Country Noir

29.01.2009
Mit "Der Teufelskeiler" entführt Joe R. Lansdale die Leser in die ländliche Welt der amerikanischen Provinz, in die Auwälder des Sabine River in Arkansas und Louisiana zur Zeit der großen Depression. Hier treibt ein riesiger Keiler sein Unwesen und bedroht Mensch und Vieh. Die Jagd auf den Keiler inszeniert Lansdale wie einen männlichen Initiationsritus, bedient sich gleichzeitig der Elemente von Horror- und Gruselgeschichten und stellt so eine Art minimalistische Poesie her.
Der Süden der USA während der Großen Depression. Ungefähr dort, wo Arkansas und Louisiana an Ost-Texas stoßen, irgendwo in den Auwäldern des Sabine River. Die Leute, die in den Wäldern am Fluss wohnen, sind arm. Sie sind hauptsächlich Selbstversorger, die von den Erträgen einer kargen Landwirtschaft leben und sich ihr Fleisch jagen müssen.

Und wenn in dieser Gegend ein riesiger Keiler auftaucht und die Jagdhunde tötet, die Maisfelder niedertrampelt und auch noch die Menschen selbst mit seinen messerscharfen Hauern bedroht, dann ist das ein ernsthafter Angriff auf die Existenz der Leute. Das Viech muss erlegt werden, koste es, was es wolle.

Aber dieser spezielle Keiler, so geht bald die Mär, ist uralt, unsterblich, möglicherweise der Teufel, Old Satan selbst oder - im spökenkiekerischen Süden naheliegend - die Ausgeburt dunkler Magie. Der Erzähler und der Held der Geschichte, der 15-jährige Richard Dale, wird nun durch verschiedene Umstände dazu gezwungen, das Monsterschwein zu stellen und umzubringen.

Das ist das Szenario von Joe R. Lansdales schmalem Roman "Der Teufelskeiler", im Original schlichter nur "The Boar", also der Keiler. Schlicht und einfach ist auch der Erzählduktus des Textes und das heißt hier: konzentriert, knapp, präzise und mit einer wunderbar minimalistisch hergestellten Poesie. Vor allem, wenn Lansdale die Menschen beschreibt, die diese abgelegene Weltgegend bevölkern. Etwa den ururalten, schwarzen Jäger Onkel Pharao, dem der Keiler vor ewigen Zeiten die Beine zertrümmert hatte und der sich jetzt in einer Art überdachter Karre von einem dressierten Hausschwein namens Jesse ("Jesse gehört zur Familie") zum Angeln fahren lässt.

Oder der Vater von Richard, der das Familienaufkommen als Ringer auf den Jahrmärkten der Umgebung aufbessert und seinen Sohn darin unterstützt, dereinst Schriftsteller werden zu können, und deswegen unterwegs ist, als der Keiler die Familie bedroht. Oder Richards schwarzer Freund Abraham, der mit Schild und Speer bewaffnet mit in den Kampf zieht.

Das hört sich bis hier hin an wie eine Mark-Twain-Geschichte mit Faulkner-Touch. Aber die Inszenierungskunst von Lansdale tickt anders. "Der Teufelskeiler" wäre auch zu lesen als die Geschichte von der Jagd auf einen wahnsinnigen Killer, so wie Lansdale die ersten, wahrhaft gruseligen Auftritte von dem Teufelskeiler inszeniert. Er wäre zu lesen als Initiationsgeschichte - das Töten als stolz machendes Männlichkeitsritual; oder als Geschichte übers Überleben; oder über Menschlichkeit inmitten eine üblen, rassistischen Gesellschaft, über das große "dennoch".

Und so wie Lansdale die Natur, die Landschaft, die Menschen und die Verhältnisse mit präzisen Worten und ohne didaktisches Drumherum schildert, spürt man seine eigene Biographie durch die Zeilen wehen. Denn "Der Teufelskeiler" ist auch eine Geschichte übers Geschichtenerzählen. Richard Dale schreibt sie später als Autor nieder, weil für ihn die Mordgeschichte um den Keiler und die Mordgeschichten, die er in den vom Landarzt mitgebrachten Black-Mask-, Weird-Tales- und Doc-Savage-Heftchen liest, die selben narrativen Wurzeln haben. So wie später der Autor Joe R. Lansdale mit seinen furiosen Horror- und Splatterromanen, mit den schrägen Kriminalromanen um das schwarz/weiße, schwul/straighte Duo Hap Collins & Leonard Pine und ihren gewaltsatten, komischen Abenteuern und eben mit den Geschichten aus der Großen Depression im tiefen Süden die populären Erzählformen zu hoher Virtuosität schleift, ohne sie "postmodern" zu beschädigen.

Deswegen, und weil er an der Wichtigkeit, Genauigkeit und Ernsthaftigkeit seiner Erzählinhalte festhält, gehört Lansdale zu den weitaus interessanteren amerikanischen Gegenwartsautoren als viele feuilletonnotorische Eintagsfliegen. Also in die Traditionslinie von Ray Bradbury, Jim Thompson, W. R. Burnett und Elmore Leonard.

Ob man den "Teufelskeiler" nun als country noir bezeichnen möchte oder als "Abenteuerbuch" oder wie auch immer - für Schubladen war und ist Lansdale schon immer zu groß.

Rezensiert von Thomas Wörtche

Joe R. Lansdale: Der Teufelskeiler
Roman. Deutsch von Richard Betzenbichler
Berlin: Shayol 2009
141 Seiten, Euro 12,90