City Outlet Bad Münstereifel

Eine Stadt wird zum Grabbeltisch

Eine Werbetafel für das Outlet in Bad Münstereifel
Eine Werbetafel für das Outlet in Bad Münstereifel © Maximilian Klein
Von Maximilian Klein · 20.08.2017
Wie vielen Provinzstädten drohte auch Bad Münstereifel die Bedeutungslosigkeit – dann kam die City Outlet Bad Münstereifel GmbH und kaufte in der Innenstadt die Ladenflächen auf. Mittlerweile ist die Innenstadt ein Outletcenter. Eine Bürgerinitiative wehrt sich.
Es ist heiß. Schweiß rinnt von meiner Stirn. Tropft auf einen schwarzen Pflasterstein. Er verdampft. Ein Brunnen plätschert. Kaum wahrnehmbar für mich. Die Umgebung verschwimmt. Hatte ich nicht noch eben drei Taschen am Handgelenk? Oder waren es vier? Es ist mir egal in diesem Moment. Ich bin im Rausch. Große Logos trage ich jetzt durch den Ort. Eine wandelnde Litfaßsäule. Ein schönes Gesicht ziert eine der Papiertaschen. Das Gesicht von keinem Gedanken getrübt. Aber darum geht es auch nicht. Nicht nachdenken. Sondern erleben soll man hier. Shoppen. In Bad Münstereifel.
Lars Wenninger: "Was sehr wichtig war: es sind wirklich drei Investoren. Aus der Gegend. Die auch Bad Münstereifel kennen. Das ist auch eine Herzensangelegenheit gewesen."
Buchhändler: "Wenn da jemand gekommen wäre, Bad Münstereifel hat eine schöne Stadtmauer und gesagt hätte, wir machen hier den größten Puff Europas auf, da hätte selbst die CDU gesagt, Super-Idee. Und das ist so der Punkt, wo ich denke, manchmal drüber nachdenken oder Bürger oder andere Leute miteinbeziehen. Das findet hier leider überhaupt nicht statt."
Bongart: "Sie haben den Mülleimer benutzt, wir haben uns kurz draußen auf eine Bank gesetzt. Das sind alles Sachen, die vom Outlet finanziert sind, die natürlich auch ein Logo des Outlets tragen, aber das ist für die Innenstadtmöblierung und das Erscheinungsbild der Stadt schon ein Vorteil, dass es das Outlet in der Form so gibt."
Das Stadttor ist schmal. Drei Schultern breit. Drei Schritte lang. Durch die Stadtmauer. Hinein nach Bad Münstereifel. Links neben dem Eingang liegt eine kleine Polizeistation. Es könnte die Wache aus der Serie "Mord mit Aussicht" sein. Tatortreiniger Bjärne Mädel kommt bestimmt gleich hinaus gestolpert. Dann ein kleines Lebensmittelgeschäft. Ein paar Salatköpfe liegen in der Sonne. Anthrazitfarbene Pflastersteine weisen den Weg. Weitergehen wollen sie sagen. Es sieht aus, als hätte vor fünf Minuten die Stadtreinigung deutsche Gründlichkeit zelebriert.
Der mittelalterliche Stadtkern von Bad Münstereifel
Der mittelalterliche Stadtkern von Bad Münstereifel © Maximilian Klein
Ein paar Schritte weiter fließt faul die Erft durch einen Graben. Drei Daumen tief. Langsam gehen. Alles läuft seit dem Durchschreiten des Stadttores langsam. Niemand hat es hier eilig. In Berlin läuft man mit preußischem Stechschritt. Hier wie auf einem Wallfahrtsweg. Weingläser stehen auf den Tischen der Restaurants, neben dem Kühler für die Flasche. Die Menschen reden leise vor sich hin. Hier eine Feldsteinfassade. Da ein frisch verputztes Haus. Deutschland, Postkartenland. Klischee. Aber nicht kitschig. Viele Adjektive fallen mir ein. Den Autoren der Stadtwebseite auch.

Mal ein historisch gewachsenes, romantisches Städtchen

"Bad Münstereifel ist ein historisch gewachsenes, romantisches Städtchen mit malerischen Fachwerkhäusern, einer lebhaften Fußgängerzone mit attraktiven Geschäften und vielen lebhaften Cafés entlang der Erft. Den historischen Ortskern mit seinen schmalen Straßen und Gassen erreichen Sie über vier historisch bedeutsame Stadttore in den vier Himmelsrichtungen."
Auf den dritten Blick fällt es auf. Die Mülleimer. Aus den anthrazitfarbenen Pflastersteinen wachsen sie wie in Bundeswehr-Camouflage empor. Schüchtern stehen sie neben den ebenso kolorierten Bänken. Jede zweite Ladenmarkise, anthrazitfarben. Blumenkübel: Anthrazit. Hochwertig. Geschmackvoll. Wie aus einem Einrichtungshochglanz-Magazin. Darauf ein Logo. Orange. City Outlet. Wenn man es einmal gesehen hat, ist es nicht mehr zu übersehen.
Welter: "Mittelalterlich, modern, alles in einem. Einschließlich Outlet. M.K.: haha, Sie nehmen gleich so das Outlet in Schutz. Nein, ich nehme das nicht in Schutz. Sondern es gehört jetzt einfach hier dazu."
Helga Welter. Strenger Blick. Weiße Haare. Sie führt ein Hotel. Wie in alten Zeiten. In einem kleinen Raum serviert sie ihren Gästen persönlich das Frühstück. Wohnzimmeratmosphäre. Jeden Morgen beugt sie sich über den gedeckten Tisch und spricht laut vor sich hin: Marmelade, Käse, Ei, Brötchen. Grotesk und liebevoll, rheinländisch, deutsch.
Welter: "In den 80ern war es sehr, sehr gut besucht. Dann ging das später über die Gesundheitsreform etwas zurück. Wurde auch stärker später. Dann kam der demografische Faktor dazu. Das dann der ein oder andere Laden zum Vermieten oder Verkauf stand. Und so hat sich das eigentlich ergeben. Das die Investoren gesagt haben, ja, fangen wir einfach mal an. Haben damals das ehemalige Hotel Brand hier gekauft. Ja, das war eigentlich der Anfang."

Dann kam das Outlet Center

Bad Münstereifel hat 2014* ein Outlet Center eröffnet. Aber nicht auf einer Wiese in einem nichtssagendem Nutzbau. Nein. Es wurde mitten in die Stadt gebaut. Nicht zusammenhängend, sondern: einzelne Läden wurden aufgekauft. Bekannte Marken zogen ein. Jack Wolfskin, Esprit, Lindt. Einmalig bisher in Deutschland. Das Experiment: Eine Stadt wird zum Einkaufscenter.
Welter: "Was sie kaufen konnten, haben sie gekauft. Bis zum heutigen Tag. Und werden auch noch weiter kaufen. ..."
Ein Drittel der innerstädtischen Ladenfläche wurde aufgekauft und gehört jetzt dem City Outlet Center. Binnen sechs Jahren.
Welter: "Atmet tief ein. Was heißt Angst. Ob das jetzt Herr Hinz heißt oder ob das ein Herr Brucherseifer ist. Ist doch im Prinzip egal. Wenn der das kauft, und will es wieder vermarkten, kann das doch nur positiv sein."
Outlet Center. Das Versprechen: Luxus für alle. Das Geschäftsmodell: Markenartikel, vor allem Mode wird zu kleinen Preisen verkauft. Es sind Vorjahreskollektionen die billig angeboten werden. Levis für unter 100 Euro. Outdoor Jacken mit dem Versprechen nach Abenteuer, erschwinglich für Tagesurlauber. SALE. Das ganze Jahr über.
Welter: "Ein Geschäft, das leer steht, ist nie positiv. ... Ich sage jedes Geschäft und wenn es nur fünf sind, die dann leerstehen, ist kein guter Eindruck. ..."
Billig muss es sein für den Kunden. Aber bitte nicht das Ambiente. Zwei T-Shirts zum Preis von einem. 15 Euro. Mit Markenlogo, das auf dem Schulhof oder im Büro den sozialen Status sichert. Ramsch?
Welter: "Das kann man jetzt so eigentlich nicht sagen. Also ich habe nicht den Eindruck. Gut, die Leute kommen natürlich hierhin und wollen irgendwas Günstiges erwerben. Aber es war ja immer schon so. Qualität ist auch im Outlet, kostet auch sein Geld immer noch. Trotz Rabatten."
Helga Welter stellt sich schützend vor das Projekt und die Investoren. Als Gastronomin ist sie angewiesen auf den Tourismus. Die Stadt hatte jährlich drei Millionen Touristen.

Einst kamen Gäste für Kneipp-Kuren

Das Siegel Kneipp brachte einst Massen. Wasser treten. Naturheilkunde. Gesundheit. Sebastian Anton Kneipp. Römisch-Katholischer Priester entwickelte die Therapieform im 18. Jahrhundert. Der Kneipp-Bund vergibt das Siegel an Ortschaften. Lange Zeit war das ein Garant für Tourismus und Einnahmen. Die Gesundheitsreform im Jahre 2003änderte dies. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten seitdem nicht mehr. Ein Gnadenschuss für viele Gemeinden. Eier, Marmelade, Brötchen. Helga Welter serviert sie bis heute. Jeden Morgen.
Ein Puma im Sprung. Eine Leuchtreklame über einem Geschäft für Turnschuhe. Darüber sitzt sie. Die Verwaltung des Outlet Centers. Genau gegenüber des Rathauses. Eine steile Treppe führt in die Räume voller Glaswände. Agenturatmosphäre. Junge Leute, modisch gekleidet. Auf Whiteboards sind Termine gekritzelt. Stadtfest. Stadtkonzert. Jahrmarkt. Ich werde erwartet von Lars Wellinger. 27 Jahre. Leiter des Outlet Centers.
Wellinger: "Ursprünglich komme ich aus Wilhelmshaven. Da bin ich geboren. Bin viel umgezogen. Habe auch drei Jahre in den Niederlanden gelebt. Zwei Jahre in Reinle. Das liegt einfach daran das mein Vater Berufssoldat ist."
Seit eineinhalb Jahren sitzt er im Sattel. Manager vom City Outlet Center. Mit 27! Als ich 27 war, war ich froh, wenn ich es pünktlich zur Vorlesung geschafft habe. Lars Wellinger ist im Begriff, Karriere zu machen. Aber das Mikro verunsichert ihn. Eben noch kräftiger Händedruck und sich seiner Position bewusst, so rückt er beim Sprechen immer weiter weg von meinem Aufnahmegerät.
Wellinger: "Mhhh, für mich ist es jetzt, also auch wenn es mein Arbeitsort ist, ich gehe durchs Stadttor und fühl mich so: die heile schöne Welt. Das ist für mich ganz wichtig. Also sobald ich Bad Münstereifel betrete, ist für mich, eigentlich ist es ein schöner Ort und das ist trotzdem ich hier arbeite, ist es wunderschön und man kann hier doch relaxen und ein bisschen abschalten."
Als das City Outlet Center gegründet wurde, da war Lars Wellinger gerade in Australien auf einem "Work and Travel" unterwegs und mit seinem BWL-Studium beschäftigt. Aber es gibt eine Geschichte. Die jeder in Bad Münstereifel zu kennen scheint. Wie eine Legende wird sie weitergetragen. Bis aus ihr wahrscheinlich Wahrheit wird. Die Entstehungsgeschichte des City Outlets. Unternehmer mit Herz und Hand. Lars Wellinger betet sie aus dem FF herunter. Wie bald wohl jedes Schulkind in der Gegend.
Wellinger: "Was gesagt wird, es war ein Winterspaziergang. Da kam diese Idee. Und man hat natürlich auch gesehen, dass in Bad Münstereifel der Leerstand wächst. Die Stadt verfällt mehr. Und wie gesagt, da ist es eine Herzensangelegenheit, da waren das dann drei lokale Investoren. Und ich glaube, anders funktioniert das auch nicht. Es war ein Pilotprojekt. Keine Bank wäre dieses Risiko, glaube ich, eingegangen. Darum war es auch sehr viel Eigenkapital. Und das war schon wichtig, dass das vom Herzen aus kommt. Und ich glaube, da gehört auch sehr viel Mut dazu."
"Deutschland ein Wintermärchen, Caputh V:
Und als ich an die Rheinbrück' kam,
Wohl an die Hafenschanze,
Da sah ich fließen den Vater Rhein
Im stillen Mondenglanze.
'Sei mir gegrüßt, mein Vater Rhein,
Wie ist es dir ergangen?
Ich habe oft an dich gedacht
Mit Sehnsucht und Verlangen.'
So sprach ich, da hört ich im Wasser tief
Gar seltsam grämliche Töne,
Wie Hüsteln eines alten Manns,
Ein Brümmeln und weiches Gestöhne:
'Willkommen, mein Junge, das ist mir lieb,
Daß du mich nicht vergessen;
Seit dreizehn Jahren sah ich dich nicht,
Mir ging es schlecht unterdessen.
Heinrich Heine, 1844."
Wellinger: "Es wurde damals auch ein Versprechen abgegeben. Das wurde auch eingehalten. Das sieht man auch jetzt. Ich finde, wir haben das Outlet sehr schön in die Stadt integriert. Es ist auch sehr schön, ich finde, was dieses Projekt auch ausmacht."

An jedem zweiten Laden klebt ein Aufkleber mit "Outlet"

Drei Investoren fanden sich zusammen. Unternehmer aus der Gegend. Und fingen an aufzukaufen. Georg Cruse, Marc Brucherseifer und Rainer Harzheim. Heute finden sich nur noch zwei Namen im Impressum des City Outlets. Marc Brucherseifer und ein Mann Namens Harry Ley. Harry Ley ist Mitinhaber der Ley Group. Ein lokales Fashionimperium. Sie besitzen mehrere City Outlet Center und vertreiben als Franchisegeber Marken wie Esprit und Closed. Ihr Sitz: Euskirchen. 15 km entfernt von Bad Münstereifel.
Wellinger: "Früher waren Leute gegen das Projekt. Jetzt sagen sie, ist doch super schön geworden. Und wir geben uns sehr viel Mühe, dass wir transparent sind. Was haben wir überhaupt vor. Und das ist auch so ein Ansatz, der, den wir verstärkt verfolgen sollten.
Ich denke, wenn man hier die Stadt betritt, dann ist kein Vorbeikommen."
Kein Vorbeikommen. Ist das gewollt? Es wirkt so, dass sich das Center eher in die Stadt einfügen will. Nicht zu sehr auffallen. Aber dominieren. Neben den Outlet Geschäften gibt es auch noch unabhängige Geschäfte. Jeder zweite Laden klebt die Worte OUTLET in sein Schaufenster. Ein unsichtbarer Druck.
Wellinger: "... Was man nicht vergessen darf, dass Heino hier sein Kaffee hatte. Ich weiß, dass auch viele zum Heino-Kaffee gekommen sind. Haben eben geguckt, ob Heino auch vor Ort ist. Wir sitzen übrigens genau über dem Café, wo es damals war. Der jetzige Puma-Store. ... Heino ist Kult. Heino ist auch sehr beliebt. Und Heino war oder Bad Münstereifel stand für Heino. Klischeehaft war Sahnetorte und Heino besuchen."
Bad Münstereifel und Heino. Das gehört zusammen. Das ist ein Naturgesetz. Ich muss nicht lange suchen und finde seine Spuren. Man muss kein Indiana Jones sein. Nur den Plakaten folgen. Und dann steht man da. Vor einem Hotel. Ehemals Kur-Hotel. Heute eben vor allem Heino-Residenz. Gleich neben einer privaten Schönheitsklinik. Er bewohnt den ersten Stock des Hotels.
"Ach, das macht der ganz bestimmt. Der gibt Ihnen ein Interview", sagt die Wirtin zu mir. Setzen Sie sich doch. Kaffee? Stück Kuchen? Der kommt gleich zum Frühstück runter. Ein kleiner Raum. In Glasvitrinen stapeln sich die Preise. Goldene Stimmgabel, ZDF-Preise. Ich muss an meine Kindheit denken und wie ich mit meinen Großeltern "Wetten dass" geschaut habe, und dazu Käsestüllchen und Tee mit Saft von meiner Oma serviert bekam. An den Wänden seine Goldenen Schalplatten. Sympathisch unaufgeregt. Auf einem Hocker steht ein Radio und dudelt. Und dann kommt er.
Heino: "Ich war ja der erste, der 1965 angefangen hat in einer Zeit, wo die Beatles auf den Höhepunkt ihrer Karriere waren, da kam ich mit Volksliedern. Das war ungewöhnlich, aber das war eben mein großer Erfolg. Und viele Menschen sind mir gefolgt und deswegen folgen sie mir auch heute noch. Ich bin mit den meisten alt geworden und ich habe dank meines Wesens meinen Umgang mit Menschen, weil ich auch nie mich habe verbiegen lassen. Deswegen bin ich immer noch froh, dass ich immer noch singen darf."

Schlagersänger Heino hält Einkaufstüten hoch

Er hat sich gut gehalten. 79 Jahre ist er alt. Lässig sitzt das Hemd. Die Sonnenbrille sitzt wie eh und je. Plaudernd schlendert er durch die Lobby. Heino ist so wie der Snoop Dogg der Volksmusik. Glamourös, eitel, verstaubt und modern zugleich. Kaum ein Musiker, der sich so lange an der Spitze des Musikbusiness gehalten hat. Sein ewiges Thema: der Kitsch der Heimat.
Heino: "Es gibt keinen speziellen Song, aber wenn man die ganzen volkstümlichen Lieder zusammen nimmt, die ich alle gesungen habe: Hoch, auf dem gelben Wagen oder Sah ein Knab ein Röslein steh‘n – das sind natürlich alles Lieder, die sich mit Gegenden befassen. Und am Brunnen vor dem Tore, Ännchen von Tharau. Wenn man die hier singt in einer Umgebung, wo ich wohne, da passen die hin. Das sind natürlich Titel, die passen nicht zur Stadt."
Sein letztes Album rettete ihn hinüber in die Gegenwart. Er coverte von den Toten Hosen über die Ärzte bis hin zu Rammstein. Interpretierte sie im Schlagerstil. Ein Erfolg, der bis heute nachhallt. Internationale Erfolge. Touren bis nach Amerika und Asien. Doch Heino ist verwurzelt in Bad Münstereifel. Auch nachdem sein Café schließen musste, weil der Mietvertrag nicht mehr verlängert wurde.
Heino: "Ich habe erst in Ölpenich gewohnt in der Voreifel, ich bin ja Düsseldorfer. Und durch meinen Vertrag vor fast 52 Jahren habe ich einen Schallplattenvertrag bekommen von der Schallplattenfirma Electrola in Köln, und da musste ich immer von Düsseldorf nach Köln fahren jeden Tag. Und das war so ein bisschen nicht schön. Dann bin ich umgezogen."
Früher war es die Stadt, die mit seinem Konterfei warb und um Gäste buhlte. Heute hält Heino lachend Einkaufstüten in die Kamera und ziert die Webseite des City Outlets. Die Stadt und Heino. Jetzt ist es das Einkaufscenter und Heino.
Heino: "Eine Stadt hat es natürlich immer schwer, eine Stadt wie Bad Münstereifel. Wenn man diese Stadt nimmt und wenn man die Entwicklung dieser Stadt sieht, dass vor der Stadt große Kaufhäuser gebaut worden sind und auch hinter der Stadt. Wenn ich durch Bad Münstereifel fahre, komme ich vorher an großen Kaufhäusern vorbei und hinterher wieder. Ok, die Stadt kriegt dann ihre Gelder und das ist dann das Problem. Je mehr ich vor der Stadt Supermärkte baue – die Leute fahren dann ja nicht mehr in die Stadt. Wird die die Stadt von innen ausgetrocknet, die Leute gehen nicht mehr rein, die Geschäfte machen, die machen dicht. Vor der Stadt kriegt die Stadt ja Gewerbesteuer ohne Ende, kann ich auch verstehen. Aber dadurch trocknet der Kern aus. Das war jetzt ein Glück, dass Unternehmer gekommen sind und haben hier ein Outlet Center gebaut, was sehr gut funktioniert. Ich würde Ihnen gern den Stuhl da vorn anbieten, ich komme dann zu Ihnen. Hier vorne am großen Tisch."

Die Geschichte der Stadt ist im Keller

Harald Bongart will mir die Geschichte der Stadt zeigen. Er führt mich ein paar Treppen hinab. Unheimlich. Die Geschichte ist im Keller. Eingelagert in Aktenschränken.
Bongart: "Wir sind gerade im Archiv von der Stadt Bad Münstereifel, sitzen so, dass wir die große Compactus-Anlage mit den Akten im Rücken haben. Wir haben den Blick auf die Schränke, in denen die Originalurkunden aufbewahrt werden. Bad Münstereifel hat ein hoch interessantes Stadtarchiv. Wir haben also die 200 Originalurkunden. Der älteste Text ist von 1339, der ist allerdings nur in einer Abschrift überliefert. Und die älteste Originalurkunde ist von 1414."
Der Keller ist kühl. Ich bin froh, der Hitze für eine Stunde zu entkommen. Aber der Keller ist eng und dunkel. Und manchmal brummt die Klimaanlage laut vor sich hin. Bad Münstereifel verdankt seine Existenz den Mönchen, die eine Abtei gegründet haben und einen Wallfahrtsort und einen Markt etablierten.
Bongart: "Dann findet dieser Ort Anschluss an den Fernhandel. Das ist so, dass wir Verbindungen nach Köln, nach Aachen, Frankfurt, nach Antwerpen, über Antwerpen waren wir mit dem Nordseehandel verknüpft, und ungefähr 300 Jahre blüht diese Stadt dann als Fernhandelsstadt. Dann bricht der Markt zusammen. Grund dafür sind äußere Einflüsse. U.a. der Aufstand der Niederländer, die sich von der spanischen Herrschaft freimachen wollten. Und Münstereifel findet dann einen anderen Weg. Man macht dann aus dieser ohnehin schon sehr katholischen Stadt eine sehr, sehr katholische Stadt. D.h., es wird ein Zentrum der Gegenreformation."
Harald Bongart ist groß und kräftig, trägt Hut und Bart. Er wirkt, als müsse er nur noch schnell seine Lederweste holen, sich aufs Motorrad schwingen und gleich die knapp 600 Kilometer Richtung Wacken fahren, zum Heavy-Metall-Festival. In Bad Münstereifel kennt er jeden Stein und dessen Geschichte.
Bongart: "Im 19. Jahrhundert verpasst Bad Münstereifel den Schritt in die Moderne. Die Stadt, die vorher eine Handels- und Gewerbestadt war, war eine Klosterstadt geworden. Die Klöster gehen verloren, im 19. Jahrhundert, da schafft man den Anschluss an die Moderne nicht. Das Stadtbild wird konserviert. Dann entdeckt man das Stadtbild als Wirtschaftsfaktor und man macht das dann so, dass man sagt, wir müssen Touristen hierhin holen. Das baut man aus, in dem man Bad Münstereifel zu einem Kneipp-Heilbad macht, das Kneipp-Heilbad des Westens. Und das ist eine Entwicklung, die lange Zeit gut läuft bis in die 1990er Jahre."
Harald Bongart bildet druckreife Sätze, die sich mühelos durch die Jahrhunderte der Münstereifeler Geschichte schlängeln. Was früher eine offene Zukunft mit allen möglichen Wendungen und Überraschungen war, wird durch ihn zur vollkommen klar abgelaufenen Geschichte. Das Zeitalter des Kurwesens war zu Ende, ein neues musste her. Die Stadt musste sich immer wieder neu erfinden, sagt Harald Bongart. Nur manchmal dauert das eben. Schon einmal vergingen drei Generationen, um die Stadt wieder lebendig werden zu lassen. Das war im 18. Jahrhundert. Und nachdem die Kuren wegbrachen – weil es eine Gesundheitsreform gab und Kuren nicht mehr so großzügig verordnet wurden, vergingen wieder viele Jahre, in denen Bad Münstereifel keine Idee hatte und einfach auf die Zukunft wartete. Was macht man mit einer Stadt, die schön ist, aber klein? Was macht man mit einer Stadt, in der die Kurgäste früher vier bis sechs Wochen blieben – und die heutigen Touristen im Schnitt nur zwei, drei Nächte?
Bongart: "Man muss ja sehen, dass man von Geschichte allein nicht leben kann. Man muss sie darstellen, man muss sie vermarkten. Das gelingt jetzt im Grunde genommen wieder. Die Gäste, die hierhin kommen, um hier einzukaufen, die schätzen einfach auch das Stadtbild."
Von der Geschichte allein kann man nicht leben, sagt der Historiker Bongart in seinem kühlen Keller im Rathaus. Irgendwo da oben sind aber auch ein paar erhitzte Gemüter, die sich mit dem Outlet-Center nicht anfreunden wollen. Harald Bongart kennt sie natürlich. Hier kennt jeder jeden.
Bongart: "Wir hatten z.B. einen Vorsitzenden, der Vorsitzender des Geschichts- und Kulturvereins war. Der hat dann gesagt, Münstereifel verliert seine Seele. Das ist für mich, der ich von Kindesbeinen an diese Stadt kenne und seit 25 Jahren auch hier wohne, ich wohne mittendrin, das ist bei vielen, aus der IG Stadtentwicklung, nicht der Fall."

Bürger möchten bei der Stadtentwicklung mitsprechen

Die IG Stadtentwicklung ist eine Initiative von Bürgern, die gerne mitreden möchte, wenn es um die Zukunft ihrer Stadt Bad Münstereifel geht. Sie wollen etwas verhindern, dass sie Fashion-Outlet-Monokultur nennen.
Bongart: "Ich wüsste bis heute nicht zu benennen, was denn eigentlich die Seele der Stadt ist. Ich kann aber sehen, dass die meisten Leute, die im Münstereifler Stadtgebiet leben, davon leben, dass sie als Berufspendler nach auswärts fahren. D.h., dass es hier in Münstereifel zwar eine Vielzahl von Schulen gibt...aber Münstereifel bietet für die Leute, die die Schule verlassen, keine Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl, keine Arbeitsplätze, und es hat auch niemand aus der IG Stadtentwicklung benannt, wie man diesen Abwärtstrend, in dem Münstereifel zweifelsohne war, denn hätte stoppen können. Es hat niemand eine wirkliche Alternative entwickelt. Man hat nur gesagt, so darf es nicht sein."
Harald Bongart dreht an seiner Archivschrankanlage. Die Jahrhunderte rücken zusammen. Der Stadthistoriker hat die Geschichte jetzt im Rücken und führt mich wieder nach draußen.
Bongart: "Wir befinden uns in Bad Münstereifel und zwar in der Fiebergasse. Das ist eine Gasse, die den Namen gewechselt hat. Sie hieß mal Gewandhausgasse, später dann Fufengasse und ab der Zeit des 18. Jahrhunderts heißt sie dann Fiebergasse, benannt nach einer jüdischen Familie, deren Nachfahren heute in Israel leben."
Von der Geschichte führt mich Harald Bongart in die Gegenwart. Die Gegenwart heißt Outlet. Und ein bisschen auch Outlet-Kritiker. Die Outlet-Kritiker reden nicht gerne. Als wir bei einem an der Tür klingeln und er mein Mikrofon sieht, ist er kurz verdutzt. Und er redet sich von der Leber, was ihn alles stört. Aber in ein Mikrofon will er nicht sprechen, seinen Namen will er nicht im Radio hören. Die Kritik hat nichts gebracht.
Das Outlet kam einfach, und frisst sich seitdem durch die Stadt wie eine Krake. Oder wie eine Heuschrecke. Der Kritiker ist sauer. Und er ist frustriert, weil nichts die Heuschreckenkrake aufhalten konnte. Und weil die Verantwortlichen der Stadt nicht einmal das Problem erkannt haben. Der Kritiker hält inne in seiner Rede. Er will endlich schwimmen gehen. Und Harald Bongart verabschiedet sich. Die Kritiker haben Argumente. Aber sie sind müde geworden. Interviewanfragen werden nicht beantwortet. Nach mehreren Versuchen kommt endlich eine Mail:
Zitator:
"Hallo Herr Klein,
wir haben in den letzten Jahren nur grottenschlechten Journalismus über das Outlet erlebt und viel Zeit für nichts vergeudet. Es kommen immer nur Stimmungsberichte und es fehlt jegliche seriöse Analyse einer nachhaltigen Stadtentwicklung, der öffentlich-rechtliche und der kommerzielle Journalismus in Deutschland zeigte keinerlei Interesse daran.
Warum sollte das bei Ihnen anders sein?
Wie viel Sekunden für uns hätten Sie denn so im Angebot? Es ist nichts Persönliches, es ist ein strukturelles Problem, dass es keinen analytischen
und nachhaltig an Entwicklung interessierten Journalismus genauso wie keine nachhaltige Stadtentwicklung gibt. Beide Ebenen ordnen sich willig dem vermeintlichen Profit kurzfristiger Umsätze (Outlet) oder Aufmerksamkeit (Journalismus) unter.
Mit freundlichen Grüßen"
Ich bin ratlos. Ich hatte nicht nur ein paar Sekunden für die Kritiker eingeplant. Sie reden nicht, aber sie sind im Internet aktiv. Stadtentwicklung Bad Münstereifel heißt ihre Seite:
"Das Konzept das Outlet-Konzept funktioniert…. Für wen funktioniert es denn? Sicher nicht für alle Bürger, sicher nicht für das Gemeinwohl. Scheinbar bisher für die Investoren und Betreiber, wobei diese dies bis eine Minute vor einem Bankrott schwören würden."
"Bei der politischen "Elite" der Stadt ist KEIN UMDENKEN erkennbar, sie versucht zwar Bürger der Stadt bei 'Bürgerbeteiligungsverfahren' intellektuell und moralisch auszubeuten, um davon zu profitieren, tatsächlich beteiligen aber wollte sie uns Bürger in den vergangenen 20 Jahren nie und WILL ES AUCH HEUTE NICHT."
"Heute Dienstag 14.03. Ratssitzung - im nicht öffentlichen Teil wird der Umwidmung des Parkplatzes neben dem Altenheim als Bauland (Gewerbe) verabschiedet und
der alte Vertrag mit Herrn Brucherseifer nicht geändert.
Das bedeutet einen erheblichen finanziellen Verlust für die Stadt Bad Münstereifel."
Und wieder wird einem Investor so entgegengekommen, dass die Allgemeinheit dafür zahlt.
"Bad Münstereifel 2017 - geändert hat sich nichts und die Bürgermeisterin ist Teil des Spiels. Wir freuen uns auf die nächsten Wahlen und fragen uns, wie die anderen Parteien sich dazu positionieren."
"Die Stadt hat sich verändert, es gefällt mir trotzdem irgendwie, die Wege, die nicht so überlaufen sind, sind noch die alten. Das Parken ist etwas schwieriger geworden. In Windeseile hat man einen netten Zettel hinter der Windschutzscheibe. Alles OK, man muss den Wandel der Zeit akzeptieren. Aber dann gehe ich als erstes zum Friedhof, wo meine Eltern ihre letzte Ruhestätte haben. Es ist unfassbar, wie dieser Ort verkommt. Ungepflegte Gehwege, Unkraut wo man hinsieht, von der lauten Umgehungsstraße ganz zu schweigen. Wohlgemerkt: es ist die letzte Ruhestätte, der Ort, wo viele alte Münstereifeler liegen."

Die Bürger werden informiert

Auf dem Parkplatz stehen große, geputzte Autos. Die Bürger von Bad Münstereifel sind in die Aula der Fachhochschule eingeladen. Sie werden informiert. Die Bürgermeisterin hat eine Marketingagentur damit beauftragt. Sie selbst kommt aus dem Bereich Marketing. In der Politik ist sie Quereinsteigerin. Sie hat eine Diplomarbeit geschrieben: "Stadtmarketing als Instrument zur Revitalisierung und Attraktivierung von Städten".
In der Aula werden Gesprächskreise gebildet. Die Themen sind vorgegeben. Die Bürger können über den Stadtalltag reden. Es wirkt organisiert – etwas zu gut. Für Spontanität ist kein Platz. Fast alle Stühle sind besetzt. Alle sitzen zusammen. Nur einer sitzt etwas verlassen da. Es ist Hans Meiser, lange Jahre eines der Gesichter von RTL. Er wohnt in Bad Münstereifel und interessiert sich dafür, was in seiner Stadt passiert.
Meiser: "Ich war ganz überrascht, Sie hier gerade zu sehen."
"Wieso?"
"Ich wusste nicht,... Ich bin im Vollbesitz meiner Bürgerlichen Ehren, Dingens, wie heißt das da. Ehrenpflichten, genau ja."
"Warum lebt man hier?"
"Das kann ich Ihnen ganz einfach sagen. Ich habe ja über 20 Jahre in Luxemburg gelebt. Dann kam mein damaliger Arbeitgeber, mit dem ich heute nichts mehr am Hut habe, nach Deutschland. Und ich musste irgendwas suchen, ein Haus für die Familie und bin hier hängengeblieben. Und bin darüber sehr froh."
"Wie kam Ihnen gerade die Veranstaltung vor?"
"Naja, ich war früher sehr aktiv zu meiner Schulzeit. Ich bin ja schon ein alter Sack. Aber in der Schülermitverwaltung, so hieß das. Da wo ich zur Schule ging. Das war schon so ein bisschen ähnlich hier. Man hat nicht alles verstanden. Aber man hat es so gemacht, als hätte man alles verstanden."
Hans Meiser wohnt seit Jahrzehnten in Bad Münstereifel. Und er interessiert sich für seine Umgebung.
Hans Meiser: "Die Stadt war sehr lebendig, als ich hierher gezogen bin. ‘88. Zwischendurch war die aber auch tot, bin ich weggezogen. Das hatte aber andere Gründe. Dann bin ich wieder zurückgekommen. Das war in dieser Aufbauphase des Outlet Centers. Die ist jetzt sehr belebt, die Stadt. Ist schön."
Ist schön, sagt Hans Meiser. Aber Outlet – es ist auch ein Schlachtfeld. Hans Meiser, der alte Nachrichtenmann, hat gleich einen Nachrichtenbegriff dafür – einen der modernen Kriegsbegriffe:
Meiser: "Ja, ich meine das einzige Outlet Center, das so wirklich in der Stadt implimen... na, Embedded ist, wie der Amerikaner sagen würde. Das ist eigentlich ganz gut. Das funktioniert ganz gut. ... Also, wenn ich auf anderen Outlet Centern bin – ob das jetzt Remond ist oder ich weiß nicht, Metzingen oder Schwäbischen Alb, da laufen die mit 500 Papiertüten rum. Hier laufen sie mit zwei Plastiktüten raus. Aber das ist ja in Ordnung. Das ist ja deren Ding und nicht meins."
"Und Sie möchten Bürgermeister werden?"
"Sind sie wahnsinnig - lacht. Unter Garantie nicht."
Er lacht und er geht in einen der Stuhlkreise. Die Bürgermeisterin kommt auf mich zu. Jemand hatte ihr erzählt, dass das Radio in der Stadt ist und Interviews macht. Wir verabreden uns im Rathaus.

Das Outlet sei die Rettung

Das Rathaus befindet sich genau gegenüber dem Verwaltungsgebäude des Outlet Centers. Kurze Wege. Die Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian residiert in der ersten Etage. Das Outlet – ist Rettung für die Stadt, Segen, etwas Tolles – so sieht sie es:
Bürgermeisterin: "Und das war eine sehr charmante Idee. Die ja drei Bad Münstereifeler Bürger hatten. Die haben gemeinsam Sport gemacht und die waren der Meinung, wir lieben unser Städtchen. Wir möchten da auch gerne etwas Schönes installieren. Und der Stadt helfen, dass dieser Leerstand auch verbessert wird."
Sabine Preiser-Marian liebt die Idylle – politisch. Wenn es um das Outlet-Center geht, kennt sie nur eine Sichtweise: Alles ist schön.
Bürgermeisterin: "Ja also für die Stadt gibt es wirklich nur Vorteile. Weil wir haben dadurch am Stadtbild immens gewonnen. Wenn sie durch die Stadt gehen, merken sie auch gar nicht, dass Sie in einem Outlet sind. Weil Werbeanlagen sehr dezent sind. Sehr zurückhaltend. Sich auch wunderbar ins Stadtbild auch einpflegen. Und unsere Denkmale, die alten Gebäudesubstanzen, sind ja saniert worden. Mit sehr, sehr viel Investitionen."
Sabine Preiser-Marian überlegt nicht, wenn sie antwortet. Das Outlet ist Rettung – und fertig.
Bürgermeisterin: "Aber es ist eben einmalig. Dass es so ein innerstädtisches Outlet gibt. In dieser Art gibt. Und das macht uns auch aus. Und das ist natürlich ein Pfund für die Stadt, weil, das erhöht unseren Bekanntheitsgrad in der Form. Ich sage schon immer ich habe hier einen wahren City Outlet Tourismus. Ich habe hier Kollegen von weit entfernten Städten, muss ich sagen. Die wissen wollen, wie habt ihr das gemacht. Die das auch nachahmen wollen. Ja, das ist dann immer so ein bisschen ernüchternd, wenn ich dann eben sage, da sind auch viele Zufälle zusammen gekommen."
Die Bürgermeisterin stolpert über den Begriff Gentrifizierung. Als ich ihr erkläre, dass das die Vertreibung der angestammten Bewohner aus ihrem Viertel ist, sagt sie:
Bürgermeisterin: "Es heißt schon mal, ahh, wir mussten hier dem Outlet weichen. Aber das ist hier nicht so. Das hat dann andere Gründe. Dass man vielleicht insolvent war. Oder eben seinen Betrieb nicht mehr mit Rendite betreiben konnte. Da ist man ja auch oft nicht so ehrlich."
Und was sind nun die Vorteile, wenn ein Drittel der Stadt inzwischen vom Outlet Center bewirtschaftet wird? Die Bürgermeisterin hat schnell eine Erklärung zur Hand. Der Leerstand ist weniger geworden. Geschäfte sind vermietet. Die Einnahmen der Stadt müssten also gestiegen sein. Doch Sabine Preiser-Marian spricht von Parkplätzen:
Bürgermeisterin: "Also es sind Parkplätze geschaffen worden. Im Außenbereich. Die betreibt zum Teil auch das Outlet Center. Aber sehr viele gehören auch noch der Stadt. Also wir haben Parkeinnahmen seit Eröffnung des Ooutlet-Centers immens erhöht. Und da profitieren wir schon alleine von den Parkeinnahmen. Und wir haben noch sehr viele in Eigenregie."
Mütter: "Die Stadt hat natürlich irgendwann gemerkt, dass Gewerbesteuereinnahmen durch das Outlet nicht zu erzielen sind. Das war im Prinzip vorher klar. So weit wie ich weiß wird der Großteil der Steuern wohl in dem Land oder in der Stadt abgeführt, wo der Hauptfirmensitz ist. Das sind ja hier alles nur Unterabteilungen."
Die Stadt wird zum Outlet Center. Lange leerstehende Geschäfte empfangen plötzlich wieder Kunden. Besucher kommen wieder in die Stadt. Die Einheimischen freuen sich, dass das Sterben von Bad Münstereifel erst einmal abgewendet wurde. Es könnte so schön sein.

Früher gab es viele unterschiedliche Läden

Doch etwas stimmt nicht. Die früher so unterschiedlichen Läden sehen so gleich aus: Überall prangt der Schriftzug: Outlet. Als wäre es ein neuer Name für die Stadt. Josef Mütter wollte nicht mit dem Radio reden – eigentlich. Viele schweigen.
Josef Mütter: "Viele haben natürlich auch Sorge, dass sie es sich vielleicht mit den Investoren verscherzen oder keine Ahnung. Ich habe mit denen andere Erfahrungen gemacht. Man kann sich auch wehren. Das nehmen die dann auch sportlich. Das kann man auch selber sportlich nehmen. Oder man betet sie an. Das ist nicht meins."
Das Outlet hat Josef Mütter lange genug beschäftigt. Josef Mütter betreibt eine Buchhandlung. Er sieht sich nicht einmal als Gegner des Großinvestors, nur als jemand, der zweifelt. Jubelarien sind ihm fremd. Mit dem Outlet Center hat er seine eigenen Erfahrungen gemacht.
Mütter: "Das war eine Räumungsklage. Ich hatte vorher einen alten Laden am Tor, das Haus haben die Investoren dann irgendwann gekauft. Da gab es dann einen laufenden Mietvertrag. Und so wie es aussieht, haben die irgendwann vergessen, den Vertrag zu kündigen, weil der sich automatisch verlängert. Und das war natürlich für die sehr ärgerlich. Und da fand ich es halt blöd, dass man nicht miteinander redet, sondern dass man halt direkt die volle Breitseite mit einer sehr abenteuerlichen Räumungsklage, die aber keinen Bestand hatte. Im Endeffekt haben wir uns auf irgendwas geeinigt und gut ist."
Etwas musste passieren in Bad Münstereifel. Es ist nachvollziehbar, dass ein Investor hier willkommen geheißen wird. Aber:
Mütter: "Wo bei mir es dann schwierig wird, wenn man dann anfängt, auch bestehende Läden, die auch noch funktionieren, zu übernehmen, in dem man irgendeinen Hauseigentümer mehr Geld anbietet und der an seine Rente denkt, dann interessiert den herzlich wenig, ob da irgendeiner schon seit Jahren drin ist und eine kleine Miete zahlt. Dann sind dann auch einige, die mussten auch raus. Das ist eine Sache, die finde ich echt schwierig."
Es heißt schon mal ahh wir mussten hier dem Outlet weichen. Aber das ist hier nicht so. Das hat dann andere Gründe. Dass man vielleicht insolvent war. Oder eben seinen Betrieb nicht mehr mit Rendite betreiben konnte. Da ist man ja auch oft nicht so ehrlich.
Mütter: "Das Outlet hat halt einfach mehr Geld geboten. Und dann haben einige Hausbesitzer gesagt, super, mehr Geld finde ich klasse, nehme ich, also vermiete ich ans Outlet."
Mit Josef Mütter habe ich mich an einem Vormittag verabredet. Da kämen weniger Kunden. Eigentlich.
Frau: "Wir sind früher nie nach Bad Münstereifel gekommen. Wir kannten es zwar durch dieses Freibad oder dieses Schwimmbad. Seitdem es das City Outlet gibt, kommen meine Tochter und ich regelmäßig hierher, mindestens zwei- bis dreimal im Jahr. Und wir genießen das so, erstmal von diesem Ambiente her, weil das ja eine schöne, alte Stadt ist. Und eben auch die tollen Geschäfte, also wir finden immer was."
Mehrfach unterbrechen wir unser Gespräch. Es kommen immer neue Kunden. Eine Frau mischt sich ein:
"Ich muss Ihnen ehrlich gestehen, ich bin normalerweise kein Ladenkäufer, sondern Internet. Und wenn ich durch die Stadt gehe und gehe von einem Geschäft ins andere und finde nichts, dann gehe ich ganz frustriert an den PC und bestelle im Internet. Aber Bad Münstereifel ist wirklich eine Ausnahme, weil man hier eine große Auswahl hat. Die Verkäufer sind alle sehr freundlich. Und wir genießen auch das Ambiente hier. Das findet man in anderen Großstädten nicht so."
Mütter: "Das, was ich der Stadtverwaltung so ein bisschen vorwerfe, ein bisschen, weil es ist kein Kreativ-Center, es ist eine Verwaltung, die ihren Job macht. Wenn da jemand gekommen wäre, Bad Münstereifel hat eine schöne Stadtmauer, und gesagt hätte, wir machen hier den größten Puff Europas auf, da hätte selbst die CDU gesagt, Super-Idee. Und das ist so der Punkt, wo ich denke, manchmal drüber nachdenken oder Bürger oder andere Leute miteinbeziehen. Das findet hier leider überhaupt nicht statt."
Ich erinnere mich an die Bürgerversammlung. Josef Mütter kennt Veranstaltungen dieser Art.
Mütter: "Die Bürger werden hier immer mal mit ins Boot genommen, um denen zu sagen, was schon beschlossen ist. Da hat hier keiner mehr Lust drauf."
Josef Mütter ist es leid. Er mag die Heldengeschichten der edlen Investoren nicht mehr hören, die aus hehren Motiven die Stadt retten. Es ist ihm zu viel Pathos. Und zu wenig Ehrlichkeit. Ja, Investoren schaffen Arbeitsplätze. Aber Investoren wollen Geld verdienen. Und das ist legitim. Doch warum sagen sie das nicht einfach. Es geht ihnen um Profit. Und auch um Einfluss.
Mütter: "Man kann zumindest sagen, die haben eine Vision, die brennen dafür. Und die gehen über Leichen – das sage ich jetzt mal ganz klar. Da ist völlig egal, wer ist hier Freund oder sonst was, da haben hier auch einige Leute ihre Erfahrungen gemacht. Die wollen ihr Geschäft machen, was ich in Ordnung finde. Nur die Methoden, wie das geht, das sind nicht meine. Deswegen habe ich auch nur einen kleinen Buchladen und keine Riesen-Weltfirma. Das ist vielleicht der Unterschied. Man muss da wahrscheinlich ein bestimmtes Gen für haben. Das möchte ich denen nicht vorwerfen, aber das ist echt nicht meines. Aber die sind schon sehr straight unterwegs. Eindeutig."
Josef Mütter bleibt gelassen. Er ahnt, dass sich nichts ändern wird. Nicht in diesem Jahr und nicht im nächsten. Er weiß, dass es die Vielfalt ist, die eine Stadt für Einwohner und Touristen interessant macht, nicht die Monokultur. Er fürchtet, dass der Großinvestor gegen ihre Interessen handeln wird – und weiter wachsen und verdrängen will:
Mütter: "… Die kennen ja nur 500 Quadratmeter, ich stelle meine Regale rein, fertig. Das gibt es hier alles nicht. Dass das aber eine Chance ist, sich von anderen Outlet Centern abzuheben, haben die selber noch nicht verstanden. Oder es wird noch nicht nach außen transportiert, dass man sagt: Passt mal auf: Bad Münstereifel war früher Heino-City, das ist mittlerweile nicht mehr so. Jetzt ist es Outlet. Da kann ich nur sagen: Nein. Heino ist hier, es gibt noch jede Menge andere Leute, es gibt noch jede Menge Gastronomie, Einzelhandel und es gibt auch Outlet. Und diese Mischung, die müsste man wirklich viel mehr nach außen transportieren. Das ist wirklich zäh. Das findet leider immer noch nicht statt."
Stadtentwicklunng. Einkaufen. Politik. Gesellschaft. Steuern. Medien. Das Spiel Demokratie. Alles in Balance zu halten ist eine Kunst. Es ist nur ein Gefühl, aber Bad Münstereifel ist vorerst gerettet. Das Aussterben und Wegziehen ist beendet. Aber zu welchem Preis? Wie viel Demokratie und Unabhängigkeit sind noch möglich, wenn das Center die Hälfte der Stadt aufgekauft hat? Die Politik ist auf Kuschelkurs. Mit den Investoren verscherzen will es sich auch keiner. Doch für heute ist es einfach auch mal wieder nett, nicht alles in einen virtuellen Warenkorb zu schmeißen. Sondern zu flanieren. Sich berieseln zu lassen. Und sich eine Hose, eine Jacke, ein T-Shirt, ein Parfum, eine Mütze, Schuhe, eine Kette, ein Kleid ...
*In einer vorigen Version haben wir fälschlicherweise berichtet, das City Outlet sei 2011 eröffnet worden.
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