Chor der Woche

Exotische Klänge aus der Kehle

Weil es wenig Oberton-Musik gibt, greif der Chor auf Volkslieder zurück.
Weil es wenig Oberton-Musik gibt, greif der Chor auf Volkslieder zurück. © picture alliance / dpa / Markus C. Hurek
Von Gerhard Richter · 02.05.2014
Obertonsingen ist vor allem aus der Volksmusik Tibets bekannt. Aber auch in unseren Breiten üben sich Menschen in den seltsam faszinierenden Tönen. Die Mitglieder des Europäischen Obertonchors kommen dazu zwei Mal im Jahr zusammen.
Yolaine Dumesnil: "Also das ist zum Teil natürlich so wie Chorprobe, ganz normal. Aber dass diese Töne noch dazukommen, das gibt einen ganz besonderen Klang."
Zoe Nellison: "Ich find das interessant, dass der Mensch so was kann, so Obertöne. Das hab ich auch vorher nicht gewusst, dass es so was gibt überhaupt. Ich find das auch einfach schön, so was zu hören, ich find, das hat was Meditatives."
Radka Sindlerova: "Und du kannst viele innere Sachen sehen dabei und viele Gefühle dabei haben."
Antje Will: "Das ist ne andre Welt, es wird von früh bis spät gesungen. Es sind andere Menschen hier, als man jetzt so auf der Straße trifft."
Ralf Alda: "Die arbeiten an einer Sache, und das find ich toll. Das ist unglaublich verbindend."
Gründung vor vier Jahren
50 Sängerinnen und Sänger in bequemer Kleidung stehen im Halbrund um einen Flügel. Sie alle beschäftigen sich mit Obertönen. Diese Naturtöne sind in allen Klängen enthalten, nur, man hört sie normalerweise nicht. Man kann aber so singen, dass man sie hört, erklärt Zoe. Mit zwölf Jahren ist sie die Jüngste im Chor.
"Ich sag halt einfach nur 'ju' und 'wie', aber ein bisschen deutlicher halt: 'Juuuu', 'wieeee'. So."
Vor vier Jahren hat sich der Europäische Obertonchor gegründet.Am Rande des Festivals Bohemia Cantat im böhmischen Liberec. Gemeinsam Obertöne zu singen hat alle sofort fasziniert. Yolaine Dumesnil, Französin, Physikerin, 32 Jahre alt, erinnert sich.
"Die Chorgründung, das war sehr intensiv. Also wir haben richtig lange gemacht und das war eine total schöne Stimmung. Ganz viele Leute aus unterschiedlichen Ländern, jeder bringt was mit. Das war sehr schön."
Seitdem treffen sie sich zweimal im Jahr jeweils für eine Woche: Schweizer, Tschechen, Slowaken, Italiener, Deutsche; Gaukler, Polizisten, Therapeuten. Antje kommt aus Augsburg, dort singt die Biologin in zwei Kirchenchören mit.
"Es gibt einen ganz großen Unterschied. Hier wird viel mehr auf Tonreinheit geachtet. Man lernt vor allem sehr viel besser hören. Das ist ne gewisse Gehirnleistung, die man erst mal erbringen muss, und da ist es am besten, man hört's erst mal von Profis, da weiß man schneller, was man hören möchte. Dann wird das Gehör geschult und das hat ne Eigendynamik, da kann man nicht mehr mit aufhören."
Im Repertoire: Gospels, Volkslieder und Oberton-Kompositionen
Einer der weltweit besten Obertonsänger und Gründer des Chors ist Wolfgang Saus. Er singt selbst mit und gibt seine Tricks an die anderen weiter. Übrigens fast immer auf Englisch, was alle verstehen.
"Say this: I, ö, ü."
Alle: "I, ö, ü."
"Now tip of your tongue up."
Saus: "Viele von denen lernen das Obertonsingen neu, und die meisten lernen das Chorsingen ganz neu. Es gibt auch einige, die gar keine Noten lesen können. Und ja, das müssen wir systematisch aufbauen. Das ist so ein bisschen Pionierarbeit."
Saus: "Darker. A little bit darker."
Gemeinsames Frühstück, gemeinsames Mittagessen, gemeinsames Abendbrot. Eine Woche lang. Probe so oft wie möglich. Immer mit Steffen Schreyer, 41 Jahre alt und Professor für Chorleitung. Er arbeitet mit den Sängerinnen und Sängern am Repertoire: Gospels, Volkslieder und speziell für Obertonchor geschriebene Kompositionen.
Sechs Stunden Probenarbeit täglich
Schreyer: "Und da gibt's noch wenige. Wir sind aber dabei, Komponisten anzusprechen, die dann eben für uns – speziell für diesen Chor – Werke schreiben. Damit das zum einen initiiert wird, dass noch mehr geschrieben wird, dass man das auch mal hören kann, draußen. Und zum anderen, um die Qualität zu verbessern."
Schreyer: "Sing moon, tutti moon, it sounds like 'Kuh'."
Schreyer: "Ich bin nicht zufrieden, wenn es pünktlich vielleicht ist und wenn die Töne alle richtig sind. Sondern die Musik entsteht erst durch die Perfektion der Technik. Und da bin ich ein Verfechter, und da geb' ich auch nicht auf. Aber dann gibt es solche Momente, und dann bin ich wahnsinnig glücklich."
Sechs Stunden Probenarbeit täglich, daneben noch Workshops zum Obertonsingen. Eine Woche voller Klang.
Radka Sindlerova: "Es ist Urlaub, aber Urlaub ist in dem Gesang. Wir erholen uns durch den Gesang."
Antje Will: "Also nach einem Oberton-Workshop kann man selten am nächsten Früh mit der normalen Berufstätigkeit so einfach wieder anfangen, als wenn nichts gewesen wäre. Man hört anders, man hört auch auf viele Dinge anders hin. Also selbst Rasenmäher haben plötzlich Obertöne, die man vorher nie gehört hat als Amateur."
Deutschlandradio Kultur stellt jeden Freitag um 10:50 Uhr im "Profil" Laienchöre aus der ganzen Republik vor. Im "Chor der Woche" stehen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes, jeden Alters, jeder Formation und Größe oder Stilrichtung, seien sie Mitglied eines Chorverbands oder auch nicht.
Mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Chorverbands