Corona-Proteste in Hildburghausen

Den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt

08:36 Minuten
Menschen laufen durch die Innenstadt von Hildburghausen in Thüringen und protestieren gegen die neuen Infektionsschutzregeln in dem Kreis.
Illegaler "Spaziergang" mit Folgen: Protest gegen den Infektionsschutz in Hildburghausen. © picture alliance/dpa/NEWS5/Steffen Ittig
Tilo Kummer im Gespräch mit Axel Rahmlow · 26.11.2020
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Der thüringische Landkreis Hildburghausen ist ein Corona-Hotspot, die Landesregierung hat Ausgangsbeschränkungen verordnet. Rund 400 Menschen haben dagegen protestiert. Bürgermeister Tilo Kummer bemüht sich um einen Dialog.
Hildburghausen im südlichen Thüringen ist ein Landkreis mit der momentan höchsten Inzidenz in Deutschland. 60.000 Menschen leben dort, in den letzten sieben Tagen gab es mehr als 600 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Die Schulen und Kitas wurden geschlossen, und es wurden Ausgangsbeschränkungen erlassen. Rund 400 Menschen haben am Mittwochabend trotzdem auf dem Marktplatz der Stadt dagegen protestiert.


Tilo Kummer (Die Linke) ist Bürgermeister der Stadt und er beschreibt die Stimmung während des Protests am Mittwoch als "durchwachsen". Es seien viele Menschen mit Kerzen in der Hand durch die Stadt gelaufen, manche hätten Transparente getragen, es seien Demonstrierende mit und ohne Maske unterwegs gewesen.

Zu wenig Zeit für einen Dialog

Passanten hätten ihn mit den Worten angesprochen: "Sind die denn irre, was machen die hier? Ich bin froh, dass mein Laden noch offenbleiben darf. Wenn das so weitergeht, macht der auch noch zu." Er habe aber auch Menschen gehört, die sich gefragt hätten, wie sie weiterhin eine Kinderbetreuung organisieren sollen. Andere hätten über "Zwangsimpfungen" gesprochen, was zur Verschwörungserzählung tendiert habe, so Kummer.
Sicher gebe es bei manchen Menschen keine Dialogbereitschaft, sagt Tilo Kummer. Nach seiner bisherigen Erfahrung fehle es aber oft auch an der notwendigen Zeit, um auf die Menschen einzugehen, und um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. So seien die Handlungsketten zu kurz. Er selbst habe von den Kitaschließungen am Montagabend aus den Medien erfahren, bis Mittwochfrüh musste er die Umsetzung einleiten.
In dieser kurzen Zeit hätten Eltern kaum noch Zeit gehabt, sich entsprechend neu zu organisieren. "Und wir als Kommune hatten kaum eine Möglichkeit, zu kommunizieren, warum das jetzt passiert. Und ich glaube, das ist ein zentrales Problem bei Corona, dass zu wenig das öffentliche Handeln erklärt wird." Dass zum Beispiel Kitas geschlossen werden, um wichtige öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser zu schützen.

Bei Rechtsextremismus ist Schluss

Als Bürgermeister wolle er auch andere Meinungen zur Kenntnis nehmen, und auch das Handeln erklären. Dass vor allem auch ältere Bürger und Bürgerinnen, die Vorerkrankungen hätten, akut gefährdet seien.
Wenn Menschen auf solch einer Protestveranstaltung allerdings von einer drohenden "Diktatur" singen würden, könne er ihnen nur noch Bilder von Menschen im Krankenhaus anbieten oder von einem Seniorenheim in der Stadt, wo von 172 getesteten Mitarbeitern und Bewohnern 91 positiv getestet wurden. Die meisten davon würden aktuell stationär in der Klinik liegen.
Im Sommer sei der Landkreis kaum betroffen gewesen. Er habe den Eindruck, dass es daher immer noch nicht bei allen angekommen sei: "Die Gefahr ist real."
Die Dialogbereitschaft ende bei Tilo Kummer allerdings, wenn die Stimmung ins rechtsextreme Milieu abrutsche, bei tätlichen Angriffen und wenn Wortmeldungen, auch in den sozialen Medien, tief unter die Gürtellinie gehen würden. "Irgendwann ist dann auch Schluss."
(jde)
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