Caritas will in Afghanistan bleiben

Moderation: Hanns Ostermann · 30.07.2007
Oliver Müller, Leiter des katholischen Hilfswerks Caritas International, lehnt einen Rückzug seiner Hilfsorganisation aus Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt ab. Die Caritas und andere Hilfsorganisationen hätten ein gemeinsames Informationsnetz über die Sicherheitslage gegründet und täten "alles Menschenmögliche", um gefährliche Situationen zu umgehen, sagte Müller.
Oliver Müller: Guten Morgen, Herr Ostermann.

Hanns Ostermann: Sie kümmern sich unter anderem um traumatisierte Mütter und Kinder, unterstützen Lepra- und Tuberkulosekliniken. Wie gefährdet sind Ihre Mitarbeiter, ist Ihre Sicherheit überhaupt noch kalkulierbar?

Müller: Absolute Sicherheit gibt es natürlich nie und vor allem nicht in Afghanistan. Wir tun aber schon alles Menschenmögliche, um die bestehende Sicherheit sehr, sehr hoch zu halten. Das heißt, wir haben mit anderen Hilfsorganisationen ein Informationsnetzwerk gegründet, das uns regelmäßig aktuelle Informationen gibt, wo man arbeiten kann, welche Straße sicher ist, zu welchen Tageszeiten sie sicher ist.

Und wir stimmen all unsere Aktivitäten mit der lokalen Bevölkerung ab. Es sind immer lokale Mitarbeiter mit unseren deutschen Mitarbeitern dabei. Wir vermeiden lange Überlandfahrten, wir halten uns von Militärs fern, wir nutzen unauffällige Fahrzeuge und wir haben unsere Mitarbeiter auch durch verschiedene Sicherheitstrainings auf verschiedene Situationen vorbereitet.

Ostermann: Sie haben gesagt, Sie halten sich von Militärs fern. Sie kritisieren immer wieder, dass die Grenzen zwischen militärischen Operationen und humanitärer Hilfe, dass diese Grenzen verwischen. Woran machen Sie das fest?

Müller: Man muss zum einen sagen, dass es wichtig und gut ist, dass Militärs dort die Sicherheit garantieren. Was uns besorgt, ist, dass die neuen militärischen Strategien zunehmend die humanitäre Hilfe als Teil ihres Auftrags entdeckt haben. Das heißt, in den Augen der lokalen Bevölkerung vermischt sich, wer Soldat ist, wer Militär ist, aber wer auch humanitärer Helfer wird.

Ein Teil der Bevölkerung kann nicht mehr unterscheiden und damit werden auch humanitäre Hilfsorganisationen, die auf Neutralität angewiesen sind, immer stärker in diesen Konflikt hineingezogen. Wir merken es ganz konkret daran, dass die Caritasfahne früher ein Schutz war, ja, die Fahne, die wir auf unseren Autos haben, weil klar war, das sind unabhängige Helfer, das gilt heute nicht mehr. Heute bleibt man als Hilfsorganisation besser unsichtbar, und die Grenzen zwischen zivilhumanitärer Hilfe und militärischen Operationen werden zunehmend vermischt. Das ist das, was wir kritisieren.

Ostermann: Sie haben die Sorge, zwischen die Fronten zu geraten.

Müller: Allerdings. Und wie die traurigen Beispiele anderer Hilfsorganisationen zeigen, ist das auch bereits passiert, weil es in Augen der einheimischen Bevölkerung als westliche Dominanz wahrgenommen wird und der Kampf gegen den Terror mit der humanitären Hilfe vermischt wird.

Ostermann: Herr Müller, aber brauchen die Entwicklungshelfer vor Ort nicht auch militärischen Schutz? Zeigen die Entführungen nicht vielleicht auch, dass noch viel zu wenig Militär in Afghanistan eingesetzt wird?

Müller: Dazu gibt es zwei Dinge zu sagen. Zum einen: Man braucht mehr Sicherheit in Afghanistan. Deshalb befürworten wir auch, dass das Mandat der Bundeswehr fortgesetzt wird. Ich hoffe, dass es fortgesetzt wird, weil sich genau klar zeigt, dort, wo es zunehmende Sicherheit gibt, dort blüht das Land auch auf, dort entstehen kleine Geschäfte, dort können die Menschen an ihrem Heimatort bleiben, dort müssen junge, qualifizierte Menschen nicht ihre Dörfer und Städte verlassen. So gesehen braucht es sicherlich eine starke Militärpräsenz und vor allem ausgebildete Polizisten, was vielleicht noch wichtiger ist, um diese Sicherheit herzustellen.

Das andere ist, man kann humanitäre Hilfe nicht mit dem Gewehr in der Hand durchführen. Deshalb lehnen wir es aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ab, dass unsere Mitarbeiter bewaffnet unterwegs sind. Wenn es soweit käme, müsste man klar sagen, man kann da nicht mehr arbeiten. Aber diese Probleme sehen wir jetzt noch nicht.

Ostermann: Wir haben jetzt den Nervenkrieg bei den Entführungen der Südkoreaner und des zweiten Deutschen, der noch am Leben sein soll – hoffentlich jedenfalls. Aber wann käme für Sie der Zeitpunkt, Ihre Mitarbeiter zurückzurufen?

Müller: Das ist ganz schwierig einzuschätzen. Wir befinden uns da natürlich einem Zwiespalt. Zum einen sind wir für die Sicherheit unserer Mitarbeiter verantwortlich. Zum anderen sehe ich auch eine große Verantwortung der Bevölkerung in Afghanistan gegenüber, die in ihrer Mehrheit uns freundlich gegenübersteht, die in der Mehrheit auch das große Engagement aus Deutschland sehr schätzt.

Wenn wir uns jetzt zurückziehen würden, würden wir den Taliban, den Warlords, den Drogenbaronen das Land überlassen, und genau das tun, was sie sich von uns wünschen. Deshalb sehe ich auch eine große Verantwortung der Bevölkerung gegenüber. Wann der Punkt kommt, lässt sich nicht genau sagen. Wir überprüfen die Situation täglich, und es kann schon morgen sich anders gestalten. Wir hoffen nicht, dass es zu Bedrohungen unserer Mitarbeiter kommt. Das wäre ein ernsthaftes Problem.

Ostermann: Dr. Oliver Müller war das, der Leiter des katholischen Hilfswerks Caritas International. Danke für das Gespräch.