Coach Ivana Chubbuck

Das Geheimnis guten Schauspiels

Die Schauspiellehrerin Ivana Chubbuck
Arbeit am Trauma: Zur tiefern Wahrheit der dargestellten Figur gelangt man als Schauspieler erst, wenn man sich ganz auf deren innere Schmerzen einlässt, sagt Schauspielcoach Ivana Chubbuck. © imago/ITAR-TASS
Moderation: Susanne Burg · 17.06.2017
Bei Ivana Chubbuck klopfen selbst gestandene Schauspieler an, um noch etwas zu lernen. Klassische Schauspieltricks reichen nicht aus: Man müsse die Schmerzen einer Figur voll ergründen, um zu einer tieferen Wahrheit zu gelangen, sagt die Schauspiellehrerin.
Zur Schauspielschule gehen, sein Handwerk lernen und dann im Theater oder beim Film weiter daran feilen: So klar ist das mit dem Schauspielen nicht. Ein Berufszweig ist seit Jahren immer wichtiger geworden: der des Schauspielcoaches. Eine Art Personal Trainer in der Filmbranche. Und eine, die seit vielen Jahren die Stars fit macht, ist Ivana Chubbuck. Brad Pitt und Sylvester Stallone gehören zu ihren Schülern. Wir haben mit der Mitte-60-Jährigen über ihre Technik, die Chubbuck-Technik, gesprochen - und sie zunächst gefragt, warum sich Schauspieler in den USA auch nach einem guten Schauspieltraining noch an sie wenden.
Ivana Chubbuck: Ich habe den Eindruck, dass viele Leute Techniken benutzen, die vor langer, langer Zeit entwickelt wurden. Aber jede Form von Kunst entwickelt sich weiter und verändert sich. Die grundlegende Schauspieltechnik hat immer den gleichen Wortschatz, die Elemente, die besagen, dass man ein Ziel verfolgen soll, den Rat, die Wahrheit zu verinnerlichen, von einem wahrhaftigen Ort aus zu starten, das haben alle Techniken gemeinsam.
Was ich mache, ist das Ganze ein paar Schritte weiterzutragen. Es geht darum zu versuchen den Schmerz und das Trauma der jeweiligen Figur, also die Personalisierung des Schmerzes und des Traumas zu übernehmen um die Wahrheit einer Figur zu ergründen und dabei vor allem diese Informationen zu benutzen um mit ihnen die eigenen Fähigkeiten zu stärken und zu gewinnen.

Aus Lebenserfahrungen schöpfen

Susanne Burg: Sie beziehen sich also auf die Methode von Stanislawski, die dann von Lee Strasberg übernommen wurde, nach dem Motto "ich tauche hinab in meine Gefühle und nutze sie für die Figur, die ich verkörpere" – und Sie sagen jetzt, verwandle diese Gefühle in etwas Gutes. Was meinen Sie damit?
Ivana Chubbuck: Das Leben bietet permanent Wahlmöglichkeiten, jedem passiert mal etwas Schlechtes, niemand hat ein perfektes Leben. Es mag sein, dass die allgemeinen Umstände positiv sind, aber es kann etwas schiefgehen, jemand stirbt, oder hat einen Autounfall, ich kann krank werden. Aber man hat die Wahl, ob man sich von diesen Ereignissen zerstören lässt und zum Opfer wird, oder man entschließt sich diese Erfahrungen anzunehmen und sich zu sagen, ich werde trotzdem oder gerade deswegen gewinnen.
Es kommt also auf die Perspektive an. Ich sehe mir das also von außen an und frage mich, wenn diese Figur mit den gleichen negativen Erfahrungen leben und gedeihen kann, dann kann ich das vielleicht auch. Und das gibt dann auch dem Publikum Hoffnung. Ich helfe den Leuten also unterschwellig durch die Kunst, Entscheidungen zu treffen.

Positivbeispiel Sylvester Stallone

Susanne Burg: Was meinen Sie mit unterschwellig? Wenn das Drehbuch vorgibt, dass meine Figur selbstzerstörerisch ist, wie kann ich dann als Schauspielerin Hoffnung vermitteln?
Ivana Chubbuck: In allen Welten gibt es Versionen der Selbstzerstörung – das macht sie interessant. Ein Sieger, ist nicht einfach nur jemand, der gewinnt, ein Sieger ist jemand der es versucht, der nicht zulässt, dass das Leben ihn niederringt. Ein gutes Beispiel ist der Film "Rocky I". Alle sehen Rocky am Ende des Films als Gewinner, obwohl er eigentlich nicht gewonnen hat, aber er hat so entschlossen gegen alle Hindernisse und selbstzerstörerischen Kräfte gekämpft, das er für uns zum Sieger wird. Ich denke, dass der Film deshalb zum Kultfilm geworden ist.
Für seine schauspielerischen Leistungen in "Creed" wurde Sylvester Stallone mit dem Golden Globe ausgezeichnet
Für seine schauspielerischen Leistungen in "Creed" wurde Sylvester Stallone mit dem Golden Globe ausgezeichnet© picture alliance / dpa
Als ich mit Sylvester Stallone an "Creed" gearbeitet habe, einem Rocky-Spin-Off von 2015, sagte ich, dass wir über alle bisherigen Rockys, die er gespielt hat, hinausgehen werden. Rocky ist ja älter geworden, hat eine Menge Mist gemacht, Menschen, die er geliebt hat, sind gestorben, und jetzt hat er Krebs, von dem der Arzt sagt, dass er daran sterben wird. Man kann das jetzt also negativ interpretieren, weil er sterben muss, oder man kann es so interpretieren, dass er jetzt all seine Lieben, die vor ihm verstorben sind, wiedertreffen wird. Und wenn er am Leben bleibt, muss ihm Appollo Creeds Sohn beweisen, dass sich das lohnt, dadurch, dass er aufhört sich selber leid zu tun, und die schlechten Dinge, die ihm passiert sind, als das sieht, was ihn zum Sieger im Ring gemacht hat.

Aus schlimmsten Lebensumständen etwas Wertvolles ziehen

Das Skript ist nicht verändert worden, aber wie er es gespielt hat, hat diese faszinierende Realität geschaffen, die nicht nur Sylvester Stallone geholfen hat. Sein Sohn war ja vor drei Jahren gestorben und wir haben innerhalb der Interpretation des Skripts auch versucht ihm zu helfen, seinen Frieden damit zu finden. Er hat in diesem Film mehr Text gehabt als in allen alten Rocky-Filmen. Wir haben uns das Originalbild von Rocky vorgenommen und ihn zu jemandem gemacht, der aus den schlimmsten Lebensumständen noch etwas Wertvolles ziehen kann, emotionalen Reichtum schaffen kann, für den Jungen und für sich selber.
Susanne Burg: Arbeiten Sie mit den Schauspielern vor allem an den fiktiven Figuren oder arbeiten Sie auch an den Gefühlen, die diese Schauspieler selber erlebt haben?
Ivana Chubbuck: Beides. Als erstes sehen wir uns das Skript an, wir sehen uns den Weg der jeweiligen Figur an, wer ist diese Person, was will sie, wo kommt sie her, was ist ihre Realitätsgrundlage, die ihr hilft zu wachsen? Wir nehmen ein persönliches Thema, an dem der Schauspieler in seinem derzeitigen Leben arbeiten muss – nichts aus der Vergangenheit, sondern etwas Aktuelles, so funktioniert diese Methode. Man fühlt sich z.B. verletzt oder wütend, und versucht das, was man aktuell durchlebt, zu lösen – das kann eine kathartische Erfahrung sein, die einem erlaubt mit bestimmten Dingen seinen Frieden zu finden.

Den Schmerz nutzen, um voran zu kommen

Susanne Burg: Ich frage mich immer noch, wie Sie das genau anstellen. Es ist doch eine sehr sensible Angelegenheit, wenn man so mit den Gefühlen und Traumata der Leute arbeitet. Die müssen Ihnen eine Menge Vertrauen entgegenbringen. Das klingt nach einer therapeutischen Arbeit, für die Psychotherapeuten wahrscheinlich Jahre brauchen würden – wie sorgen Sie dafür, dass die Schauspieler sich sicher fühlen?
Ivana Chubbuck: Es geht um die Frage, wie wir den Schmerz so nutzen können, um damit voran zu kommen, zu gewinnen. Das gibt einem ein Gefühl der Erleichterung der Katharsis und der Befriedigung. Wenn ich Leute sehe, die mit dieser Technik arbeiten und sich den jeweiligen Themen stellen, dann sehe ich, dass sie förmlich aufblühen, sie strahlen, auf der Leinwand wie im echten Leben. Sie fühlen sich stärker, fähiger und weiter entwickelt.
Susanne Burg: Ich weiß, dass Sie mit Brad Pitt gearbeitet haben, als er noch nicht berühmt war; es gibt jede Menge andere große Namen – Eva Mendez, Charlize Theron, Jared Butler, Beyoncé, Halle Berry – an welchem Punkt ihrer Karriere kamen die zu Ihnen?

Man muss die eigene Furcht verstehen können

Ivana Chubbuck: Eva Mendez war damals noch nicht erfolgreich. Ich bin die einzige Schauspiellehrerin, mit der sie jemals gearbeitet hat. Als sie kam, war sie noch richtig arm. Charlize Theron hatte auch überhaupt nichts, ich gab ihr Gratis-Unterricht, weil sie so arm war. Als sie dann später Geld verdiente, zahlte sie es zurück. Aber damals lebte sie mit 6 anderen Mädchen in einem kleinen Haus mit nur zwei Zimmern, in dem alle auf dem Boden schlafen mussten. Eigentlich waren fast alle, die Sie erwähnt haben ziemlich arm.
Halle Berry und Billy Bob Thornton in "Monster´s Ball"
Halle Berry - hier im Fiilm "Monster's Ball" - war bereits ein Star, als sie sich an Ivana Chubbuck wandte. © imago/United Archives
Halle Berry war die einzige, die bereits ein Star war, aber sie war noch nicht so respektiert und galt vor allem als schöne Frau. Es gibt eine Menge schöne Menschen in L.A. und viele von ihnen schaffen es nicht, weil sie faul sind oder weil sie Angst haben.
Furchtlosigkeit ist in jedem Arbeitsbereich sehr wichtig, besonders in solchen mit hohem Prestige und großer Konkurrenz. Aber Furchtlosigkeit gründet darauf, furchtsam zu sein – man muss die Furcht verstehen können um auch die Furchtlosigkeit verstehen zu können. Die meisten Leute haben diese Wahlmöglichkeiten – die meisten Leute sind ängstlich, aber die meisten wählen den Weg des geringsten Widerstands, was bedeutet ängstlich zu bleiben.
Das Gespräch übersetzte Marei Ahmia.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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