Christina Dalcher: "Vox"

Eine dunkle Zukunft ohne Rechte für Frauen

Buchcover: Christina Dalcher: Vox
Die Protagonistin in Dalchers "Vox" entwickelt sich von einer unpolitischen Karrierefrau zur feministischen Rebellin. © Hintergrund: Alex Ivashenko / unsplash. Cover: S. Fischer Verlage
Von Sarah Elsing · 19.09.2018
100 Wörter am Tag – mehr dürfen Frauen in der in "Vox" beschriebenen Welt nicht sprechen. In Christina Dalchers Debüt werden sie von christlichen Fundamentalisten aufs Hausfrauendasein reduziert. Ihre Dystopie gerät allerdings wenig plausibel und schablonenhaft.
Die Grundidee von Christina Dalchers Debütroman "Vox" ist vielversprechend: In einer nahen Zukunft haben fundamentalistische Christen die US-Regierung übernommen und Frauen dürfen nur noch einhundert Wörter am Tag sprechen. Kontrolliert wird das durch ein Armband, das Rebellinnen mit Stromstößen bestraft. Zu den ursprünglich Wortgewaltigen gehört die Neurolinguistin Jean, Mutter vierer Kinder, die an ihrem erstummten Hausfrauendasein schier verzweifelt. Warum hat sie die ersten Anzeichen der Katastrophe ignoriert und die misogyne "Reinheitsbewegung" an die Macht kommen lassen? Doch dann bekommt Jean die Chance, das System von innen zu zersetzen.

Viele Einflüsse, nichts Originelles

Ja, richtig: Das klingt stark nach Margaret Atwoods "Report der Magd", der gerade sehr erfolgreich als Serie verfilmt wurde. Auch die "reinen" Hausfrauen wirken in ihren rosa Twinsets wie Kopien der Android-Frauen aus Ira Levins "Stepford Wives". Und wie im amerikanischen Klassiker "The Scarlett Letter" von Nathaniel Howthorne tragen sie einen scharlachroten Buchstaben als Erkennungszeichen auf der Brust. Sogar Trumps Wahlspruch findet sich als "Make America Moral Again" auf den Stoßdämpfern der "reinen" SUVs wieder. Und die Protagonistin selbst fühlt sich an George Orwells "1984" erinnert. Danke für den Holzhammer! Denn offensichtlicher könnte die literarische Vorlage für die (fast) lückenlose Überwachung in "Vox" kaum sein.
Viel "Inspiration" – aber nichts inspiriert Dalcher zu etwas Neuem, wirklich Originellem. Auch wenn die Protagonistin sich von einer unpolitischen Karrierefrau zur feministischen Rebellin entwickelt, wirken die anderen Figuren schablonenhaft. Und anders als bei Atwood, die mit viel Aufwand den Gesellschaftsaufbau der Ultrareligiösen beschreibt, ist bei Dalcher nichts plausibel. Wie funktionieren diese Armbänder? Wie hält ein System, in dem mit den Frauen die Hälfte der Arbeitskraft wegfällt? Und vor allem: Warum braucht die feministische Jean am Ende doch einen starken, virilen Mann an ihrer Seite, um das rettende Serum gegen den Sprachverlust zu entwickeln und in ein italienisches Paradiso zu flüchten? Droht da nicht das Fegefeuer mit Berlusconi?

Plumpe Ausdrucksweise, hölzerne Übersetzung

Dalcher selbst ist Linguistin. Da wirkt es fast ironisch, wie simpel und oft plump sie sich in "Vox" ausdrückt. Weit hergeholte Metaphern, pseudo-wissenschaftlicher Jargon, nicht enden wollende Dialoge. Am Ende versucht Dalcher die Geschichte zwar zu einem Thriller, einem echten amerikanischen "Pageturner", zusammen zu schnurren. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie sich rühmt, den Roman in nur zwei Monaten geschrieben zu haben und Stephen King als ihr literarisches Vorbild nennt. Richtig ärgerlich aber ist die Übersetzung: "Fischglas" statt "Aquarium", "Waschraum" statt "Toiletten", und wenn Jean und ihr Italo-Lover "Lorenzo" (allein dieser Name!) miteinander schlafen, "machen sie sich ans Werk." Ziemlich hölzern für angeblich so heißen Sex.
Dalcher hat "Vox" offensichtlich für Frauen geschrieben, die sonst Ildiko von Kürthy oder Hera Lind lesen. Im Grunde solche, die in ihrem Roman gefährdet sind, zu "Stepford Wives" zu werden, weil sie so leicht manipulierbar sind. Folgerichtig wirbt der Fischer Verlag in Frauenzeitschriften und in sozialen Medien für den "Roman, den jede Frau lesen muss". In der Tat: Bei jungen Booktuberinnen kommt das Buch schon gut an.

Christina Dalcher: Vox
Aus dem amerikanischen Englisch von Marion Balkenhol und Susanne Aeckerle
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018
400 Seiten, 20 Euro

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