Caritas-Präsident nennt Betreuungsgeld "sozial ungerecht"

Peter Neher im Gespräch mit Nana Brink · 25.09.2013
Um Familien besser zu fördern, müsse die neue Bundesregierung Elterngeld und Betreuungsgeld besser zusammenführen, sagt der Caritas-Präsident Peter Neher. Eltern sollten mindestens 300 Euro monatlich erhalten - damit wäre eine "tatsächliche Wahlfreiheit" ermöglicht.
Nana Brink: Vielleicht ist die Zeit ja noch nicht reif, aber wir wollen doch schon mal nachschauen, was die Union, die ja unzweifelhaft die nächste Regierung anführen wird, für Wahlversprechen gemacht hat, zum Beispiel zum Thema soziale Gerechtigkeit – 7,5 Milliarden Euro schwer ist das Paket, wobei oftmals die Preisschilder für die Gegenfinanzierung fehlen. Ein Paket, bei dem für jeden etwas dabei ist, vor allem für Familien und Rentner. Mehr Kindergeld, höherer Kinderfreibetrag, neue Mütterrenten – die nächste Zeit wird zeigen, was davon, also von diesen Versprechen wirklich umgesetzt wird. Prälat Peter Neher ist Präsident des Deutschen Caritasverbandes, schönen guten Morgen, Herr Neher!

Peter Neher: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Brink: Glauben Sie an die Wahlkampfversprechen, daran, dass Familien profitieren werden?

Neher: Na ja gut, das ist ja zunächst mal für mich keine Frage des Glaubens, auch wenn ich Theologe bin, sondern das ist eine Frage der politischen Ziele. Was geht davon in den Koalitionsvertrag ein, was soll Regierungsprogramm werden? Und daran entscheidet sich, ob dann eine künftige Regierung unter Beteiligung auch der Union, tatsächlich hier dann für betroffene Gruppen auch etwas zuwege bringt.

Brink: Was erwarten Sie von einer Bundesregierung, die immerhin das "C" in ihrem Namen hat, also "christdemokratisch"?

Neher: Ja gut, wenn ich gerade mal bei der Familie ansetzen darf: Ich denke, ganz entscheidend ist für mich, dass Familienpolitik eine Querschnittsaufgabe sein muss, das heißt, es sind eigentlich alle Politikbereiche davon betroffen, ob das Steuern, Rente, Wohnungs-, Arbeitsmarkt ist. Familie kann nicht isoliert betrachtet werden, und ich glaube, von einer Politik erwarte ich, dass sie diesen Querschnitt im Auge hat und dann die entsprechenden Maßnahmen durchführt, die die Familien gezielter fördern und eben nicht nur einzelne Gruppen dann rausgreift.

Brink: Wäre dann so was wie mehr Kindergeld oder ein höherer Freibetrag etwas in Ihrem Sinne?

Neher: Ich glaube, wir müssen ja zunächst einmal schauen, was dient denn den einzelnen Familien? Und ist das tatsächlich ein Instrument, um auch Familien, die in prekären Lebenssituationen leben oder so arme Familien in einer gleichen Weise fördert. Also, gerade auch der Kinderfreibetrag ist sicher ein wichtiges Instrument, aber wir haben hier besonders Familien, die am Rande sind, sind nicht in der gleichen Weise damit gefördert. Also da werden wir sicher drauf schauen, gibt es so etwas wie ein einkommensunabhängigen Leistungsausgleich, und zwar für alle Familien, unabhängig von ihrem Einkommen. Das ist für mich ein Gradmesser einer gerechten Familienpolitik.

Brink: Sie haben ja nach dem letzten Armutsbericht vom Frühjahr kritisiert, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander geht. Was muss dann eine christdemokratische Regierung dagegen tun? So etwas, wie Sie eben vorgeschlagen haben? Wie könnte das konkret aussehen?

Neher: Also konkret jetzt noch mal auf Familie bezogen, ist ein Vorschlag von uns, dass Elterngeld und das neue Betreuungsgeld eben zusammenzuführen, damit eine Leistung zu schaffen unabhängig vom Einkommen, und das auf der Höhe eines Sockelbetrags von 300 Euro für drei Jahre. Aber auch die Möglichkeit, beispielsweise das auf ein Jahr zu bündeln. Dann haben Sie 900 Euro, das entspräche dann etwa wieder dem Durchschnitt des bisherigen Elterngeldes. Also das wäre zum Beispiel eine gezielte Förderung, damit Eltern wirkliche Wahlfreiheit haben, denn …

Brink: Also eine Fortführung des Elterngeldes – kann man das so auf den Punkt bringen?

Neher: Eine Neugestaltung. Also das Elterngeld ist ja bisher einkommensabhängig und ist ja nur für maximal 14 Monate, wenn Sie die Vätermonate dazu nehmen. Und das neue Betreuungsgeld, das ist ja für drei Jahre, und drum die Idee, diese beiden Formen zusammenzuführen und tatsächlich für drei Jahre eine Leistung zu haben. Und das ist ein anderer Ansatz, der dann aber tatsächliche Wahlfreiheit ermöglicht, und zwar unabhängig vom Einkommen, weil ja jetzt Hartz-4-Empfänger beispielsweise von diesen Leistungen gar nichts haben.

Brink: Dann verstehe ich Sie aber richtig unterm Strich, dass Sie das Betreuungsgeld, so wie es es ja seit 1. August gibt, kritisieren. Also das müsste eigentlich eine Union dann abschaffen oder, wie Sie es sagen, anders gestalten.

Neher: Ja. Weil, in seiner jetzigen Form, das haben wir auch immer sehr deutlich gemacht, ist das Betreuungsgeld sozial ungerecht. Nehmen Sie zum Beispiel eine finanziell gut situierte Familie, die sich ein Au-pair-Mädchen leisten kann, die bekommt das Betreuungsgeld. Eine alleinerziehende Mutter, die darauf angewiesen ist, dass sie ihr Kind in eine Kindertagesstätte geben kann, also eine öffentlich geförderte Betreuung, die bekommt kein Geld. Also das ist einfach unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit nicht angemessen. Und drum ist unser Vorschlag, ich sag jetzt mal, einer Weiterentwicklung und die beiden Formen, die es im Moment gibt, Elterngeld und Betreuungsgeld, eben hier zusammenzuführen, damit dann Eltern tatsächlich eine Wahlfreiheit haben, aber einkommensunabhängig.

Brink: Eine Gesellschaft misst sich ja immer daran, wie sie mit ihren Kindern und auch ihren Älteren, also pflegebedürftigen Menschen umgeht, Stichwort Pflege – es ist ja unumstritten, dass wegen des demografischen Faktors da etwas passieren muss. Was muss in Ihren Augen passieren?

Neher: Ich denke, dass wir dringend jetzt wirklich die Reform der Pflegeversicherung und der Pflege brauchen. Am Ende der großen Koalition lagen eigentlich die entsprechenden Expertenberichte alle vor. Wir hatten dann, jetzt in den letzten vier Jahren an der Stelle erlebt, dass es nur punktuelle Korrekturen gab, aber die grundsätzliche Veränderung nicht eingeleitet wurde. Und dazu gehört einfach ganz zentral, dass eine Reform der Pflege neue Alterserkrankungen wir Demenz angemessen berücksichtigen muss. Das Stichwort ist Pflegebedürftigkeitsbegriff, und die Folge, dass wir andere Einteilungen der Pflegebedürftigkeit brauchen, die eben auch psychische Erkrankungen angemessen berücksichtigt.

Das ist, denke ich, eine ganz zentrale Frage. Und da, glaube ich, müssen wir wieder zu einer Gesamtsicht des pflegebedürftigen Menschen kommen und wie Pflege tatsächlich menschenwürdig gestaltet werden kann. Das, glaube ich, ist eine zentrale Herausforderung jetzt in den nächsten Jahren, und alle, die unmittelbar in der Pflege arbeiten, sind an der Stelle absolut ungeduldig, weil, noch mal: Die Konzepte liegen vor, die Dinge, die notwendig sind, um das umzusetzen, ist alles x-fach in Expertenrunden besprochen. Es braucht jetzt endlich die Umsetzung dieser Ideen, die ausgearbeitet eigentlich längst vorliegen.

Brink: All das, was Sie genannt haben, Pflege, Kinderbetreuung, all das kostet ja Geld. Sie haben schon gefordert, gezielte Steuererhöhungen auf hohe Einkommen und Vermögenserträge – das wird aber mit einer Union kaum gehen. Kann ich mir nicht vorstellen?

Neher: Und trotzdem glaube ich, ich rede nicht einem einfachen Steuererhöhungsvorstellungen das Wort. Aber ich glaube, dass es einem reichen Land und Menschen, die gute Einkommen haben, sehr wohl ansteht, tatsächlich zu gucken, moderate Erhöhungen der Einkommenssteuer – wir dürfen nicht vergessen, der Spitzensteuersatz, der war ja schon mal, glaube ich, bei über 50 Prozent, ja, die liegen weit darunter, ich fordere nicht die gleiche Höhe, aber eine moderate Erhöhung. Oder was absolut unakzeptabel, das ist die Frage der Erbschaftssteuer. Das sagen ja nicht nur wir, dass gerade auch im Bereich der Erbschaftssteuer ungenügende Regelungen da sind, und es werden gigantische Vermögen in den nächsten Jahren vererbt werden, und die Steuereinnahmen dazu sind marginal.

Oder noch ein Letztes, das ist die Abgeltungssteuer auf Zinserträge. Die Arbeit wird besteuert mit in der Regel also über 40 Prozent, ja, während sie die Zinserträge mit 25 Prozent besteuern. Das ist einfach auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Man darf sich nichts vormachen, dass mit solchen Steuererhöhungen nicht grundsätzliche Probleme des Staatshaushaltes und der sozialen Arbeit gelöst werden, aber es sind auch, glaube ich, schon Beiträge zum Aspekt sozialer Gerechtigkeit, dass tatsächlich auch Eigentum, Kapital, adäquat besteuert gehört wie die Arbeit der Einzelnen.

Brink: Prälat Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Neher!

Neher: Ich danke Ihnen für Ihr Interesse!

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