CDU-Politiker Polenz über die Yücel-Freilassung

"Konfrontation mit Deutschland bringt der Türkei nichts"

Deniz Yücel nach seiner Freilassung in Istanbul.
Diplomatie oder Deal? Das Auswärtige Amt beteuert, die Freilassung des Journalisten sei ohne Zugeständnisse zustande gekommen. © AFP / Yasin Akgul
Ruprecht Polenz im Gespräch mit Ute Welty · 17.02.2018
Deniz Yücel ist frei - und viele fragen sich, warum die Türkei in dem Fall am Ende doch eingelenkt hat. Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz glaubt, Ankara habe letztlich "eingesehen, dass ihr die Konfrontation mit Deutschland nichts bringt, sondern schadet".
Ute Welty: Es ist mit Abstand eine der besten Nachrichten der Woche. Der deutsch-türkische Korrespondent Deniz Yücel ist frei, und er ist wieder in Deutschland. Mehr als ein Jahr lang saß er in türkischer Untersuchungshaft, ohne dass Anklage erhoben wurde. Inzwischen werden auch immer mehr Details bekannt, wie im Hintergrund über die Freilassung Yücels verhandelt wurde. So bestätigte das Auswärtige Amt, dass sich Außenminister Gabriel in den vergangenen Wochen zweimal mit dem türkischen Präsidenten Erdogan getroffen hat. Und auch soll es Gabriel gewesen sein, der Altkanzler Schröder bat, in dieser Angelegenheit in die Türkei zu fliegen.
Das diplomatische Geschäft kennt auch Ruprecht Polenz sehr gut. Der CDU-Politiker vertritt die Bundesregierung in Namibia bei den Gesprächen über den Völkermord an den Herero und Nama, und er war lange Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag. Guten Morgen, Herr Polenz!
Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Deniz Yücel hat Anfang des Jahres noch einmal betont, "für einen schmutzigen Deal stehe ich nicht zur Verfügung", und der Bundesaußenminister versicherte, es habe weder schmutzige noch saubere Deals gegeben. Kommt das diplomatische Geschäft tatsächlich ohne Deals aus?
Polenz: Ich gehe davon aus, dass beide die Vorgänge richtig beschreiben. Aber zunächst mal möchte ich einfach auch noch mal selbst sagen können, wie sehr ich mich darüber freue, dass Deniz Yücel jetzt frei ist, auch wenn wir natürlich gleichzeitig daran denken müssen, dass in der Türkei noch 155 Journalisten inhaftiert sind und am gleichen Tag sechs Journalisten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Aber zu Ihrer Frage: Ich glaube, dass es vor allen Dingen Vertraulichkeit braucht, um solche Fälle zu lösen, und die hat es offensichtlich gegeben, denn es haben ja die Medien in Deutschland, auch in der Türkei nicht mitbekommen, dass der Außenminister, dass der frühere Bundeskanzler Schröder solche Gespräche geführt haben.
Welty: Sie sagen, Vertraulichkeit braucht es vor allen Dingen. Was heißt das konkret? Welche Sätze sagt man dann, welche Sprache wählt man dann?
Polenz: Ich glaube, man spricht ja auch sozusagen untereinander, wenn alle wissen, dass man sich trifft. Hier war es wichtig, dass man sich treffen konnte, ohne dass ein Erwartungsdruck der Medien auf solchen Treffen lag, einfach weil niemand davon wusste, dass es überhaupt ein Treffen gab.
Welty: Ist das inzwischen schwieriger geworden, eine solche Vertraulichkeit, eine solche Geheimhaltung zu gewährleisten, als früher?
Polenz: Das denke ich schon. Die Journalisten sind sehr wachsam, beobachten Konferenzen, wer trifft wen, kriegen irgendwie mit, wer reist wohin. Und dann ist auch noch in Zeiten des Smartphones, wo jeder irgendjemanden fotografieren und das ins Netz stellen kann, es auch noch mal schwieriger geworden. Also ich glaube schon, dass es schwieriger geworden ist, aber, wie man sieht, nicht unmöglich, und das war gut für Deniz Yücel.
Welty: Das deutsch-türkische Verhältnis war lange Zeit sehr angespannt, ist immer noch nicht so ganz wieder im Reinen. Wie kann es denn in einer solchen Situation gelingen, dass der Gesprächsfaden eben nicht abreißt?

Konfrontation mit Deutschland schadet

Polenz: Ich glaube, die Türkei, und das ist aus meiner Sicht wohl der Hauptgrund dahinter, hat eingesehen, dass die Konfrontation mit Deutschland ihr nichts bringt, dass sie ihr schadet, und hat auch nach Wegen gesucht, wie sie das Verhältnis wieder verbessern kann. Und in Deutschland war es die große Solidarität, öffentliche Solidarität auch von Kollegen, die immer wieder darüber geschrieben haben, mit Deniz Yücel.
Und das ständige Bohren auch der Bundesregierung auch in den offiziell bekannt gewordenen Gesprächen, wie wichtig die Lösung dieses Falls für das deutsch-türkische Verhältnis ist, das letztlich dazu geführt hat, dass die Türkei umgedacht hat. Denn das wissen wir nun sicher, es war nicht die türkische Justiz, die hier die Feder geführt hat, sondern es ging eben auch und vor allen Dingen um politische Entscheidungen.
Welty: Es hat auch harte Kritik gegeben am deutschen Vorgehen, nicht zuletzt von der Journalistin Mesale Tolu, die ja selbst im Gefängnis saß. Können Sie diese Kritik in Teilen nachvollziehen?
Polenz: Ich weiß jetzt nicht mehr genau, was sie nun kritisiert hat.
Welty: Sie hat gesagt, es braucht deutlichere Worte, es braucht klare Kante, es sei ja bisher nichts passiert. Und das war kurz vor der Freilassung.
Polenz: Es ist immer wichtig, eine Mischung von deutlicher Ansprache der Probleme zu haben, aber gleichzeitig eben auch die Möglichkeit, wie man so sagt, hinter den Kulissen vertraulich zu sprechen. Ich erinnere mich an ein Foto im Netz, das viel kritisiert worden ist, wo Außenminister Gabriel den türkischen Amtskollegen zu sich nach Hause eingeladen hatte. Und das Foto zeigt ihn, wie er ihm Tee oder Kaffee eingießt, und es wirkt so, als verbeuge sich Gabriel. Wahrscheinlich hat er aber nur aufgepasst, dass er keinen Tee verschüttet.
Und dieses Foto ist wie eine kriecherische Anpassung mit viel Häme im Netz bewertet worden. Ich habe diese Kritik nicht geteilt, sondern als eine geschickte Vorgehensweise angesehen, denn es ist nichts damit geholfen, jetzt auch im persönlichen Umgang die Dinge zusätzlich zu verhärten. Und wenn man durch kleine Gesten festgefahrene Verhaltensweisen lockern kann, dann sind sie doch in Ordnung.

Chance für die deutsche Diplomatie

Welty: Tolu frei, Peter Steudtner frei, der Menschenrechtsaktivist, und jetzt eben auch Yücel. Was bedeutet das eben auch für das deutsch-türkische Verhältnis? Welche Chancen ergeben sich jetzt, und welche Risiken drohen?
Polenz: Ich sagte ja, dass nach meiner Einschätzung die Türkei selbst vor allen Dingen erst mal eingesehen hat, dass der Konfrontationskurs mit Deutschland nichts bringt. Dazu gehört sicherlich auch, dass die Lage der Türkei an der Grenze zu dem nicht enden wollenden Krieg in Syrien, die Schwierigkeiten, die es inzwischen auch mit Russland gibt, mit den USA sowieso, und jetzt auch mit Iran und Saudi-Arabien – in dieser ganzen schwierigen Situation hat sich die Türkei besonnen und gesagt, welche Fronten können wir denn zu begradigen versuchen.
Und in dieser Phase konnten dann die Gespräche, die ja von Anfang an von der Bundesregierung gegenüber der Türkei geführt wurden mit dem Ziel, Yücel aus dieser ungerechtfertigten Haft frei zu bekommen, zum Erfolg führen. Und wenn diese Analyse stimmt, die ich Ihnen gerade vorgetragen habe, dann gibt es natürlich jetzt für die deutsche Diplomatie die Chance, in geeigneter Weise weiter darauf hinzuwirken, dass die Türkei Schritt für Schritt zu mehr Rechtsstaatlichkeit zurückkehrt und vor allen Dingen auch die Pressefreiheit wieder stärker respektiert und hoffentlich irgendwann mal wieder uneingeschränkt garantiert.
Welty: Wobei die Türkei eben auch weiß, dass Deutschland und Europa auf die Türkei angewiesen sind.
Polenz: Ja, also die Angewiesenheit ist umgekehrt sicherlich deutlich größer. Durch die Zollunion ist die Türkei mit der Europäischen Union verbunden, und die wesentlichen Wirtschaftsbeziehungen, Einfuhr und Ausfuhr, finden mit der Europäischen Union statt.
Welty: Ruprecht Polenz war das, der die deutsche Außenpolitik gestaltet und begleitet. Herr Polenz, haben Sie Dank für Ihre Einschätzung!
Polenz: Vielen Dank, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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