Bundeswehrverband: Auslandseinsätze wurden zu lange "schöngefärbt"

Ulrich Kirsch im Gespräch mit Leonie March · 02.02.2009
Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant Ulrich Kirsch, fordert eine flächendeckende Betreuung von Soldaten, die aus dem Kriegseinsatz wieder nach Deutschland zurückkehren. Etwa 1700 Soldatinnen und Soldaten hätten ein traumatisches Erlebnis im Einsatz. Dieses unbequeme Thema sei bislang zu wenig in die Gesellschaft hineingetragen worden, kritisierte Kirsch.
Leonie March: Über 3500 Bundeswehrsoldaten sind momentan in Afghanistan stationiert. Sie unterstützen den zivilen Wiederaufbau, bilden Sicherheitskräfte aus, führen Aufklärungsflüge und gezielte Operationen als schnelle Eingreifkräfte durch, evakuieren Verwundete. Dabei sind sie täglich in Lebensgefahr, durch Raketenangriffe auf ihr Lager, durch Sprengfallen bei Patrouillen, durch Selbstmordattentäter. Erlebnisse, die Soldaten oft auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland noch nicht verarbeitet haben. Darüber spreche ich jetzt mit Oberstleutnant Ulrich Kirsch. Er ist der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes. Guten Morgen, Herr Kirsch!

Ulrich Kirsch: Einen schönen guten Morgen.

March: Die Bundeswehr ist jetzt seit über sieben Jahren in Afghanistan. Wie hat die Mehrheit der Soldaten den Einsatz bislang verkraftet?

Kirsch: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Soldatinnen und Soldaten, die kommen unversehrt nach Hause. Es gibt aber eben auch Soldatinnen und Soldaten, die Tod und Verwundung erlebt haben, die traumatisiert zurückkehren, die Albträume haben und ein schwieriges Leben führen müssen.

March: Können Sie sagen, wie viele Soldaten das ungefähr sind?

Kirsch: Da gehen die Zahlen hin und her. Wir sprechen in etwa von 1700 Soldaten, von denen man weiß, dass sie ein traumatisches Erlebnis hatten. Letztendlich kommt es aber darauf an, dass der einzelne sich outet, dass er sich öffnet, dass er erkennt, dass er eben kein Weichei ist, wenn er deutlich macht, dass er mit einem traumatischen Erlebnis nach Hause zurückgekehrt ist.

March: Ist das ein Problem? Fällt es den Soldaten schwer, sich zu öffnen?

Kirsch: Ja, das ist nicht ganz leicht. Man will ja stark sein wie wir alle und wenn man dann an sich selber erkennt, dass da irgendetwas nicht mehr stimmt, weil man etwas Ungewöhnliches erlebt hat, aber eigentlich gewöhnlich darauf reagiert, wie wir das alle tun, wenn man das an sich selber feststellt, dann ist man sich eben noch nicht gleich sicher, ob das auch etwas für andere ist. Man behält es für sich, und das ist genau falsch, aber das ist die menschliche Natur.

March: Welche Unterstützungsangebote gibt es denn für diese Soldaten in Afghanistan und auch in Deutschland?

Kirsch: Wir haben in Afghanistan die Truppenpsychologen, die Militärpfarrer. Da gibt es also viele Ansprechstellen. Wir haben auch so genannte Pears. Das sind Soldatinnen und Soldaten, die im gleichen Rang ausgebildet sind, solche Dinge schnell zu erkennen. Ich kann nur sagen, das liegt mir sehr am Herzen, dass ich es klasse finde, dass heute Abend ein Fernsehfilm ausgestrahlt wird, der sich erstmalig damit beschäftigt. Das ist längst überfällig. Dem Regisseur Christian Pfannenschmidt kann man nur sehr dankbar sein.

March: Warum freuen Sie sich darüber so? Was kann ein solcher Film bewirken?

Kirsch: Ich freue mich nicht über den Inhalt, sondern ich freue mich über die Tatsache, dass dieser Film in die Öffentlichkeit besser hineintransportiert, was wir in Afghanistan leisten. Wir sind Teil der Gesellschaft und die Gesellschaft muss erfahren, was unsere Frauen und Männer zu erdulden haben, was sie leisten. Deswegen ist dieser Film ein guter Ansatz.

March: Heißt das auch, dass die Bevölkerung bislang zu wenig weiß, was die Soldaten dort tatsächlich in Afghanistan durchleben?

Kirsch: Ja, absolut! Der Bundespräsident hat das mal mit dem freundlichen Desinteresse bezeichnet. Das liegt aber nicht an den Menschen in unserer Gesellschaft; das liegt daran, dass es der Politik nicht gelungen ist, die Situation unserer Soldatinnen und Soldaten so in die Gesellschaft hineinzutransportieren, dass deutlich wird, was eben dort geleistet wird.

March: Wie erklären Sie sich das? Warum scheut sich die Politik davor?

Kirsch: Die Politik richtet ihre Äußerungen immer danach, wie die nächste Wahl ausschauen soll, und es ist unbequem, darüber zu sprechen, und unbequeme Themen werden ungern in die Gesellschaft hineingetragen. Nur so ist das zu erklären. Es gibt Verteidigungspolitiker, die sich sehr intensiv mit dieser Thematik beschäftigen, wie auch wir als Berufsverband, und wir haben dieses Thema auch in die Politik hineingetragen, aber das darf nicht nur bei Verteidigungspolitikern Thema sein, sondern das muss bei allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages ankommen, denn das Parlament insgesamt schickt uns in diese Einsätze.

March: Was würden Sie denn konkret erwarten, dass zum Beispiel auch über einen Kampfeinsatz gesprochen wird und nicht nur über humanitäre Hilfe?

Kirsch: Wir machen nicht humanitäre Hilfe. Das könnte das Technische Hilfswerk machen, wenn es denn darauf ankäme. Wir als Soldaten sind in Afghanistan, um Dinge gegebenenfalls mit Waffengewalt durchzusetzen, um diese Stabilität zu erzeugen, die erforderlich ist, dass Nicht-Regierungsorganisationen ihre Arbeit machen können. Von daher muss es deutlich werden - und das ist zu lange schöngefärbt worden -, dass wir dort in einem Kampfeinsatz sind, dass Tod und Verwundung Teil der Einsätze geworden ist und dass wir in kriegerischen Handlungen sind.

March: Kommen wir noch mal zurück zu den Unterstützungsangeboten für Soldaten, die aus Afghanistan zurückkommen, traumatisiert oder mit einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Reichen diese Angebote aus, oder würden Sie sich mehr Unterstützung wünschen?

Kirsch: Wir haben als Berufsverband hierzu einen sehr detaillierten Forderungskatalog aufgestellt. Da gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Wir bräuchten zum Beispiel Traumazentren an unseren großen Bundeswehrkrankenhäusern, dass dort diejenigen, die sich geoutet haben, von denen wir wissen, dass sie traumatisiert zurückgekehrt sind, so behandelt werden - und jeder Psychologe sagt ihnen, dass es im Prinzip möglich ist, jemanden wieder aus diesem Trauma herauszuholen -, dass es dort halt eben die Möglichkeit gibt. Erste Ansätze dazu gibt es. Wir haben den Oberst-Arzt Dr. Bisoldt, der ja inzwischen auch Gott sei Dank bekannt geworden ist, der dort exzellente Arbeit im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Hamburg leistet, aber hier müsste noch mehr getan werden, noch flächendeckender rangegangen werden.

March: Müssen dabei auch die Familien einbezogen werden?

Kirsch: Unbedingt, denn die Familien sind diejenigen, die das auch als erstes merken, dass jemand traumatisiert aus dem Einsatz zurückgekehrt ist, weil Veränderungen in der Persönlichkeit stattgefunden haben, wie wir heute Abend auch in dem Fernsehfilm sehen werden, dass das Willkommen zu Hause halt für den Einzelnen bedeuten kann, dass er eigentlich sein zu Hause gar nicht mehr wahrnimmt, nicht mehr wiedererkennt, weil er gedanklich und mit den seelischen Belastungen nach wie vor im Einsatz ist.

March: Oberstleutnant Ulrich Kirsch, der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Kirsch: Gerne.


Das Gespräch mit Ulrich Kirsch können Sie bis zum 2. Juli 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio