Computerspiele

Spielen, um zu scheitern

Szene aus dem Shooter-Spiel Battlefield 3
Szene aus dem Shooter-Spiel Battlefield 3 © dpa / picture alliance
Von Vera Linß · 13.02.2015
Computerspiele erzeugen zwangsläufig ein taubes Gefühl der Unfähigkeit: Der Spieler fühlt sich für seine Niederlagen selbst verantwortlich und spielt aber trotzdem wieder. Wie sich das vermeintliche Paradoxon erklären lässt, zeigt Jesper Juul in seinem Essay "Die Kunst des Scheiterns".
"Aus Fehlern wird man klug." Stimmt, aber trotzdem: Niemand scheitert gern. Es sei denn, man spielt Videospiele, so der dänische Spieleforscher Jesper Juul. Videospiele seien die einzige Kunstform, die Menschen gezielt "losschickt um zu scheitern". Und genau diese Erfahrung werde von den Spielern immer wieder gesucht.
"Paradox des Verlierens" nennt der Autor dieses Phänomens, das eine große Anziehung habe – aus gutem Grund. Einerseits versuche man im Alltag, Misserfolge zu vermeiden, um negative Gefühle und Risiken zu minimieren. Andererseits gebe es aber den "längerfristigen Wunsch nach einer Erfahrung, die das Scheitern mit einschließt", im Wissen darum, dass man aus Niederlagen lernt – ein Bedürfnis, das nur Videospiele bedienen.
Aus Sicht von Juul wird diese besondere Qualität bislang unterschätzt. Deshalb will er mit seinem Essay darüber aufklären, was Videospiele "mit uns tun" und wie sie sich von etablierten Kunstformen unterscheiden. Seit Jahrtausenden durchleben und verarbeiten Menschen Empfindungen, Konflikte und Tragödien mit Hilfe von Filmen, Theater oder im spielerischen Wettbewerb.
Auf den ersten Blick wirkten die Handlungen von Videospielen da nur wie "Derivate", wie Light-Versionen der Hochkultur. Tatsächlich aber, so Jesper Juul, sei ihre Wirkung nicht vergleichbar. Während bildende Kunst, Musik oder Geschichten dabei helfen, kathartisch schmerzvolle Emotionen zu überwinden, werden sie von Computerspielen absichtlich "kreiert". Der Spieler selbst erzeugt solche negativen Gefühle durch sein Scheitern, das bewusst im Spiel angelegt ist.
Aufforderung zum Mord
Aus vier Perspektiven – Psychologie, Philosophie, Game-Design und Erzählung – betrachtet Juul das spielerische Scheitern. Detailliert beschreibt er, wie die Spielemechanik Gewinnen und Verlieren steuert. Oder wie die Geschichten moralisch herausfordern, etwa wenn ein Spieler töten oder – wie im "Suizide Game" – Selbstmord begehen muss, um am Ende zu gewinnen. Das ist viel Theorie, die der Wissenschaftler da zusammenträgt.
Am spannendsten ist die psychologische Dimension, die den Reiz der Spiele erklärt. Es ist einfach so vieles erlaubt, was normalerweise kritikwürdig wäre: Man darf aggressiv sein, sich anderen in den Weg stellen oder einfach wieder von vorn anfangen. Am wichtigsten ist für Juul aber, dass das Scheitern im Spiel in der Realität folgenlos bleibt. Darum könne man ohne Angst experimentieren und seine Fähigkeiten und seine Psyche im Umgang mit Niederlagen trainieren.
All jenen, die Videospielen noch immer ein Schmuddelimage verpassen wollen, setzt der Forscher, der an der Königlichen Dänischen Kunstakademie lehrt, damit ein überzeugendes Plädoyer für das Spielen entgegen.

Jesper Juul: Die Kunst des Scheiterns. Warum wir Videospiele lieben, obwohl wir immer verlieren
Aus dem Englischen von Annette Kühn
Luxbooks, Wiesbaden 2015
150 Seiten, 14,90 Euro

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