Choreograf Nir de Volff

"Ihre Körper waren so verletzt"

Die Tänzer Moufak Aldoabl (links), Medhat Aldaabal, Amr Karkout (rechts) in der Produktion "Come as you are #2017" von Nir de Volff / Total Brutal
Die Tänzer Moufak Aldoabl (links), Medhat Aldaabal, Amr Karkout (rechts) in der Produktion "Come as you are #2017" von Nir de Volff / Total Brutal © Foto: Bernhard Musil
Nir de Volff im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 13.11.2017
Am Anfang gab es Ängste, Schmerzen, Traumata − jetzt gibt es das Tanzstück "Come as you are". Der Berliner Choreograf Nir de Volff arbeitet mit Syrern, die vor zwei Jahren nach Deutschland kamen. Er selbst stammt aus Israel und will zeigen, was Vergangenheit und Gegenwart mit den Körpern machen.
Viele 2015 nach Deutschland geflüchtete Menschen haben inzwischen hier Freunde und Arbeit gefunden. Doch eher ungewöhnlich ist, wo drei syrische Tänzer gelandet sind, die mit einem israelischen Choreografen zusammenarbeiten, der seit 14 Jahren in Berlin lebt: Nir de Volff. "Come as you are" heißt sein Stück, das er bereits in Leipzig gezeigt hat und das ab 5. Dezember auch in Berlin zu sehen sein wird.
Wie begann die Arbeit mit den Syrern? Merkte man ihnen an, was sie durchlitten hatten auf der Flucht und zuvor? Nir de Volff erzählt:
"Zu unserem ersten Treffen kam eine Gruppe von Männern. Nicht nur Tänzer, auch Banker. Sie wollten etwas mit dem Körper tun. Sie waren traumatisiert, und da gab es so viele Ängste und so viele Schmerzen, dass es keine Emotionen gab. Es gab wirklich so ein Stück Stein, die wollten sich nicht bewegen. Ihre Körper waren so verletzt. Natürlich auch die Mentalität, das kommt zusammen. In diese Gruppe kam ein Tänzer, und dann hatte ich bemerkt, dass der Tänzer so limitiert wie die anderen Männer war. Es gab keine Unterschiede zwischen Tänzern und normalen Menschen. Die waren alle wirklich so verletzt, und sie waren wirklich wie eine Gruppe, die nicht wussten, wohin sie gehen. Und ihre Körper waren so hart."
Sind die Unterschiede im Tanz zwischen Israel und Syrien groß?
"Tanz ist bestimmt eine internationale Sprache, die man überall auf der Welt verstehen oder sehen kann. Aber was zum Beispiel in Syrien sehr populär ist, ist in Deutschland ganz alte Mode, das existiert nicht. Die Unterschiede liegen in allem: Kultur, Geld, Finanzierung, kulturelle Tabus. In Syrien gibt es viele Tabus, wo Mann und Frau nicht zusammen tanzen und einander überall fassen. Das ist ein Tabu. In Israel ist es kein Problem, jeder macht eigentlich, was er will. In Israel gibt es viel Disziplin, in Syrien habe ich noch nicht so viel Disziplin von den Tänzern getroffen, aber es kommt langsam."

Neue Hoffnung, neuer Treffpunkt

Offiziell liegt Syrien ja immer noch im Krieg mit Israel. Wie waren Nir de Volffs erste Begegnungen mit den Syrern in Berlin?
"Ich dachte mir, wow, ich könnte die Syrer nirgendwo treffen. Es passiert jetzt, der Grund ist ganz traurig, warum sie hier in Deutschland sind, aber es gibt eine neue Hoffnung, einen neuen Treffpunkt, wo ich die Leute, die ich nie treffen könnte, hier in Berlin in einem demokratischen Land eigentlich treffen kann. Wir können unsere Kulturen austauschen, das finde ich großartig, also in jeder traurigen Situation finde ich auch was Optimistisches. (...) Ich hatte nicht gesagt, dass ich aus Israel komme. Ich wollte einfach nur helfen, ohne Nationalität oder Identität. Ich habe die als Künstler, als Choreograf getroffen. Aber man sieht sofort, man hört meine Stimme, und man weiß, dass ich aus Israel komme. Und das war eigentlich kein Problem. Im Gegenteil, sie waren auch sehr glücklich und froh. (...) Wir haben ganz schnell gesehen, dass wir fast den gleichen Humor haben. Wir kommen aus zwei sehr problematischen Ländern, und wir sind nach Deutschland gekommen, weil wir Probleme mit unseren Ländern hatten."
Über die drei Tänzer seiner Choreografie "Come as you are" − Medhat Aldabaal, Moufak Aldoabl, Amr Karkout − sagt Nir de Volff:
"Sie hassen es, dass jemand sie nach zwei Jahren noch 'Flüchtlinge' nennt. Sie sind Menschen, sie sind Tänzer, sie sind Künstler. (...) Ich wollte nicht nur zeigen, was die Vergangenheit mit diesen Persönlichkeiten und ihren Körpern gemacht hat. Ich wollte auch die Gegenwart zeigen. Man kann sehen, wie eigentlich die Migranten ihre Leben hier etablieren, wie hart es ist, wie schön es ist. Und das dauert, es kommt nicht in einem Jahr oder zwei Jahren. Man verändert seinen Körper, seine Sprache, seine Mentalität nicht an einem Tag. In 'Come as you are' sieht man auf der Bühne Live-Improvisation. Die Tänzer sind sehr ehrlich, sie improvisieren auf den Moment, nur der Text ist vorbereitet und fest. Dann sieht man wirklich auf der Bühne viele Veränderungen, viele Ehrlichkeiten und Emotionen, und sie sind jeden Abend anders."
(cre)
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