CD-Box: "Hootenanny in Ost-Berlin"

Aufstieg und Niedergang der Folkszene in der DDR

Der amerikanische Folksänger Pete Seeger (u.a. "Sag mir, wo die Blumen sind" und "If I had a Hammer") am 3. Januar 1967 in Ost-Berlin während einer Fernsehaufzeichnung.
Der amerikanische Folksänger Pete Seeger 1967 in Ost-Berlin - da hatte das Regime die Bewegung schon an die Kandare genommen. © picture alliance / dpa
Von Carsten Beyer · 06.04.2016
"Hootenanny" – das englische Wort bezeichnet ein mehr oder weniger spontanes Konzert von mehreren Folksängern. Äußerst populär waren diese Events in den 60ern nicht nur in den USA, sondern - man höre und staune - auch in der DDR. Und sie haben die Folkmusik in Ostdeutschland entscheidend geprägt.
Die Geschichte beginnt 1959: In diesem Jahr kommt der kanadische Folksänger Perry Friedman nach Ost-Berlin – und mit ihm die Idee der Hootenannys. Ein Sänger aus dem Westen, der Traditionals und linke politische Lieder singt, so wie er sie von seinen Vorbildern Pete Seeger und Paul Robeson gelernt hat – das ist eine kleine Sensation in der biederen Kulturszene des jungen Staats. Ein Funktionär der SED hatte Friedman bei einem Konzert in London gesehen und in die DDR eingeladen – eine Initial-Zündung auch für Lutz Kirchenwitz, damals 13-jähriger Schüler in Ost-Berlin und später eine der zentralen Figuren der DDR-Folkszene
Lutz Kirchenwitz: "Also für mich als braves DDR-Kind war das natürlich eine völlige Überraschung. Sowas hatte ich noch nicht erlebt, das war eine völlig ungewöhnliche Art zu musizieren: Folkmusik zu machen und auch politische Lieder zu singen, das hatten wir so live noch nicht erlebt. Das hat mich fasziniert und klar, der lobte ja auch. Der wollte die DDR kennenlernen und hatte ein sehr positives Verhältnis zu ihr."
Perry Friedmann: "Ich sagte wir wollen neue Lieder und alte Lieder singen. Hier ist ein Lied, was wahrscheinlich war in die Hit-Parade, so in die Jahr 1500 …"

Erste Hotenanny 1960 in Ostberlin

Am 28. Januar 1960 findet das erste offizielle Ostberliner Hootenanny statt – im Zentralen Klub der Jugend und Sportler in der Stalin-Allee. Mit dabei sind neben Perry Friedmann unter anderem die Sängerinnen Gisela May und Lin Jaldati. Das neue Format kommt gut an – nicht nur bei den Funktionären, sondern auch beim Publikum. Und so schließen sich schon bald weitere Sängerinnen und Sänger der Hootenanny-Bewegung an: Bettina Wegner beispielsweise und auch der junge Manfred Krug:
"Die Ballade von dem Briefträger William L. Moore aus Baltimore, der im Jahre '63 allein in die Südstaaten wanderte, um gegen die Verfolgung der Neger zu protestieren. Er wurde erschossen nach einer Woche. Drei Kugeln trafen ihn in die Stirn…"
Auch der Rundfunk und das Fernsehen greifen das Phänomen auf und bald schon gibt es überall in der DDR Hootenannys nach dem Ost-Berliner Vorbild: Lutz Kirchenwitz erinnert sich:
"So was wie 'We shall overcome' wurde damals natürlich rauf und runter gesungen. 'Oh freedom' und 'Michael, row the boat ashore' und so. Also viele dieser amerikanischen Lieder, aber auch schon bei Seeger und in der ganzen amerikanischen Folkbewegung gab es ja 'Guantanamera' und Lieder aus Südafrika, also da war das schon sehr international. Und wir haben natürlich dann weiter geguckt: Was gibt’s an russischen Liedern, und an italienischen und spanischen und was weiß ich? Das haben wir sehr interessiert und international betrieben und natürlich auch immer geguckt: was kann man an unserem eigenen, nationalen Repertoire, was ist da geeignet für diese Art zu singen?"

Liberaler Geist ist den Funktionären suspekt

Mitte der 60er-Jahre dreht sich der Wind in der ostdeutschen Kulturpolitik: Auch wenn die Proteste gegen den Vietnam-Krieg und die Kritik am Kapitalismus wohlwollend zur Kenntnis genommen werden, der liberale Geist der Hootenanny-Bewegung und ihre so genannten "Amerikanismen" sind den Funktionären suspekt. Konzerte werden abgesagt, Platten-Veröffentlichungen gestoppt. Weitermachen dürfen nur diejenigen die sich anpassen. So wird aus der beliebten Folkrock-Gruppe "Team 4" Thomas Natschinski und seine Band und aus Lutz Kirchenwitzs Hootenanny-Klub der Oktober-Klub, benannt nach der russischen Oktoberrevolution.
"Das haben wir schon als einen herben Eingriff empfunden, aber sozusagen realpolitisch überlegt: Kann man da was machen? Nein, kann man wohl nicht. Das müssen wir jetzt schlucken, die Kröte und jetzt machen wir das Beste draus. Aber natürlich kriegte die Singe-Bewegung insgesamt ein neues Format und wurde von der FDJ stärker an die Kandare genommen."
Die späten 60er-Jahre werden zum Scheideweg für die Hootenanny-Sänger: Einige – wie etwa Bettina Wegner – gehen in die innere Emigration, andere – wie Lutz Kirchenwitz und der Oktober-Klub – machen weiter in der Singe-Bewegung der FDJ, wie sie nun ganz offiziell heißt. Der Preis dafür: Eine zu große Nähe zu westlichen Künstlern ist von nun an tabu und zu Ereignissen wie dem Prager Frühling oder der Biermann-Ausbürgerung hat man den Mund zu halten. Er habe zum Teil auf "grässlichen" Veranstaltungen gesungen, sagt Kirchenwitz heute im Rückblick – und doch: Aufgelöst hat sich der Oktober-Klub erst im Jahr 1989.
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