Christoph Hein: "Glückskind mit Vater"

Die Geschichte eines unglücklichen Glückskindes

Ein Mensch hält seine Hände zum Schutz vor sein Gesicht.
Konstantin Boggosch weigert sich, sich zu erinnern. © imago / Pixsell
Von Michael Opitz · 21.03.2016
In "Glückskind mit Vater" erzählt Christoph Hein eine deutsche Biografie: Konstantin Boggosch ist der Sohn eines Kriegsverbrechers - ein Fluch, der zeitlebens auf ihm lastet. Nur über Umwege findet er zu sich selbst.
Christoph Hein neuer Roman "Glückskind mit Vater" liest sich wie eine Erläuterung zu Friedrich Nietzsche Spruchweisheit: "Was mich nicht umbringt, macht mich stärker." Heins zentrale Figur Konstantin Boggosch, der ein anderer sein will, wird doch immer wieder mit seiner eigentlichen Herkunft konfrontiert, die anzuerkennen er sich weigert. Es gelingt ihm nicht. Vergeblich besteht er darauf, Konstantin Boggosch zu sein - doch er bleibt der Sohn von Gerhard Müller und wurde am 14. Mai 1945 auf den Namen Konstantin Müller getauft.
Sein ganzes Leben lang versucht Boggosch, seine Herkunft zu verdrängen. Konfrontiert wird er mit seiner Biografie, als ihn eine Journalistin um ein Interview bittet. Die Tatsache, dass in der Kleinstadt G. vier Direktoren des städtischen Gymnasiums wohnen – einer von ihnen ist Boggosch – soll im Vordergrund eines Artikels stehen. Ihr wird er nichts aus seinem Leben erzählen und auch für ein Foto, das ihn zusammen den drei anderen Direktoren vor dem Gymnasium zeigen soll, steht er nicht zur Verfügung. Der Pensionär will sich nicht erinnern. Er muss es aber, als ihn die Kirchensteuerfahndung ausfindig macht. Eigentlich gibt es nichts, was sich zu erzählen lohnt, heißt es im Roman. Doch als Boggosch zu erzählen beginnt, steht unweigerlich die Frage im Raum, ob er wirklich nichts zu sagen hat.

Der Stoff hätte einen Erzähler gebraucht

An seine Vergangenheit will Boggosch nicht erinnert werden, weil sie überschattet wird von einem Vater, der einer der schlimmsten Kriegsverbrecher war, ein SS-Mann und Fabrikbesitzer, der plante, neben seinem Werk ein KZ bauen zu lassen. Wegen unvorstellbarer Gräueltaten war er nach dem Krieg in Polen gehenkt worden. Seine Frau nahm wieder ihren Mädchennamen an und es gelang ihr auch, den Namen ihrer beiden Söhne ändern zu lassen. Und sie blieb in der DDR.
Der Sohn dieses Vaters zu sein, erwies sich für Konstantin Boggosch als ein permanentes Unglück, denn der Vater verbaute ihm die Zukunft. Aber im Unglück hat er Glück: Nie stieg er in Positionen auf, in denen er sich mit der Macht hätte arrangieren müssen. Boggosch blieb die Armee erspart, dringlich wurde ihm davon abgeraten, einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Partei zu stellen. Nur auf Umwegen fand Boggosch zu sich. Er musste Niederlagen einstecken und Rückschläge hinnehmen, aber die hatten ihr Gutes.
Christoph Hein, der Chronist ohne Botschaft, erweist sich ein weiteres Mal als Biograf. Nach "In seiner frühen Kindheit ein Garten", "Frau Paula Trousseau" und "Weiskerns Nachlass" legt er mit "Glückskind mit Vater" erneut einen Roman vor, in dem es um eine Lebensgeschichte geht. Es sind die Fakten, denen in diesem Roman Bedeutung geschenkt wird. Doch erweist sich dies als problematisch, da Heins Protagonist ein allzu nüchterner Berichterstatter ist. Er erzählt sein Leben nicht, sondern er berichtet. Dieser Stoff aber hätte einen Erzähler gebraucht.

Christoph Hein: Glückskind mit Vater
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
525 Seiten, 22,95 EUR

Mehr zum Thema