrungskräfte einer Gesellschaft - das Zurückschwingen in Alltagsgewohnheiten, alte Denkmuster und Routinen. Deswegen sind Städte gut beraten, jetzt sehr schnell auch durchaus radikale einschneidende Maßnahmen zu ergreifen, die dann dauerhaft bleiben.

Gerechtere Besteurung von Kraftstoffen

Hüttl: Ist Corona auch die Chance, den Verkehrsinfarkt, den wir in vielen Städten beobachten, und auch die Klimakatastrophe abzumildern?
Siedentop: Ja und Nein. Ich glaube schon, dass die insgesamt sehr guten Erfahrungen, die wir mit Homeoffice gemacht haben, aber auch die angesprochenen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen einen Effekt haben werden. Zumindest die Verkehrsspitzen im Straßenverkehr, aber auch im öffentlichen Nahverkehr, werden gedämpft.
Aber es bedarf natürlich noch viel weitreichendere Maßnahmen: Motorisierter Verkehr ist immer noch zu billig. Wir brauchen eine gerechtere Besteuerung von Kraftstoffen, um hier zu Verbesserungen zu kommen.

Hüttl: Stichwort Homeoffice - das wird vermutlich auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Was passiert denn mit all den Bürogebäuden, den Büroflächen in den Städten. Werden die obsolet?
Siedentop: Obsolet sicher nicht, aber der Büroimmobilienmarkt wird sich vermutlich sehr weitreichend verändern. Viele Unternehmen erkennen nun die Qualität des Homeoffice, durchaus auch ganz trivial im Sinne von Kosteneinsparung. Dies führt zu deutlich weniger Nachfrage nach städtischen Büronutzung und möglicher Leerstandsentwicklung als Folge.
Auch hier bedarf es kreativer, mutiger Stadtplanung. Dafür gibt es schon sehr viele gute Beispiele. Man kann aus Büroimmobilien auch Wohnimmobilien machen. Man kann sie anderen Mischnutzung zuführen. Hier gibt es ein breites Spektrum, und auch das sollten Kommunen ergreifen.

Weitere Verödung der Innenstädte?

Hüttl: Wird Corona die Verödung der Innenstädte eigentlich abmildern oder beschleunigen? Auf der einen Seite gehen wir, wenn wir zu Hause arbeiten, vielleicht wieder schnell um die Ecke in das kleine Geschäft, um essen zu gehen. Was ist da Ihre Einschätzung?
Siedentop: Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Kurzfristig wird Corona erst einmal dahingehend diskutiert in der Stadtplanung, dass es zu einer weiteren Verödung der Innenstädte kommen kann. Neben den Büroimmobilien sind Einzelhandelsbetriebe die großen Verlierer in der Pandemie. Da wirkt die Pandemie als Beschleuniger einer krisenhaften Entwicklung, die schon vorher eingesetzt hat, insbesondere auch durch den sehr dynamischen Online-Handel. Das kann dazu führen, dass wir sehr starke Leerstandsentwicklungen haben in den urbanen Zentren. Das erfordert ein radikales Umdenken....

Hüttl: Das Umdenken braucht aber natürlich auch Geld. Jetzt haben wir das Problem: Viele Städte verlieren gerade massiv an Einnahmen durch Gewerbesteuern. Wie soll das finanziert werden?
Siedentop: Das ist sicherlich eine der größten Problematiken, die wir sehen. Covid-19 wird nach allem, was wir wissen, die größte ökonomische Krise werden. Wir werden massive Steuerausfälle haben, gerade im kommunalen Bereich. Die Gewerbesteuereinnahmen sind zum Teil dramatisch eingebrochen. Das schränkt natürlich die Handlungsfähigkeit der Kommunen sehr stark ein.

Stärkung der Kommunen

In solchen fiskalischen Krisenzeiten haben wir oft gesehen, dass Städte auch mit dem Abbau von kommunalen Verwaltungsleistungen reagieren oder öffentliche Leistungen zurückschrauben. Genau das wäre natürlich kontraproduktiv. Deswegen ist aus meiner Sicht zentral, die Kommunalfinanzen zu stärken, insbesondere auch die Altschulden-Hilfe anzugehen.
Gerade auch große Städte mit anhaltenden Strukturproblemen waren schon vor Corona kaum in der Lage, ihre öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen. Hier sind die Staaten gefordert, ihre Kommunen fiskalisch leistungsfähig aufzustellen. Es braucht einen Umbau des kommunalen Finanzsystems.
Hüttl: Können wir zum Schluss vielleicht noch etwas Positives aus der Krise ziehen. Wir erleben auch fallende Immobilienpreise. Können sich auch Künstler, Musiker, all diejenigen, die aus der Stadt verdrängt wurden, in Zukunft die Stadt wieder leisten?
Siedentop: Es sind unterschiedliche Szenarien denkbar. Das negative Szenario ist, dass im Zuge der weiteren Internationalisierung des Immobilienkapitalismus, große internationale Konzerne in die Städte hineingehen, wie sie es schon in den letzten Jahren weltweit gemacht haben. Das würde eine solche Entwicklungen eher unterbinden.
Auf der anderen Seite sehen wir: Preissteigerungen sind nicht mehr in dem Maße erkennbar, gerade im Büroimmobilienmarkt. Und das kann schon Nischen wie die kulturelle Nutzung mit sich bringen. Entscheidend ist, dass die Kommunen die Entwicklung nicht dem Markt überlassen. Wir plädieren im ILS ganz stark dafür, dass die Kommunen sich auf dem Bodenmarkt engagieren, also etwa eigene Grundstücksreserven anlegen, kommunale Bodenfonds entwickeln, um die Lage selbst zu gestalten und nicht nur die Rahmenbedingungen für private Investoren auszugestalten.
Weniger Markt und mehr kommunale Gestaltung. Das könnte ein Rezept sein, um aus der Krise auch Chancen zu entwickeln.
Mehr zum Thema