Chronist des Wandels

Von Bettina Ritter · 16.12.2008
Vom Palast der Republik, dem architektonischen Wahrzeichen der untergegangenen DDR, ist seit dem 2. Dezember nichts mehr übrig. Viel wurde über den Abriss diskutiert. Den Maler Christopher Lehmpfuhl hat das Thema so sehr beschäftigt, dass er den Abriss in Öl festgehalten hat. Mehrere Wochen stand er fast jeden Tag mit einer großen Leinwand und Farbeimern vor der Baustelle und malte - ein Chronist des Wandels.
"Es ist ja nicht nur der Abriss irgendeines Gebäudes, sondern es ist auch das Ende einer Ära. Also, es wird abgetragen, eine Ära wird abgetragen, so kam mir das auch vor."

Wie eine Wunde in der Stadt - so sei die Lücke, die der Palast der Republik hinterlassen habe, sagt Christopher Lehmpfuhl und schaut ernst. Im blau-rosa-gestreiften Pulli und Jeans sitzt der sportliche 36-Jährige in seinem Atelier in Berlin-Friedrichshain und nippt an seinem schwarzen Tee.

"Ich hab' eine Beziehung zu diesem Gebäude quasi posthum aufbauen können und es richtig ein bisschen lieb gewonnen. Und deshalb ist der Abriss für mich jetzt auch ein bissl schmerzhaft."

An den unverputzten, roten Backsteinwänden seines Ateliers hängen die fertigen Arbeiten. Bilder vom Abriss, 1,80 mal 2,40 Meter groß. Sie zeigen das, was vor wenigen Wochen noch vom Palast übrig war: graue Beton-Stelen, freigelegte Treppenhäuser. Wie einzelne, marode Zähne ragen sie empor. Dieser Anblick habe ihn so fasziniert, dass er ihn festhalten musste, sagt der gebürtige Berliner.

"Es ist für mich ein Ort, an dem für mich im Moment der stärkste Ausdruck von Zeitgeist und Veränderung ist. Ich finde, dass diese Ruine irgendwo ein Ausdruck unserer Zeit gewesen ist. Diese Zerrissenheit, diese Neuorientierung, dieses nicht genau wissen, was passiert jetzt, auch ein bissl was mit Angst und Skepsis und so."

Durch seine Abriss-Bilder ist Christopher Lehmpfuhl in den vergangenen Wochen noch ein bisschen bekannter geworden. Dabei hat Lehmpfuhl in Kunstkreisen bereits seit zehn Jahren einen Namen, hat sich ein großes Netzwerk aufgebaut, ist in bekannten Galerien vertreten von Berlin über Basel bis nach Sydney. Seine Bilder kosten heute bis zu 25.000 Euro, erzählt der etwa 1,75 Meter große Mann mit den kurzen, blonden Haaren.

"Das hat sich alles ergeben dadurch, dass ich kontinuierlich dran geblieben bin. Es ist nicht so, dass man sich auf diesem Erfolg ausruhen kann, sondern man muss eigentlich immer weiter machen."

Selbstbewusst, aber trotzdem bescheiden, so wirkt Christopher Lehmpfuhl. Er versteht es, über die eigene Arbeit zu sprechen. Schon als Achtjähriger malt er erste Bilder. Seine Mutter, Klavierlehrerin, und sein Vater, Physiker, erkennen sein Talent und bezahlen einen privaten Mallehrer. Der bereitet Lehmpfuhl auf die Kunsthochschule vor. Gleich die erste Bewerbung ist erfolgreich, nach dem Abitur studiert er sechs Jahre lang an der damaligen Hochschule der Künste in Berlin.

"Für mich war das der einzige Weg. Ich war kein besonders begabter Schüler sonst, hatte viele durchschnittliche Noten, und hatte auch keine wirklich große Freude an der Schulzeit. Und das war natürlich für mich umso schöner, als ich an die Hochschule kam und ich wirklich das Gefühl hatte: Ich kann mich da verwirklichen und das leben, was ich eigentlich am liebsten mache."

Schnell findet Lehmpfuhl seinen eigenen Stil. Öl auf Leinwand, nicht mit Pinsel und Palette, sondern direkt mit den Fingern aufgetragen. So entstehen zentimeterdicke Farb-Schichten, reliefartige Oberflächen. Seine Motive sind Landschaften und Stadtansichten. Ein knallgelbes Rapsfeld vor schwarzem Himmel, schneebedeckte Berge. Der Berliner Gendarmenmarkt, die Düsseldorfer Königsallee. Er arbeitet immer vor Ort, immer draußen, bei Wind und Wetter.

"Minus 20 Grad mit Schneesturm, das war das Extremste. Da hab' ich in zweieinhalbtausend Metern Höhe gemalt, und ich hab' nichts mehr gesehen, mein Bild war komplett zugeschneit. Das ergibt dann so einen Mousse-au-chocolat-Effekt, weil sich dann die Farbe mit den Schneekristallen vermischt. Und das wird so kristallin, und wenn das dann getrocknet ist, sieht’s richtig gut aus. Dann taut man selber mit auf, mit dem Bild quasi."

Er sei gegen Schlaf und Schwäche gefeit, die Besessenheit treibe ihn weiter, so ein Text in einem der inzwischen zahlreichen Kataloge zu Lehmpfuhls Ausstellungen. Fünfmal war er in Australien, unzählige Male in Italien, aber auch in Indien, China, Lappland, Österreich und den USA. Immer auf der Suche nach dem Licht.

"Licht ist für mich eine Symbolik. Ich bin auch christlich geprägt, für mich ist auch letzten Endes Licht ein Hoffnungssymbol - und ein Symbol für Gott, das Licht an sich. Ich finde es auch ganz wichtig, dass man schöne Momente im Alltag auch sieht. Und nicht das Sehen verlernt."

Aufmerksam machen möchte er, auf die Schönheit, die uns umgibt. Und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir sie erhalten müssen, sagt Lehmpfuhl. Besonders jetzt, da er Vater ist. Vor viereinhalb Monaten hat seine Frau, die Kunsthistorikerin Erika Maxim, die Tochter Frida Maria zur Welt gebracht. Ein Ereignis, das die Relationen des Lebens wieder ins rechte Lot rückt, sagt Lehmpfuhl und lächelt.