Chor der Woche

Freiheit schnuppern für einen Abend

Blick auf einen Flur mit Strafgefangenen in einem Gefängnistrakt der JVA-Bayreuth am Mittwoch (03.03.2004). Die Bayreuther JVA ist mit Landsberg am Lech für den Erstvollzug zuständig. Bis hin zu lebenslänglich haben die Rund 700 Strafgefangenen hier abzusitzen
Die JVA in Bayreuth: Singen hinter Stacheldraht © picture alliance / dpa / Foto: Marcus Führer
Von Georg Gruber · 30.05.2014
Jeder kann im Gefangenenchor der JVA Bayreuth mitmachen, vorausgesetzt, er hat eine Straftat begangen und sitzt dort ein. Und ob Kleinkrimineller oder Schwerverbrecher - für viele ist das Singen das Highlight der Woche.
Vom Büro des Chorleiters Martin Winckhler im Verwaltungstrakt der JVA Bayreuth ist es ein weiter Weg bis zu dem Saal, in dem der Gefangenenchor übt. Viele schwere Eisentore müssen aufgeschlossen werden.
"Da haben wir das Haus B, da hocken die Langstrafigen drin, also von vier Jahren, fünf Jahren, bis lebenslänglich. Hier ist die Schreinerei ..."
Vorbei geht es an Werkstätten, und Wohnblöcken mit vergitterten Fenstern, in denen insgesamt mehr als 900 Häftlinge untergebracht sind.
"Und wir gehen jetzt ins Haus C, da sind Sexualstraftäter und auf der anderen Seite Gewaltstraftäter."
Zum Chor darf jeder kommen, egal was er verbrochen hat.
79 Mann zählt der Chor zur Zeit, zur Probe an diesem Mittwochnachmittag sind vielleicht 40 gekommen. Die meisten in Anstaltskluft, in blauen Hosen, grünen Hemden, grauen Sweatshirts.
Martin Winckhler, schlank, groß, kurze graue Haare, schmales Gesicht, randlose Brille, ist fast die ganze Probe in Bewegung. Er läuft auf und ab, dirigiert mit beiden Händen, tappt mit den Füßen den Rhythmus.
"Man muss auch beachten, die Leute, die zu mir kommen zum Chor, die können ja nicht mal Noten lesen, geschweige denn, dass sie irgendwelche Chorerfahrung haben. Das heißt, ich fange mit denen bei Null an. Und daraus immer wieder einen Chor zu machen, der mehrstimmig singt, ist durchaus manchmal sehr schwierig, weil ich hab den Gefangenen im Durchschnitt, wenn ich Glück habe, zwei Jahre."
Das klingt fast so, als würde es ihn ein bisschen schmerzen, wenn ein eingeübter Sänger seine Strafe abgesessen hat.
"Es ist nicht so wie im normalen Chor, dass ich da meine Chormitglieder 15, 16 Jahre habe, wo ich mich drauf einschießen kann, mit denen was erarbeiten kann. Bei mir ist immer ein Wechsel, ein stetiger. Und mit ungeübten Sängern muss man sich natürlich dann überlegen, was kann man machen und wie kann man’s machen."
Raus aus dem Knast
Und Martin Winckhler weiß natürlich auch, dass viele Häftlinge, zumindest am Anfang, nicht in den Chor kommen, weil sie gerne singen. Sie wollen in den Ausgangschor, der rund 20 Mann stark ist: Häftlinge mit geringer Reststrafe und guter Führung. Der Gedanke motiviert: Raus aus dem Knast, Freiheit schnuppern für einen Abend. Auf bis zu 20 Auftritte pro Jahr kommt der Ausgangschor, auf Sängerfesten, zu Weihnachten in Krankenhäusern, oft in Kirchen:
Erster Häftling:"Ich bin selber Deutschtürke, ich bin Mohammedaner, am Anfang habe ich gedacht: Aha ok, Kirche usw, aber nein, das ist ein Gotteshaus, macht mich so richtig fröhlich, glücklich. Wenn wir draußen waren und zurück kommen, manchmal kann ich kaum erwarten, dass wir wieder in die Kirche gehen und singen und wieder Kontakt kriegen zu anderen Leuten. Und manchmal natürlich auch mit einem Pfarrer reden, für mich persönlich ist das was wunderbares."
Zweiter Häftling: "Es gibt manche Lieder, die einen runterziehen und auch nachdenklich machen, aber es gibt dann auch wieder Lieder, die einem Freude machen, nach vorne zu schauen, und Kraft geben, das ist sehr viel wert. Also ich bereue es nicht, dass ich hier bin. Mir gibt es sehr viel, vor allem Kraft."
Dritter Häftling:"Wenn ich nur an den Chor denke und weiß, heute ist Mittwoch und schon allein der Gedanke, ab Mittag denke ich an den Chor, da weiß ich, heute Abend bin ich wieder im Chor. Und da schalte ich ab, da denke ich an nichts, weder an meine Tat noch sonst was, sondern da bin ich einfach ich selbst. Da denke ich nicht daran, dass ich in der Zelle bin, wenn ich da herinnen bin, sondern da bin ich im Chor und nirgends anders. Das gibt mir was, das macht meinen Kopf frei."
Alltagshilfe vom Chorleiter
Martin Winckhler leitet den Chor nun schon seit sieben Jahren, mit viel Humor und Engagement. Daneben arbeitet er als Lehrer in der JVA. Er hilft bei Vorbereitungen auf Schulabschlüsse, gibt Deutschkurse für Ausländer. Auch während der Proben wird er angesprochen von Häftlingen, die Rat suchen.
"Man ist durchaus so der Chorpapa für die Gefangenen auch."
Halleluja, das ist das letzte Lied für diesen Abend. Martin Winckhler steckt sich eine Pfeife an, wohlverdient nach eineinhalb Stunden vollem Körpereinsatz. Auf die Häftlinge wartet nun die Zelle, auf Martin Winckhler der Feierabend.
So ein Chorbesuch kann Folgen haben: Einige der Häftlinge haben im Laufe der Zeit so viel Freude am Singen gefunden, dass sie auch in Freiheit damit weiter machen möchten.
Zweiter Häftling:"Ich könnte es mir vorstellen, im Männerchor draußen mit einem Bekannten zusammen teil zu nehmen, kann ich mir gut vorstellen, ja. Ob man natürlich so jemanden wie Herrn Winckhler noch mal findet? Muss man auch dazu sagen, weil der ist spitze, der Mann."
Deutschlandradio Kultur stellt jeden Freitag um 10:50 Uhr im "Profil" Laienchöre aus der ganzen Republik vor. Im "Chor der Woche" stehen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes, jeden Alters, jeder Formation und Größe oder Stilrichtung, seien sie Mitglied eines Chorverbands oder auch nicht.
Mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Chorverbands