CDU-Politiker Andreas Rödder über Diskussionskultur

"Wir haben diese moralisch-empört aufgeladene Debatte"

Flüchtlinge gehen am 21.11.2015 an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Wegscheid (Bayern) während eines Schneeschauers nach Deutschland.
Flüchtlinge gehen am 21.11.2015 an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Wegscheid (Bayern) während eines Schneeschauers nach Deutschland. © dpa / picture alliance / Armin Weigel
Andreas Rödder im Gespräch mit Ute Welty · 05.10.2017
Beleidigungen und Herabwürdigungen von Menschen und Menschengruppen lehnt CDU-Politiker Andreas Rödder strikt ab. Aber Diskussionen müssten wieder offener geführt werden, sagt er. Es müsse legitim sein, Kritik an offenen Grenzen und der Willkommenskultur zu äußern.
Ute Welty: Deutschland sortiert sich neu nach der Bundestagswahl 2017. Das gilt unter anderem für die Sitzordnung im Parlament, das gilt für die Verteilung der Abgeordnetenbüros und vor allem für die Debatte über Inhalte. Das CDU-Mitglied Andreas Rödder fordert eine neue Offenheit. Der Professor für Neueste Geschichte in Mainz beschäftigt sich intensiv mit dem Wertewandel im 20. Jahrhundert sowie mit der jüngsten Zeitgeschichte seit 1990, und er wehrt sich gegen den Mainstream des Regenbogens. Guten Morgen, Frau Welty.
Andreas Rödder: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Was meinen Sie genau damit, wenn Sie vom Mainstream des Regenbogens und von grüner Leitkultur sprechen?
Rödder: Wir haben seit etwa zehn bis 15 Jahren in der Öffentlichkeit eine dominante, tatsächlich neue Leitkultur, die sich durch Begriffe wie Gleichstellung, Antidiskriminierung, Diversität oder Inklusion beschreiben lässt. Diese Kultur hat große Emanzipationsgewinne erbracht für Frauen, für Homosexuelle. Ein Homosexueller lebt heute in Deutschland viel freier, viel besser als vor 30 Jahren. Zugleich ist – um ein Beispiel zu nennen – die Debatte um das Betreuungsgeld vor einigen Jahren geradezu als ein Kulturkampf gegen das Lebensmodell der Vollzeitmutter geführt worden, die sich heute von Frau Schwiesig sagen lassen muss, ihr Lebensmodell sei problematisch. Das heißt, diese Leitkultur hat neue Inklusion erbracht, Emanzipation, neue Chancen, auf der anderen Seite aber auch ausgegrenzt. Das ist ein ganz normaler Mechanismus. Der Soziologe Talcott Parsons hat schon in den 50er-Jahren gesagt, jeder Inklusion folgt neue Exklusion als logischer Schatten nach, aber genau das müssten wir auch alle selbst im Kopf haben, um mit dieser Kultur, die ich gar nicht ablehne, aber um mit dieser Kultur reflektiert und produktiv umzugehen.
Welty: Was bedeutet das beispielsweise für die aktuelle Diskussion über ein Bundesheimatministerium?
Rödder: Jetzt müssten Sie mir kurz auf die Sprünge helfen, was die Diskussion um ein Bundesheimatministerium heißt.
Welty: Es heißt, dass die CDU, Teil der CDU, für ein Bundesheimatministerium nach bayrischem oder nach nordrhein-westfälischem Vorbild eintreten, um den ländlichen Raum besser zu unterstützen.
Rödder: Der ländliche Raum, er hat ein enormes Problem mitten in unserer strukturellen Entwicklung einer digitalisierten Gesellschaft, mit dem ökonomischen Strukturwandel, den wir erleben. Nur, was wir brauchen in diesen Dingen sind Konzepte, Inhalte, die wir diskutieren müssen. Nur alleine ein Label, das wird es nicht tun, aber wir müssen tatsächlich die Probleme, vor denen unsere Gesellschaft steht, offen und ohne Scheuklappen diskutieren.
Welty: Ihrer Meinung nach sind die Grenzen der Meinungsfreiheit im gesellschaftlichen Diskurs zu eng gesteckt. Inwiefern, was darf denn nicht, sollte aber gesagt werden dürfen?
Rödder: Zunächst einmal, es gibt eine Grenz des moralisch legitimerweise Sagbaren, die müssen wir auch beachten. Das ist die Grenze, wo eine Person oder eine Gruppe von Menschen herabgewürdigt wird. Das beschreibt der Artikel Eins des Grundgesetzes. Das ist die Grenze zum völkischen Denken. Deswegen ist es auch nicht legitim, wenn Alexander Gauland davon spricht, Frau Özoguz zu entsorgen, denn das setzt einen Menschen mit Abfall gleich, nur Abfall entsorgt man, und das würdigt einen Menschen herab. Es wäre auch nicht legitim zu sagen, alle Asylbewerber sind kriminell. Das würde die Gruppe der Asylbewerber herabsetzen, aber diesseits dieser Grenze, finde ich, müssen wir die Diskussion offener führen als wir sie führen, denn wir machen zu früh in unserer öffentlichen Debatte die Schotten dicht durch eine Moralisierung der Debatte, die die gegenseitigen Echokammern immer nur verstärkt, und zwar auf allen Seiten, nicht nur, wenn auch auf Seiten beispielsweise der AfD.
Welty: Aber wie sollen wir denn mit der Situation umgehen, wo Rassismus und Nationalismus verbrämt wird mit diesem Satz, den man schon gar nicht mehr aussprechen mag, nämlich mit diesem Satz, das wird man ja doch noch sagen dürfen?

"Es ist ja legitim, über diese Dinge kritisch zu reden"

Rödder: Ja, diesen Satz mag man ungern hören, und dennoch drückt er etwas Richtiges aus: Ich finde, wir müssen klar definieren, wo ist die Grenze des Sagbaren. Das habe ich ja gerade schon einmal gesagt, wo diese Grenze liegen muss, aber diesseits dessen ist es doch tatsächlich so, dass Dinge, die geäußert werden, Kritik an offenen Grenzen beispielsweise in der Debatte um die Willkommenskultur Ende 2015 oder auch Kritik an der Ehe für alle. Es ist ja legitim, über diese Dinge kritisch zu reden. Die müssen tatsächlich geäußert werden können, und jetzt kann man immer sagen, ja, man kann doch alles sagen, aber das Problem ist die moralische Empörung, auf das so vieles stößt. Wir haben diese moralisch-empört aufgeladene Debatte. Man muss Dinge sagen können, ohne dass man gleich auf die hochgezogenen Augenbrauen spricht, wenn es noch einmal diesseits der Grenze der Respektabilität liegt, und da, glaube ich, müssen wir offener werden.
Welty: Der Philosoph Konrad Paul Liessmann hat an dieser Stelle hier gestern gesagt, der Vorwurf des Populismus sei auch ein Totschlagargument. Inwieweit sehen auch Sie den Populismusvorwurf als Mittel der Ausgrenzung?
Rödder: Ja, absolut. Der Begriff Populismus versucht auf der einen Seite, ein Phänomen zu erfassen, für das man irgendwie auch einen Begriff braucht, und insofern ist der Begriff auch in Ordnung. Auf der anderen Seite wohnt diesem Begriff des Populismus immer eine Moralisierung inne, die ausgrenzt: Wir und die anderen. Das erleben wir gerade nach der Bundestagswahl im Moment wieder ganz deutlich. Wir und die anderen, und das heißt zugleicht, wir sind die Guten, die anderen sind die Bösen, und darin steckt immer ein Maß an selbstgerechter Überheblichkeit, und genau das verstärkt diesen Empörungsmodus der gegenseitigen Echokammern, und das tut der öffentlichen Debatte, das tut der demokratischen Öffentlichkeit nicht gut.
Welty: Wie möchten Sie denn in Zukunft einen produktiven gesellschaftlichen Diskurs gestaltet wissen, und für wie realistisch halten Sie, dass das auch klappt?

"Einzige Chance, die eine Demokratie hat"

Rödder: Also ich möchte klar definieren, wo ist die Grenze dessen, über die wir nicht verhandeln. Wir verhandeln in der öffentlichen Debatte nicht über völkisches Denken und nicht über die Herabwürdigung von Menschen, von Personen. Diesseits dieser Grenze wünsche ich mir, dass wir nicht moralisieren, sondern argumentieren, dass man jemanden wie Herrn Gauland nicht gleich mit Empörung begegnet, sondern dass man ihm sagt, was meinen Sie denn damit, dass man mit ihm argumentiert, dass man Argumente austauscht. Timothy Garton Ash hat das robuste Zivilität genannt. Ich finde, das ist die Würde, es ist aber auch die einzige Chance, die eine Demokratie, die eine demokratische Öffentlichkeit hat. Dazu sollte sie auch stehen, und wenn dann die andere Seite sich dieser Diskussion entzieht, denn die Tendenz gibt es bei der AfD natürlich auch, dann aber hat die Demokratie das ihrige getan, und dann kann man sie dabei packen, dass man sagt, die Debatte, die müssen wir miteinander führen. Das ist die Grundlage der Demokratie, und auf der müssen wir bestehen.
Welty: Weniger grüne Leitkultur, weniger Mainstream des Regenbogens, das fordert Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte in Mainz, und ich bedanke mich sehr für dieses "Studio 9"-Gespräch!
Rödder: Sehr gern, Frau Welty! Auf Wiedersehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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