Can, 17 Jahre, 70 Straftaten

Von Christiane Giesen · 05.01.2009
Schlägereien, Sachbeschädigungen, Diebstahl - schon als 16-Jähriger wird Can zu einer Haftstrafe von fast zwei Jahren verurteilt. Er gilt als jugendlicher Intensivtäter und scheitert in jeder Schule. In der Reihe "Ich schlage, also bin ich" beschäftigt sich Deutschlandradio Kultur in dieser Woche mit Jugendkriminalität.
Jeder Muskel in Cans Körper ist beim Counterstrike-Spiel angespannt, hochkonzentriert verfolgen seine blauen Augen die Gegner auf dem Bildschirm. Dunkelgekleidete Gestalten laufen durch ein Labyrinth von engen Gängen. Sie fürchten um ihr Leben. Eine Pumpgun verfolgt sie.

Can: "Ich bin diesmal ausnahmsweise ein Polizist, weil die mehr Waffen zur Verfügung haben."

Can und seine Freunde sind begeistert. In der virtuellen Welt des Kampfes sind sie die Starken. Ein Glücksgefühl auf das Can nur noch schlecht verzichten kann:

"Wenn Sie drei Tage lang so ein Spiel spielen und danach zur Schule gehen müssen oder zur Arbeit, können Sie sich vorstellen, dass ihr Kopf dann kaputt ist? Sie konzentrieren sich dann nur auf dieses Spiel, auf nix sonst."

Die reale Welt hingegen sieht für Can anders aus: Schlägereien, Sachbeschädigungen, Diebstahl. Schon als 16-Jähriger wird er zu einer Haftstrafe von fast zwei Jahren verurteilt. Er gilt als jugendlicher Intensivtäter, und er scheitert in jeder Schule. Dabei ist er gar nicht dumm, erzählt einer seiner letzten Schulbetreuer, der Sozialarbeiter Michael Weiß-Jensen:

"Wenn man diese Gewalt und diese Zerstörungsenergie umwandeln würde in produktive, kreative, dann wäre er ein toller Typ. Denn er ist stilsicher, er hat ein gutes Auge, er ist intelligent, er ist wach, er ist auch sensibel, er hat nur keinen Begriff von Eigenversagen, er hat auch keine Möglichkeit, dagegen anzukämpfen, und er hat vor allen Dingen nur eine Moral, und da kommt nur er drin vor."

Can ist 15, als seine Eltern beschließen: Ihr Sohn braucht einen Computer, damit er seine schlechten Freunde auf der Straße nicht mehr so oft trifft. Von ihrer kleinen Rente als Hilfsarbeiter kaufen sie für ihren jüngsten Liebling den vermeintlichen Wunderkasten:

"Ich muss mit einer bestimmten Waffe jemanden töten, dann habe ich das Level bestanden. Ich muss eigentlich nur irgendeinen töten, wa?"

Den Killer spielen und chatten - im Zweifelsfall die halbe Nacht: Dafür ist Cans Computer da. Nur schreiben, zum Beispiel eine Bewerbung tippen: Das kann Can mit seinem Computer nicht. Dummerweise war den Eltern nicht bekannt, dass ihr Sohn für den Computer auch ein Textverarbeitungsprogramm braucht. Inzwischen ist er 18. Einen Hauptschulabschluss hat er immer noch nicht. Stattdessen sitzt Can wieder im Gefängnis. Sein Vater versteht die Welt nicht mehr:

"Als er klein war, was er sehr intelligent. Wenn er ein Spielzeug in die Hand nahm, hat er es auseinandergenommen und wieder zusammengebaut. Das Kind ist sehr intelligent. Wir haben uns gedacht, dieses Kind könnte Professor werden."

Das Gespräch zum Thema mit Christiane Giesen können Sie mindestens bis zum 5.5.09 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.

Vorschau der Reihe "Ich schlage, also bin ich" – Jugendkriminalität in Deutschland
Themenschwerpunkt im Deutschlandradio Kultur: 5. bis 10. Januar 2008, täglich in der Ortszeit um 8.40 Uhr und im Radiofeuilleton um 14.10 Uhr sowie am Samstag in der Zeit von 9 bis 11 Uhr.