Christian Petzolds "Transit" auf der Berlinale

"Unsere Gegenwart kam mir gespenstisch vor"

Paula Beer und Franz Rogowski in Christian Petzolds Film "Transit". Die Verfilmung des Anna-Segher-Romans wird auf der Berlinale 2018 im Wettbewerb gezeigt.
Paula Beer und Franz Rogowski in Christian Petzolds Film "Transit". © Schramm Film/Marco Krüger
Christian Petzold im Gespräch mit Susanne Burg und Patrick Wellinski · 17.02.2018
"Für mich waren die Figuren in Transit keine Gespenster der Vergangenheit, sondern unsere Gegenwart kam mir gespenstisch vor", sagt Christian Petzold über seinen neuen Film: eine Adaption des gleichnamigen Romans von Anna Seghers. In ihm wird das Schicksal deutscher Emigranten in der NS-Zeit geschildert.
Von den Nazis verfolgt, flüchtete Anna Seghers 1941 nach Marseille und von dort nach Mexiko. Die Erfahrung der Flucht verarbeitete sie in ihrem Roman "Transit". Christian Petzold hat diesen Roman nun verfilmt. Erzählt wird die Geschichte des jungen Georg (Franz Rogowski), der vor den Nazis in die Hafenstadt Marseille geflüchtet ist und dort die Identität eines toten Schriftstellers annimmt. Während er wie andere Flüchtlinge darauf hofft, mit einem Schiff, die Stadt verlassen zu können, trifft er die geheimnisvolle Marie Weidel (Paula Beer).
Für Regisseur Christian Petzold war der Roman "Transit" schon lange ein Referenzpunkt in seinem künstlerischen Schaffen und seiner Zusammenarbeit mit dem Filmemacher Harun Farocki:
"Alle unsere Geschichten, die wir zusammen entwickeln, sind Flüchtlingsgeschichten, Ausgestoßenen-Geschichten, Transitgeschichten. Von Menschen, die einen Bereich verlassen aber noch nicht in einem neuen angekommen sind. Ob das nun jemand ist, der seine Ehe verlässt und dann in dieser kalten Welt der Ehelosigkeit umherdriftet, oder jemand, der die DDR verlassen will, wie Barbara. So war 'Transit' immer ein Referenzbuch für uns. Und dann kamen wir irgendwann auf die Idee das selber zum Gegenstand eines Drehbuchs zu machen."
Obwohl die Geschichte in den 40er-Jahren spielt, wählt Christian Petzold das Marseille der Gegenwart als Schauplatz.
"Ich mag dieses Museale nicht. Dass wir so tun als ob wir besser sind als die Vergangenheit. Wir bauen da immer so schöne Kulissen auf und dann haben wir einen ganz festen Standpunkt zu der Vergangenheit. Und ich finde die Vergangenheit Marseille, die Hafenstadt, wirkt bis heute."

Zufluchtsorte verschwinden

Hafenstädte sind für Petzold Orte der Zuflucht während der Flucht, geschützte Transiträume für Gestrandte. Doch solche Orten gebe es immer weniger, bedauert der Regisseur:
"Diese Transitbereiche verschwinden heute. Wir verstecken heute Flüchtlinge in den Wäldern, in alten, ausrangierten Kasernen. Wenn sie sich mal zeigen irgendwo in Fußgängerzonen, sind sie meist direkt gefährlich. Wir wollen sie nicht sehen. Wenn wir sie sehen, sind sie unangenehm. Und diese Existenz des Flüchtlings wollte ich mit Anna Seghers in Korrespondenz bringen.Unsere ganze Asylgesetzgebung basiert auf den Erfahrungen, unter anderem von Anna Seghers. Die hat sehr, sehr klar geschildert, was es bedeutet, dass keiner dich mehr will. Deshalb haben wir den Asylparagraphen im Grundgesetz. Und jeder der den Asylparagrafen angreift, greift die Erfahrungen dieser Menschen an."
(mw)
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