Chancen und Risiken des Sparens

"Nicht Sparen, sondern Ausgeben macht ein Land reich!"

Nahaufnahme der Hand einer alten Frau, die ein paar Münzen zählt.
Lohnt sich Sparen überhaupt noch? © imago stock&people
Von Winfried Roth · 02.01.2018
Sparen, sparen, sparen - um sich später etwas leisten zu können. Generationen von Sparern folgten dieser Maxime. Doch funktioniert dieses Prinzip angesichts eines fragilen Finanzsystems überhaupt noch? Oder ist Sparen nutzlos und schädlich für die Wirtschaft?
Bontrup: "Durch Sparen kann man natürlich nicht reich werden aus seinem laufenden kleinen Einkommen."
Schlüter: "Es ist viel in der Regulierung passiert, insofern sind die Banken robust und sicher."
Vöpel: "Da gibt es immer noch versteckte Risiken. Das bedeutet, dass die nächste Finanzkrise womöglich vor uns liegt."
Brinkhaus: "Die verschiedenen Einlagensicherungssysteme sind gut angefüllt mit Kapital. Natürlich gilt auch: Wenn alles zusammenbricht, dann haben wir ein Problem."
Struve-Mardones: "Nicht Sparen, sondern Ausgeben macht ein Land reich."
Sparen ist ein fundamentaler Prozess des Wirtschaftslebens. Und nicht nur Konsumenten, Unternehmer und Politikerinnen sparen. Auch manche Tiere denken an Vorräte - wie das Eichhörnchen, das Nüsse bunkert. Vom Hamster gar nicht zu reden. Menschen legten schon in frühgeschichtlicher Zeit Korn, getrocknete Äpfel oder Geräuchertes für den Winter und für das Überleben nach Missernten zurück.
Olcay: "Wir werfen nichts weg. Soweit man das einfrieren kann, friere ich das ein, auch wenn das nur eine kleine Menge ist."
Geldscheine, die während der Inflation 1923 nur noch Makulatur sind, werden gewogen.
Geldscheine, die während der Inflation 1923 nur noch Makulatur sind, werden gewogen.© picture-alliance / dpa / Ullstein

Und dann war das Ersparte plötzlich weg

Bis ins 19. Jahrhundert versteckten Bauern, Arbeiter oder Dienstmädchen Münzen und Geldscheine hinter Fußbodenleisten, in Matratzen oder eben "auf der hohen Kante". Erst in den Zeiten von August Bebel und Henry Ford boten Sparkassen und Volksbanken Sparbücher für alle an, später folgten Termingeld, Anleihen, Kapitallebensversicherungen oder Fondsanteile.
1924 rief ein internationaler Kongress von Sparkassenmanagern den "Weltspartag" ins Leben. Jedes Jahr Ende Oktober - wenn auch nicht mehr so begeistert wie früher - feiern ihn die meisten Industrieländer und auch etliche Entwicklungsländer. Elegante Bankangestellte verteilen kleine Aufmerksamkeiten, auch in Schulen. Wenn Sparen so nützlich ist, warum müssen dann Banken so beflissen dafür werben? Die Geschichte des Sparens ist auch eine Geschichte fataler Irrtümer, Risiken und selbst Katastrophen. So verloren Millionen Kleinsparer ihre Rücklagen durch die Geldentwertung infolge der beiden Weltkriege. In der Weltwirtschaftskrise um 1930 machte das Sparen der Regierungen den Absturz noch schlimmer.
Vöpel: "Wir hatten nach dem Krieg in Zeiten des Wirtschaftswunders steigende Sparquoten. Das ging sehr lange so. Mit der Niedrigzinsphase ist die Sparquote auf heute ungefähr elf Prozent zurückgegangen."
Prof. Henning Vöpel ist Direktor des "Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts".
Sparen ist heute etwas Selbstverständliches. Das Sparen der Bevölkerung und der Unternehmen - so heißt es - ist Ausdruck von Leistungswillen und bewusstem Verzicht. Es lässt den Traum vom Häuschen mit Garten oder von der Südseereise Wirklichkeit werden, es garantiert Investitionen und damit neue Arbeitsplätze, mit einem Wort: es führt zu mehr Wohlstand für alle.
Auch zu verantwortungsbewusster Wirtschafts- und Finanzpolitik - so sind viele überzeugt - gehört strikte staatliche Sparsamkeit, am besten mit einer "Schuldenbremse" und einer "schwarzen Null" in den Haushaltsplänen. Andere halten solche Sparsamkeit für zweifelhaft. Die Erzieherin Sevim Olcay aus Gelsenkirchen lebte längere Zeit von "Hartz IV":
"Davon müssen Sie jeden Monat zehn Euro beiseite legen, falls eine Waschmaschine oder so etwas kaputt geht. Ich war froh, dass ich das für Essen ausgeben konnte. Natürlich hab ich keine zehn Euro zur Seite gelegt."
Nutzer der Nürnberger Tafel während der Lebensmittel-Verteilung in der Schlange. Laut dem Bundesverband der Tafeln, sind immer mehr Renter in Deutschland darauf angewiesen.
Nürnberger Tafel - viele Menschen haben nicht ausreichend Geld, um sich Lebensmittel zu kaufen - fürs Sparen erst recht nicht.© dpa/Daniel Karmann

Kein Geld fürs Sparen

Auch auf die sonnige Welt der Sparbüchsen, Kapitallebensversicherungen oder "Riester-Verträge" fallen breite Schatten. Mehr als bescheidener Wohlstand ist für die meisten Menschen auch durch leidenschaftliches Sparen nicht zu erreichen. Während sich in den letzten Jahrzehnten das Gespenst der Inflation verflüchtigte, erlebte das Finanzsystem neue heftige Erschütterungen. In der bis heute nicht ausgestandenen Finanzkrise seit 2007 wurden einige der größten Banken und Versicherungsgesellschaften in den Strudel gerissen, darunter Lehman Brothers, UBS und die Commerzbank.
"Die Krisenlast wurde beim Staat in Form zunehmender Staatsverschuldung abgeladen. Die Vermögenden konnten ihr Vermögen behalten, den Staaten Kredite geben und dafür Zinsen kassieren. Danach haben uns die Regierungen erzählt, jetzt hätten wir eine Staatsschuldenkrise."
Professor Heinz-Josef Bontrup von der Westfälischen Hochschule in Recklinghausen ist Sprecher der gewerkschaftsnahen Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.
Was bringen die nächsten Jahre? Strömt zu viel Geld - nämlich die "Ersparnisse" der Reichen" - in die Sphären der Spekulation, zu Lasten produktiver, arbeitsplatzschaffender Investitionen? Blockiert staatliche Sparpolitik womöglich das Wirtschaftswachstum?
Olcay: "Meine Eltern, unsere Migrantennachbarn - alle haben gespart. Pfennige hab ich zusammengespart. Daraus hab ich dann Scheine gemacht."
Sevim Olcays Eltern kamen in den 60er-Jahren als "Gastarbeiter" nach Deutschland.
Olcay: "Viel konnten wir uns nicht leisten - nicht weil wir arm waren, sondern weil sie das Geld lieber sparen wollten."
Nach langen Jahren kauften ihre Eltern ein Haus in der Türkei - in dem sie aber nur selten wohnen. Ihrer Tochter erklärten sie...
"... dass sie das für uns gespart hätten. Irgendwie hab ich den Eindruck, dass sie nicht für uns gespart haben, eher für ihren Status."
Die freundliche, lebhafte 42-Jährige - alleinerziehend, jahrelang arbeitslos - besitzt nur geringe Ersparnisse.
"Dem Sparen verdanke ich unsere Lateinamerika-Reisen, sechs Wochen Brasilien, einen Autokauf, die Wohnung, die wir gekauft haben. Sie ist groß, mit einem wunderschönen Garten."
Petra Struve-Mardones, Managerin im Ruhestand, 66 und nach wie vor sehr dynamisch, lebt in Berlin. Zu Wohlstand tragen oft auch geräuschlose Wertsteigerungen bei:
"Wenn man bedenkt, dass man für diese Wohnung - 83 Quadratmeter - 320.000 Euro bekommt ... Damals, was hab ich bezahlt? 100.000 Euro. Das hat sich verdreifacht."

"Sparen ist gesellschaftspolitisch von großer Bedeutung"

Brinkhaus: "Wir haben eine lange Tradition der staatlichen Sparförderung. Das hat in den 50er-Jahren schon angefangen."
Ralph Brinkhaus, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der CDU im Bundestag, betont ...
"... dass sich viele Menschen durch die Sparförderung Wohneigentum leisten konnten. Das ist ein gutes Ergebnis. Sparen ist gesellschaftspolitisch von ganz großer Bedeutung."
"Hier entstehen exklusive Eigentumswohnungen" steht auf einem Werbebanner im Bezirk Mitte in Berlin.
Exklusive Eigentumswohnungen - für die meisten Menschen sind diese Wohnungen unerschwinglich.© picture alliance / Wolfram Steinberg

Reichtum für alle?

Hintergrund für die Einführung von Wohnungsbauprämien, Arbeitnehmersparzulage oder Steuervergünstigungen seit der Ära Adenauer war auch die Konkurrenz mit der DDR, deren wirtschaftliche "Zukunftsfähigkeit" im Westen lange überschätzt wurde. Gefragt war eine breite Schicht selbstbewusster, gegen sozialistische Versuchungen immuner Kleineigentümer.
Sparen war auch in der DDR populär. Auf Sparbüchern lag eine Menge Geld für Anschaffungen wie Autos oder Unterhaltungselektronik, die wesentlich teurer waren als im "Westen" - und auf die man lange warten musste. Viele Beschäftigte zahlten freiwillige Beiträge in die Rentenversicherung ein, die sonst nur einen bescheidenen Lebensstandard versprach. Eine nützliche Sache ist schließlich das "Sparen", die "Selbstfinanzierung" von Unternehmen - wenn damit produktive Investitionen und neue Arbeitsplätze finanziert werden und nicht Spekulation.
Sparen ist offensichtlich kein Weg zu "Reichtum für alle". Sevim Olcay, die "Teilzeit" arbeitet:
"Ich verdiene 1300 Euro. Mit Kindergeld an die 1500 Euro netto - für zwei Personen. Ich hab Ende des Monats 20, 30 Euro übrig. Mehr nicht."
In der Zeit vor ihrer Arbeitslosigkeit konnte sie etwas mehr zurücklegen:
"Als meine Tochter fünf Jahre alt war, hatte ich von einer Bekannten gehört, dass es ein Sparprogramm für Kinder gibt - für später, wenn sie eine Ausbildung machen. Da hab ich angefangen zu sparen."
Bontrup: "Staatliche Sparförderung konnte bisher an der völlig ungleichen Vermögensverteilung in Deutschland nicht das geringste ändern. Abhängig Beschäftigte mit kleinem oder mittlerem Einkommen können für eine substanzielle Vermögensbildung nicht sparen."
Auch nach anderthalb Jahrhunderten gewohnheitsmäßigen Sparens besitzt etwa die Hälfte der Deutschen kaum mehr als ein schickes Auto, eine komfortable Wohnungseinrichtung und ein paar tausend Euro für alle Fälle.
Kann sparen sogar schaden? Ein "Konsumverzicht" der Besserverdienenden muss nicht im Interesse aller sein. Reichen geht es kaum um Sparen heute für den Konsum morgen - etwa für einen neuen Ferrari, für eine zweite Villa auf den Bahamas oder für einen Picasso. Früher wurde die "Ersparnis" dieser Elite ganz überwiegend für Investitionen in Industrie, Handel oder anderen Dienstleistungen genutzt. Seit den 80er-Jahren wird dagegen immer mehr Geldvermögen angehäuft.

Warum Sparen der Wirtschaft schadet

Billionen Dollar und Euro strömen in die Spekulation mit Wertpapieren, Währungen, Immobilien oder Rohstoffen. Dort sind die Renditechancen meist größer als in produzierenden Branchen. Gewaltige Summen werden daher nicht mehr für eine Ausweitung der Produktion genutzt, sondern wie im Glücksspiel hin- und hergeschoben. Arbeitsplätze entstehen so nur ausnahmsweise, nicht selten gehen sogar welche verloren. Noch mehr Nachfrage in der "realen" Wirtschaft fällt aus, wenn der Staat sich zu einer Sparpolitik entschließt.
Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt deutlich, dass Sparen nicht so lohnend ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Wiederholt - gerade auch in Deutschland - wurde das meiste Ersparte vernichtet. Die größten Gefahren für Sparerinnen und Sparer sind Inflation und ein Zusammenbruch des Finanzsystems. Beide Weltkriege hatten extreme Geldentwertung zur Folge.
Vöpel: "Da wurden private Ersparnisse vernichtet. Da hatten wir Inflationsraten von täglich mehreren hundert Prozent."
Während dieser "Hyperinflation" von 1923 zogen in Deutschland Menschen Bündel von Geldscheinen aus der Tasche, wenn sie ein Kilo Äpfel kaufen wollten. Die Reichen litten weniger, sie besaßen genug bleibende Werte wie Immobilien und Fabriken. Bis in die 80er-Jahre loderte zwischen New York, Berlin und Tokio die Inflation immer wieder auf. So erhielt man Ende 1974 für eine D-Mark sieben Prozent weniger als am Anfang desselben Jahres.
Schon lange ist die Inflation besiegt. Das war nicht so sehr ein Erfolg der Wirtschaftspolitik, eher eine Folge des schwächeren Wirtschaftswachstums und der Ausbreitung des Niedriglohnsektors in den letzten Jahrzehnten. In Zeiten der Flaute und in Branchen mit vielen Billigjobbern sind Preissteigerungen weniger wahrscheinlich.
Struve-Mardones: "Diese Finanzkrise kann sich noch wiederholen."
Ein Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems war in den letzten Jahrzehnten mehrfach in Sichtweite. Dramatischer Höhepunkt war die Finanzkrise seit 2007, vor allem infolge schwungvoller Spekulation auf Immobilien- und Wertpapiermärkten. Die Krise ist zwar eingedämmt, aber bis heute nicht wirklich überwunden. Zu den staatlichen Stabilisierungsmaßnahmen für mehrere hundert Milliarden Euro gehörten der teilweise oder völlige Aufkauf angeschlagener Banken und verbilligte "Rettungskredite". Selbst wenn Sparer keine Guthaben verloren, hafteten sie doch als Steuerzahler.
Geschäftssitz der Bank "Lehman Brothers" im Jahr 2008 - die Insolvenz brachte die weltweiten Finanzmärkte an ihre Grenzen.
Geschäftssitz der Bank "Lehman Brothers" im Jahr 2008 - die Insolvenz brachte die weltweiten Finanzmärkte an ihre Grenzen.© dpa / picture alliance / Justin Lane

Die Krise kann sich wiederholen

Vöpel: "Man weiß relativ wenig darüber, wer eigentlich die Kosten der Finanzkrise trägt."
Henning Vöpel bleibt vorsichtig. Heinz-Josef Bontrup dagegen nennt - geschätzte - Zahlen:
"Man kann davon ausgehen, dass bis heute die Krisenlast weltweit bei etwa acht Billionen Euro gelegen hat. Das sind Wachstumsverluste, die bei dieser Rechnung berücksichtigt werden, aber auch zusätzliche Staatsausgaben. Für die EU sind es etwa drei Billionen, nur auf Deutschland bezogen etwa 500 Milliarden Euro."
Viele Sparerinnen und Sparer sind wegen der anhaltenden Krise verunsichert.
So klang die berühmte Garantie, die Kanzlerin Merkel und SPD-Finanzminister Steinbrück auf dem Höhepunkt der Angst am 5. Oktober 2008 formulierten. Petra Struve-Mardones hörte damals zu:
"Da musste ich schon leicht lächeln. Geglaubt hab ich denen nicht, nein. Betrug würde ich nicht sagen. Das ist deren Aufgabe, das Volk zu beruhigen."
Schlüter: "Ich glaube, das war eine Maßnahme, einfach um beruhigend zu wirken. Wir haben ja viele bedrohliche Szenarien in anderen europäischen Ländern gesehen."
Vöpel: "Interessanterweise hat es funktioniert. Das hat dazu geführt, dass die Menschen nicht zur Bank gelaufen sind. Aber der deutsche Staat hätte diese Garantie nicht umsetzen können. Wenn es zu einem Bank Run gekommen wäre, hätte der Staat die Sparvermögen nicht garantieren können."

Ist das Ersparte wirklich sicher?

Jedenfalls wurde an Auffanglinien für einzelne angeschlagene Banken gearbeitet - sie haben bisher auch gehalten. Dazu Thomas Schlüter, Pressesprecher des Bundesverbands deutscher Banken:
"Wir haben in Deutschland zwei Systeme. Das eine ist die gesetzliche Einlagensicherung, die europaweit gilt. Hier sind Gelder bis zu 100 000 Euro gesichert. Was man auf dem Girokonto hat, auf dem Sparkonto, oder als Termineinlage. Neben dieser gesetzlichen Einlagensicherung haben wir noch freiwillige Einlagensicherungssysteme, zum Beispiel bei den privaten Banken den freiwilligen Einlagensicherungsfonds. Der schützt in der Regel bis zu einer Million Euro pro Kunde."
Bontrup: "In der Krise muss man zwei Dinge machen - man muss mehr Staatsausgaben tätigen, um die ausfallende private Nachfrage zu ersetzen und man muss durch die Notenbanken die Zinsen nach unten bringen, damit die Wirtschaft wieder anspringt."
Die Europäische Zentralbank flutete fast zehn Jahre lang die Märkte mit billigem Geld.
Vöpel: "Es war tatsächlich alternativlos. Weil nur die EZB in der Lage war, die Krise in den Griff zu bekommen. Allein die Ankündigung damals hat dazu beigetragen, dass sich die Krise nicht ausgeweitet hat."
Brinkhaus: "Niedrige Zinsen haben nicht nur Nachteile - Unternehmen, Häuslebauer zahlen niedrige Zinsen, das heißt, es führt auch zu Wirtschaftswachstum. Der deutsche Staat hat auch von der Niedrigzinspolitik profitiert."
Ralph Brinkhaus, Finanzexperte der CDU. Die Niedrig- oder sogar Nullzinspolitik sorgte aber auch für breite Empörung.
Schlüter: "Was gut für den Kreditnehmer ist, nämlich niedrige Zinsen, ist schlecht für den Sparer."
Wer Scheine unter dem Schrank stapelt, dem entgeht heute kaum etwas. Und Ralph Brinkhaus unterstreicht:
"Viele Menschen sagen - die Zinsen sind so niedrig, da lohnt es sich nicht zu sparen. Es lohnt sich immer zu sparen. Wer nicht spart, der hat keine Reserven - und das ist schlechter als Geld durch niedrige Zinsen zu verlieren."
Olcay: "Ich möchte nicht sparen auf lange Sicht."

Struve-Mardones: "Das ist schon sehr besorgniserregend. Das ist etwas, was zu Krisen führen kann."
Wie es deutschen Sparerinnen und Sparern in Zukunft geht, hängt vor allem ab von der Stabilität des globalen Finanzsystems. Im Vergleich zur Krise um 2008 hebt Thomas Schlüter vom Bankenverband hervor:
"Wir haben deutlich mehr Kapital in den Banken. Sie sind zudem viel liquider - und sie sind transparenter. Hier haben wir mit der Regulierung in den letzten Jahren hervorragende Fortschritte gemacht."
Andererseits, so Ralph Brinkhaus:
"Schattenbanken sind ja der Bereich, der sich Regulierung weitgehend entzieht. Da stoßen wir an Grenzen - so etwas kann man nur international regeln und andere Länder haben da eine andere Einstellung."
Ein Sparschwein steht auf verschiedenen Euro-Banknoten.
Während der aktuellen Niedrigzinsphase lohnt sich Sparen kaum noch.© picture alliance / dpa / Hans Wiedl

Die Risiken sind bis heute nicht gelöst

Risiken gehen heute wahrscheinlich weniger von "klassischen" Banken aus als von solchen Schattenbanken - wie Investmentfonds - oder von Versicherungskonzernen. Außerdem:

Vöpel: "Nehmen sie beispielsweise die Immobilienpreise, die sehr stark gestiegen sind, nehmen Sie andere Vermögenspreise oder den Aktienmarkt. Wir können nicht ausschließen, dass die Grundlagen der nächsten Krise schon da sind."
Sollte es zu einer Schieflage des gesamten Systems kommen, wären natürlich auch die Ersparnisse der breiten Bevölkerung bedroht, nicht zu reden von den Auswirkungen auf Industrie- und Dienstleistungsproduktion und Beschäftigung. Anders als 2008 wären Finanzministerien und Zentralbanken weitgehend handlungsunfähig.
Vöpel: "Wir sind an der Null-Zins-Grenze, haben im Grunde unser Pulver verschossen, haben keine Möglichkeit, im Fall einer neuen Krise einzugreifen."
Ruhig schlafen dank sicherer Ersparnisse?
Bontrup: "Die halte ich nicht für gesichert, überhaupt nicht. Die weltweite Krise ist bis heute nicht gelöst."
Olcay: "Manchmal bin ich auch nicht zu Geburtstagsfeiern gegangen, weil wir kein Geld hatten. Ich hab gesagt, ich hab Kopfschmerzen. Weil wir kein Geld hatten, ein Geschenk zu kaufen."
Sevim Olcay über das Leben mit "Hartz IV". Wo soll der Staat sparen? Wann soll er Schulden machen? Sicher muss der Staat Vergeudung unbedingt vermeiden. Ineffizienz im Kleinen ist aber vermutlich eine unendliche Geschichte. Manchmal wird auch in großem Maßstab Geld verbrannt. Heinz-Josef Bontrup:
"Beim Atomkompromiss ist der Staat in ganz großer Manier einem Risiko aufgesessen. Er hat ja den vier großen Energieversorgern die Last für die Endlagerung des Atommülls abgenommen - dafür mussten die Konzerne nur 23 Milliarden Euro in einen Staatsfonds einzahlen und konnten sich damit für immer von dieser Last freikaufen. Das wird natürlich überhaupt nicht ausreichen, wenn man sich vorstellt, dass ja der Atommüll ewig strahlen wird."
Der Staat soll, so ist immer wieder zu hören, ganz besonders bei den Zinsausgaben sparen - in Deutschland waren das 2016 über 40 Milliarden Euro. Er müsse - nicht nur im Interesse kommender Generationen - Schulden abbauen, neue Schulden vermeiden. Das Ideal: die "schwarze Null" im Staatshaushalt. Seit 2012 führten der Bund und einige Länder eine sogenannte Schuldenbremse ein.
Diese Entscheidung hat ihren Preis. Auch wenn sie selbst nicht mehr auf "Hartz IV" angewiesen ist, begegnet die Erzieherin aus Gelsenkirchen jeden Arbeitstag einigen von Deutschlands ungefähr 30 Prozent armen Kindern:
"Ich hab oft beobachtet, dass die Kinder nicht mal ein Brot dabei haben. Warum kann man da nicht sagen - jetzt habt ihr ein Budget von soundsoviel - und ihr könnt damit den Kindern ein gesundes Frühstück servieren."
Petra Struve-Mardones meint:
"Ich gehe davon aus, dass diese Menschen genauso ein Recht haben, in Würde zu leben, wie ich es kann. Das kann man mit Hartz IV, wie es jetzt ist, nicht erreichen. Insofern müsste der Hartz IV-Satz unbedingt angehoben werden. Da muss man wirklich neu denken."

Bontrup: "Wenn Sie sich nur die Straßenverhältnisse ansehen vor allem in Westdeutschland, da ist vieles verfallen, Brücken sind marode, die Kanalisation. Das gilt für die gesamte öffentliche Infrastruktur, für die ökologische Vorsorge, die völlig unterfinanzierte Altenpflege. Hier wären kreditfinanzierte Staatsausgaben für die Gesellschaft sicher wohlfahrtsfördernd."

Wenn der Sparkurs zur Krise führt

Zweifellos ist die Staatsverschuldung in Deutschland enorm - sie beträgt etwa 70 Prozent des Sozialprodukts von 2016. Aber lässt sich eine Grenze bestimmen, ab der sie gefährlich wird? Henning Vöpel:

"Man hat das immer wieder versucht, eine Grenze zu ermitteln, ab der Staatsschulden dämpfend auf die wirtschaftliche Entwicklung wirken. Es kursierte einmal eine empirische Zahl: Wenn der Staat Schulden hat in Höhe von ungefähr 90 Prozent des BIP, dann wird es kritisch. Diese Zahl hat sich als nicht besonders valide herausgestellt."
Die Risiken radikalen Sparens wurden eindrucksvoll in der Weltwirtschaftskrise um 1930 deutlich, als Unternehmen und Regierungen sich in den Ruin sparten. In dieser "Großen Depression" investierten die Staaten - wie die privaten Unternehmen - immer weniger, senkten die Gehälter ihrer Beschäftigten und würgten so das Wirtschaftswachstum ab. Ähnliches geschah in den letzten Jahrzehnten in zahlreichen überschuldeten Staaten des globalen Südens und auch der EU, etwa in Griechenland. Der Verfall der Infrastruktur, eine sinkende Industrie- und Dienstleistungsproduktion, die Abwanderung von Fachkräften, der Abbau von Sozialleistungen und die Verarmung großer Teile der Bevölkerung wurden oft mit dem Sparkurs in Zusammenhang gebracht.
Die Schuldenuhr rutscht unter die 2-Billionen-Grenze
Ende 2017 rutscht die Schuldenuhr die 2-Billionen-Grenze.© Deutschlandfunk/Theo Geers
Bontrup: "Das ist eine völlig falsch angesetzte Kürzungspolitik, die nicht zu einer Entschuldung führt, sondern zu einer größeren Staatsschuld."
Der Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts sieht auch positive Veränderungen:
"Man hat den Ländern ein Spardiktat auferlegt - in vielen Ländern können wir aber heute Erfolge feststellen, die Ausgabendisziplin hat zugenommen."
Warum häufen Staaten überhaupt Schulden auf? Über einen naheliegenden Ausweg wird nur selten diskutiert. Staatliche Mittellosigkeit könnte auch damit zusammenhängen, dass große Vermögen sehr zurückhaltend besteuert werden. Ihre Gefühle nach den "Panama-" oder "Malta-Enthüllungen" zum Thema "Steuerflucht" beschreibt Petra Struve-Mardones so:
"Empörung - vor allem, weil es sich immer wiederholt. Man beruhigt die Leute, indem man sich in allen Medien darüber aufregt. Dann passiert gar nichts. Bis es wieder passiert."
Alle Vermögenssteuern in Deutschland - in erster Linie die Erbschaftssteuer - summieren sich pro Jahr auf etwa zehn Milliarden Euro. Eine Menge Geld? Raucherinnen und Raucher geben dem Staat mehr: etwa 15 Milliarden Euro für Tabaksteuer plus fünf Milliarden für Mehrwertsteuer.
Widerspruch gegen die Politik des "Sparens in der Krise" formulierten Ökonomen wie John Maynard Keynes und Michał Kalecki schon während der weltweiten Krise um 1930.

Bontrup: "Keynes sagt: Das Gegenteil der Wirkung tritt ein. Die Krise wird immer schlimmer, die Unternehmen lasten immer weniger ihre Kapazitäten aus."

"Weniger sparen, mehr ausgeben"

Was für einen einzelnen Haushalt oder ein einzelnes Unternehmen richtig sei - in einer schwierigen Lage Ausgaben einschränken - schade der Nachfrage und damit dem Wirtschaftswachstum, wenn alle und vor allem wenn Regierungen so handelten. Keynes und Kalecki rieten "Weniger sparen, mehr ausgeben". Die Politik solle in der Krise mehr Schulen, Kliniken, Forschungseinrichtungen finanzieren, Wohnungen, U-Bahnen oder Straßen. Diese Investitionen könnten zu mehr Beschäftigung, mehr Konsum und auch wieder zu mehr privaten Investitionen - und Gewinnen - führen.
Die keynesianische Strategie setzte sich in der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre rasch durch. Besonders eindrucksvolle Erfolge verzeichnete sie in den USA - im "New Deal" des Präsidenten Franklin Delano Roosevelt. An diese "expansive" Wirtschaftspolitik erinnerten in neuerer Zeit etwa die Nobelpreisträger Paul Krugman und Joseph Stiglitz.
In Deutschland fordern Wissenschaftler wie Heiner Flassbeck oder Gustav Horn oder die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik um Heinz-Josef Bontrup, Rudolf Hickel und Mechthild Schrooten ein Umdenken. In der Krise nach 2007 griff auch die etablierte Wirtschaftspolitik auf solche Ideen zurück, etwa mit den sogenannten Konjunkturpaketen I und II - nicht am wichtigsten, aber am populärsten war die "Abwrackprämie" für Autos. Das war aber nur eine vorübergehende Lösung, es folgte sogar verstärktes staatliches Sparen.
Sparen hilft vielen Menschen, ihre Träume zu verwirklichen. Zugleich lauern im Universum des Sparens unkalkulierbare Risiken - bis hin zu Geldentwertung oder Bankzusammenbrüchen. Das Sparen der Reichen befeuert mitunter die Spekulation statt die reale Produktion. Und ein "konsequenter staatlicher Sparkurs" blockiert womöglich Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Sparen kann nützlich und kann gefährlich sein.
Olcay: "Es macht einen schwindelig, die ganze Zeit zu überlegen - wie kommst du zurecht, immer diese Rechnerei ..."
Bontrup: "Wenn Sie sich nur die Straßenverhältnisse ansehen vor allem in Westdeutschland - da ist vieles verfallen. Da ist vieles zu tun."
Brinkhaus: "Wir haben in den letzten Jahren sehr stark daran gearbeitet, das System sicher zu machen. Komplette Sicherheit gibt es nie."
Vöpel: "Aus meiner persönlichen Sicht ist das Finanzsystem in vielen Ländern immer noch äußerst fragil. Insofern bin ich skeptisch, ob wir davon reden können, die Finanzmarktkrise überwunden zu haben."
Mehr zum Thema