Chemnitz als Kunststadt

Von Mirko Heinemann · 18.06.2008
Dass die sächsische Stadt Chemnitz zu einer Kunststadt geworden ist, hat sie vor allem der Museumsdirektorin Ingrid Mössinger zu verdanken. Die gebürtige Schwäbin übernahm 1996 die Leitung der städtischen Kunstsammlungen. Inzwischen hat sie einen Preis für das beste Museumskonzept in Deutschland gewonnen - und ist selbst zur Berühmtheit geworden.
Ingrid Mössinger sitzt zwischen riesigen Papierstapeln in ihrem Büro und erzählt vom Jahr 1996, als sie überlegte, aus Frankfurt am Main wegzuziehen - in die sächsische Industriestadt Chemnitz. Man hatte ihr die Leitung der städtischen Kunstsammlungen angeboten. Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Chemnitz war im Krieg zerstört worden, die Innenstadt besteht aus quaderförmigen Bauten und sehr breiten Straßen. Aber dann bog Ingrid Mössinger um die Ecke und sah ihren künftigen Arbeitsplatz.

"Ich war schon überwältigt von dem Gebäude. Das war auch mit ein wichtiger Grund, warum ich mich entschlossen habe zu gehen, weil ich einfach finde, dass es ein wunderschönes Museumsgebäude ist. Es hat Oberlichtsäle, schöne, hohe, gerade Wände. Jede Epoche der Kunst kommt bestens zur Geltung. Das ist mit eine Hauptvoraussetzung, finde ich. Man möchte ja die Kunst so präsentieren, dass die Besucher etwas davon haben und auch die Künstler immer zufrieden sind."

Ingrid Mössinger hat die städtischen Kunstsammlungen zur überregionalen Attraktion gemacht. Die Chemnitzer sind begeistert. Eine alte Dame bringt ihr jede Woche ein Glas Marmelade ins Büro.

"Die hat erzählt, dass sie gern ins Museum geht und dass ihr Vater sie schon als Kind mit in das Museum hier genommen hat. Und das ist so eine gewisse Anhänglichkeit an das Museum und eine gewisse Dankbarkeit, dass sich das Museum jetzt so gut entfaltet. Und das bringt sie mit Hilfe von Marmelade unter anderem zum Ausdruck."

Den Musiker und Künstler Bob Dylan hat Ingrid Mössinger dazu gebracht, eigens für ihr Museum Aquarelle zu malen. In ihre Ausstellung "Picasso und die Frauen" kamen über 100.000 Besucher aus dem In- und Ausland. Doch ihr größter Coup war, die begehrte Privatsammlung des Galeristen Alfred Gunzenhauser nach Chemnitz zu holen. Sie konnte dem Kunstliebhaber ein eigenes Gebäude für seine Sammlung anbieten. Wenn sie ihre erste Begegnung mit Alfred Gunzenhauser schildert, schwingt Stolz auf ihre Stadt mit.

"Ja, er kam dann gern angereist, und wir hatten auch Glück: Das Wetter war schön, die Sonne schien. Er brachte eine Freundin aus Mallorca mit, die völlig hingerissen war von Chemnitz. Sie hat immer gesagt, ach, das ist aber toll hier. Der Schlossteich, und dann waren wir in der Van-de-Velde-Villa essen. Und das war so eine lebhafte Dame, die hat sich in ihrer Begeisterung nicht abgebremst. Und er wurde immer aufmerksamer und sagte: 'Wenn du meinst, wenn du meinst.'"

Wenn Ingrid Mössinger lacht, wirkt sie jugendlich. Ihre zierliche Figur unterstreicht diesen Eindruck, wie auch ihre blonde Pagenfrisur. Ihr Alter hat sie trotz des ganzen Rummels um ihre Person erfolgreich geheimgehalten, sie möchte es nirgendwo lesen oder hören.

Dabei kann die gebürtige Schwäbin eine ansehnliche Karriere vorweisen. Ende der 1960er Jahre studierte sie auf den Rat ihrer Eltern zunächst Bibliothekarin, dann machte sie ihren Traum wahr: Ein Studium der Kunstgeschichte folgte. Sie arbeitete in Ludwigsburg und Frankfurt am Main - zweimal kuratierte sie die Kunstmesse Art Frankfurt. Sie arbeitet hart und lebt wie ein Popstar, meist unterwegs, und meist allein. Dann trifft sie Sponsoren, Stifter und Sammler. Ihren Ehemann sieht sie nur selten. Er lebt als Jurist in Frankfurt.

"Sozusagen Fernbeziehung mit relativ wenig Kontakt, wie Sie sehen. Aber der hat sich damit abgefunden, arbeitet auch viel. Und von daher geht das irgendwie. Es sind schwierige Modelle heutzutage. Das ist ja der Preis, den man dafür bezahlt."

Dass sie als Museumsdirektorin in kurzer Zeit berühmter geworden ist als so mancher Künster, den sie ausstellt, das ist ihr selbst unheimlich. Sie kontert mit Bescheidenheit.

"Ich würde jetzt auch nicht sagen Ruhm, weil der Museumsmensch ist ja eigentlich in einer dienenden Funktion. Er soll ja sich eher darum kümmern, dass die Kunstwerke beziehungsweise die Künstler anerkannt und vielleicht auch berühmt werden. Und man weiß ja, dass der Ruhm eine flüchtige Wolke ist, auf der man sich besser nicht zu toll ausruht. Berühmt würde ich jetzt so nicht sagen."

Ingrid Mössinger wirft ihren Mantel mit Leopardenmuster über und verlässt mit energischen Schritten ihr Büro. Draußen wartet ein Fotograf, es ist heute schon der zweite.