Carl von Siemens: "Der Tempel der magischen Tiere"

Die Suche nach dem Ursprünglichen

Cover des Buchs "Der Tempel der magischen Tiere" von Carl von Siemens vor einem Bild von Ureinwohnern im peruanischen Amazonasgebiet
Im Amazonasgebiet begibt sich Carl von Siemens auf eine innere Reise zu sich selbst. © AFP / Malik Verlag
Von Günther Wessel · 29.05.2018
Der Journalist Carl von Siemens schreibt in "Der Tempel der magischen Tiere" über sein Leben bei indigenen Völkern im pazifischen Raum: etwa im australischen Hinterland oder im Amazonasurwald. Er findet Beispiele für gutes Leben - und tiefe Selbstreflektion.
Das australischen Hinterland, Mangaia, eine der Cook-Inseln im Pazifik, und der Regenwald des Amazonas sind die Schauplätze dieses Buches: Keine Paradiese, sondern zerklüftete, karge Landschaften mit mitunter schroffen Menschen. So der australische Outback, eine von Sonne durchglühte (Halb)Wüste, voll mit giftigen oder anders bedrohlichen Tieren, der seit Jahrtausenden von Aborigines bewohnt ist.
Über einen langen Zeitraum erwirbt sich Carl von Siemens das Vertrauen einer Gruppe. Er versorgt, bekocht, bedient und putzt für sie, spielt mit ihren Kindern und verteilt freigebig Geld und Zigaretten. Idyllisch ist das Leben der Aborigines nie – weder im Alltag, der viel von Arbeitslosigkeit, schlechten Wohnverhältnissen und Sozialhilfe bestimmt ist, noch bei ihren Festen: Von Siemens beschreibt drastisch die Rituale großer Grillpartys, bei denen Emus und Kängurus in Gänze in Erdöfen geschmort und dann sehr barbarisch zerteilt werden. Der für manch einen wohl doch recht unappetitliche Höhepunkt: Als das Messer die Halsschlagader des gekochten Kängurus trifft, stürzen sich die Kinder darauf, um das heiß hervorströmende Blut zu trinken. Nichts für zarte Gemüter.

Bruch mit der Familie nach Drogenerfahrungen

Und dennoch – es gibt da auch anderes über sie zu erzählen: Die Songlines, die Erzählungen von alten Mythen und Wegen durch die Wüste, ihre Ideen und Vorstellungen von Übersinnlichem, die unbedingte und notwendige Bereitschaft zu teilen – es gibt in der Sprache der Aborigines kein Wort für "danke", weil man sich nicht bedanken muss –; und auch das Bewusstsein, dass sie die wahren Besitzer des Landes sind. Diejenigen, die es Jahrtausende lang schafften, mit ihrer überlieferten Weisheit in und mit der Natur zu überleben. Etwas, was weißen Siedler nie schafften – sie lebten immer gegen die Natur.
Von Siemens versucht die Menschen und sich selbst zu verstehen, sprachgewandt und klug in den Beobachtungen. Im Amazonasurwald gelingt es ihm mit Hilfe halluzinogener Drogen, welche die Einheimischen "die Medizin" nennen. Er begibt sich auf eine innere (Drogen)Reise, und beschreibt mit großer Ehrlichkeit, wie er es mithilfe der Droge schafft, seine Familiengeschichte zu reflektieren, in der sich von Generation zu Generation Erwartungen und Enttäuschungen auftürmten – und bricht später damit, auch ausgelöst durch seine Erfahrungen. Etwa ein Jahr später kehrt er an den Amazonas zurück, um über natur- und kulturgefährdende Staudammprojekte, an denen auch Siemens beteiligt ist, zu schreiben. Ein Happyend? Das nicht.
Dies ist das Buch eines Autors, der Menschen und ihre unterschiedlichen Kulturen schätzt; der deren fundamentale Bedrohung durch unsere westliche klar benennt und in ihnen Beispiele für das gute Leben findet. Sehr lesenswert.

Carl von Siemens: "Der Tempel der magischen Tiere. Drei Reisen"
Malik Verlag München 2018
288 Seiten, 20 Euro

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