Bundestagswahl

Wahlergebnis ist eine Chance für die Demokratie

Reichstag
Ein Regenbogen ist am 30.07.2015 in Berlin über dem Reichstag am Himmel zusehen. © picture alliance/dpa/Foto: Britta Pedersen
Von Stephan Detjen · 24.09.2017
Deutliche Verluste für die Union und die AfD zum ersten Mal im Bundestag: Mit den Rechtspopulisten werden nun Vereinfachungen und Ressentiments die Diskussionskultur auf den Prüfstand stellen, kommentiert Stephan Detjen den Wahlausgang.
Wahlen sind Offenbarungen. Am Wahlabend aber wird nicht einfach das Tuch über einem bis dahin kunstvoll verschleierten Wählerwillen gelüftet. Gerade dieses Wahlergebnis offenbart vielmehr das Bild eines reißenden Meinungs- und Stimmungsstromes, der in der hitzigen Dynamik des Wahlkampfes in Bewegung gebracht und um Punkt 18 Uhr schockgefroren wurde.
Der dramatische Fluss der Stimmungen hatte schon in der ersten Phase des Wahlkampfes Martin Schulz spektakulär nach unten gezogen. Am Ende wurde er zum Dammbruch für die AfD. Die These, Deutschland trotze auf eigentümliche Weise den populistischen Mahlströmen, ist in Frage gestellt. Im Bundestag wird die AfD zu einem politischen Klimawandel führen. Wütende Vereinfachungen, Ressentiments und destruktive Energien werden die politische Diskussionskultur insgesamt auf den Prüfstand stellen. Die Antwort der Demokratie darauf muss eine Ernüchterung sein: das beharrliche Festanhalten am sachlichen Diskurs, vor allem das Verdeutlichen und Begründen einer politischen Agenda, die nicht lediglich Reflex auf die rassistischen, nationalistischen und revisionistischen Provokationen der Populisten sind.

Gescheitert sind Horst Seehofer und die Scharfmacher

Die genauere Analyse des AfD Ergebnisses wird zu differenzierten Befunden führen. Im Osten, wo die AfD in mehreren Bundesländern nahezu gleichauf mit der CDU liegt, wird man über die Zerstörung ziviler Streitkultur und das Fehlen eines fundamentalen Wertekonsenses sprechen müssen. Bemerkenswert aber ist auch das Abschneiden der AfD in Bayern, wo die Partei mit knapp 13 Prozent über dem Schnitt anderer Westländer liegt und die CSU zugleich mit 39 Prozent ein für sie desaströses Ergebnis erreichte. Gescheitert sind damit namentlich Horst Seehofer und die Scharfmacher in der unionsinternen Auseinandersetzung um Angela Merkels Flüchtlingspolitik, die schon die Messer gewetzt hatten, um allein die Kanzlerin für ein schlechtes Abschneiden der Union verantwortlich zu machen. Sie werden sich nun mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, dass gerade der spalterische Kurs der CSU in Bayern dazu beitrug, das Ergebnis der Union insgesamt nach unten zu drücken.
Für Angela Merkel zählt vor allem, dass sie weiter regieren kann. Nicht nur die FDP auch die Grünen werden ausgesprochen selbstbewusst in die Koalitionsverhandlungen mit der Union gehen. Besonders das unerwartet gute Ergebnis der Grünen gehört zu den weiteren Überraschungen des Abends. Es ist ein Triumph für die realpolitischen Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckart und Cem Özdemir, die von den Medien bereits abgeschrieben und von innerparteilichen Zweiflern angenagt waren. Sie stehen für eine Hinwendung der Partei zur politischen Mitte, in der programmatische und persönlichen Schnittstellen mit Union und Liberalen klar erkennbar sind.
Im neuen Bundestag wird ihnen nicht nur die Polemik der AfD, sondern auch eine sachlich begründete und parlamentarisch erfahrene Opposition von SPD und Linken gegenüberstehen. Das eröffnet die Möglichkeit, Politik durch Polarisierung in der Sache zu vitalisieren. Am Ende dieses Wahlabends ist das die Chance für die Demokratie.
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