Carlo Strenger: "Abenteuer Freiheit"

Flucht in die Fremdbestimmung

Von Eike Gebhardt · 27.02.2017
Die Lust auf sorgenfreie Fremdbestimmung sei längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, schreibt Carlo Strenger in seinem Buch "Abenteuer Freiheit". Dabei sei Freiheit eine Errungenschaft, für die Menschen lebenslang hart arbeiten müssen.
Die Furcht vor der Freiheit – sie ist die tiefste Motivation für unmenschliches Handeln. Dieses Leitmotiv lauert überall, gewissermaßen wie ein Sprengsatz in Strengers Text. Wir kennen es aus anderen Zusammenhängen, jenem "Befehlsnotstand" zum Beispiel, mit dem sich Eichmann und Konsorten vor der Eigenverantwortung drückten. Dass diese Diagnose nicht nur für Duckmäuser gilt, sondern auch – vielleicht vor allem - für aktive, ja lustvolle Sadisten wie die Mörderbanden des IS: Just diese Konsequenz ist neu und provokant an Strengers These. Angst lähmt nicht nur – im Gegenteil: Sie kann beflügeln, indem sie menschliche Bedenken unterdrückt und auslöscht.
Furcht ist aus dieser Sicht eine Wahrnehmungsstörung, also eine Verstümmelung der natürlichen Intelligenz und Verhaltenskompetenz: "Menschen, die Kulturschätze zerstören, leiden in erster Linie an einer katastrophalen intellektuellen Beschränktheit, die durch ihr tiefes Bedürfnis motiviert ist, ihr Sinnsystem als konkurrenzlos und absolut wahr zu betrachten." Es geht hier um ein kindisches Bedürfnis, zitiert er Freud: Das Bedürfnis nach autoritativer Fremdbestimmung, also gehorchen zu dürfen – um im Gegenzug eine Schutzgarantie von der Autorität zu erschleichen. Doch "niemand hat das Recht zu gehorchen", hatte Hannah Arendt einst - nur scheinbar paradox - betont und wollte sagen: Niemand hat das Recht, sich vor Verantwortung zu drücken.

Ein Krieg innerhalb der westlichen Welt

Doch diese Lust auf sorgenfreie Fremdbestimmung sei längst auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen, meint Strenger. Ein Beispiel: Selbstoptimierung. Sie ist ein Werkzeug, das dazu dient, die Sehnsucht nach Transzendenz, Bewusstseinserweiterung und Romantik raffiniert mit dem Leistungsethos zu verschränken. Und so, folgert Strenger, lasse sich selbst der Wunsch nach alternativen Lebensformen in die kapitalistische Verwertungslogik einbinden.
Krieg der Kulturen? Der Krieg tobt innerhalb der westlichen Kultur, glaubt Strenger: "Dem Rousseau'schen Mythos - "Die Menschen seien frei geboren und doch überall in Ketten" - steht eine Position gegenüber, die seit der klassischen griechischen Philosophie in verschiedenen Varianten vertreten wurde: Freiheit als eine Errungenschaft, für die Menschen lebenslang hart arbeiten müssten.

Vom Rückzug ins Private

Er findet, die Utopien der 60er/70er-Jahre sähen heute naiv aus, weil sie glaubten, Freiheit sei eben der natürliche Zustand, nur die Gesellschaft verhindere sie mit ihren Forderungen. Und folgert: So konnte man glauben, mit dem Rückzug ins Private, mit immer mehr Zeit für eigene Belange, auch freier zu werden. Doch das Gegenteil sei heute der Fall, findet Strenger: Die meisten Menschen vollstreckten in der Freizeit die sozial erwünschten Muster.
Dieser Verfall des öffentlichen Lebens, der Rückzug von der aktiven Mitgestaltung der Gesellschaft gehe Hand in Hand mit dem Gefühl des Sinnverlusts – der wiederum (und hier schließt sich der Kreis) in die fröhliche Fremdbestimmung mündet, die als Selbstbestimmung verkauft wird, aber nicht zufällig oft fast religiöse Züge zeigt. Freiheit sei eben ein riskantes Abenteuer, kein Konsumangebot.

Carlo Strenger: Abenteuer Freiheit
Suhrkamp 2017, 123 Seiten, 14 Euro

Mehr zum Thema