Bundesrichter

Nebenjobs trotz guter Bezahlung

Der Erste Zivilsenat beim Bundesgerichtshof (BGH). Fünf Richter sitzen in Roben nebeneinander.
Mindestens drei Viertel aller Bundesrichter gehen Nebentätigkeiten nach. © dpa/picture-alliance/Uli Deck
Eike Bohlken im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 12.04.2017
Die Mehrheit der Bundesrichter soll Nebentätigkeiten nachgehen. Viele Bürger finden das unmoralisch. Ethikprofessor Eike Bohlken hält nichts von pauschaler Elitenkritik, räumt jedoch ein: Es gebe zu wenig Kontrollmöglichkeiten der Einnahmen.
"Die da oben stopfen sich eh die Taschen voll" - diese Kritik ist fester Bestandteil des Elite-Bashings unserer Zeit. Jetzt gibt es Diskussionen um die Nebeneinkünfte von Richtern, genauer gesagt: die Nebeneinkünfte von durchaus gut bezahlten Bundesrichtern. Demnach gehen zwischen 78 und bis zu 100 Prozent von ihnen – das ergaben Recherchen der "Wirtschaftswoche" – verschiedenen Nebentätigkeiten nach. Verdienen Richter so schlecht? Oder sind sie so gierig?

Es geht bei den Jobs nicht immer ums Geld

Man müsse unterscheiden, um welche Tätigkeit es sich tatsächlich handelt, sagt Eike Bohlken, Professor für Ethik an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Denn viele dieser Richter gingen neben dem Hauptjob ehrenamtlichen Tätigkeiten nach oder würden sich wissenschaftlich betätigen, etwa in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuches. Daneben gebe es bezahlte Nebenjobs wie etwa für der Einsatz in Schiedsgerichtsverfahren oder als Rechtsgutachter.
Dass Richter in solchen Angelegenheiten die Genehmigung für ihre Nebentätigkeiten von anderen Richtern erhalten, hat einen leichten Anstrich von "eine Hand wäscht die andere". Eike Bohlken meint:
"Wobei die Frage natürlich ist, wer es sonst tun sollte. Wir haben ja nicht umsonst ein Prinzip der Gewaltenteilung. Und beim Bundesverfassungsgericht gibt es beispielsweise das Problem, dass die gar keinen Vorgesetzten mehr haben, auch nicht haben sollen."
So sei die Unabhängigkeit der Entscheidung gewährleistet. "Sie sind natürlich ihrem Gewissen und dem Grundgesetz verpflichtet. Und da haben wir eben das Problem oder – auf der einen Seite ist es ein Problem, wenn man den Richtern Freiheit lässt, um wirklich unbeeinflusst entscheiden zu können, ist das auf der anderen Seite natürlich auch ein Mangel an Kontrolle."

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Die da oben stopfen sich eh die Taschen voll. Diese Kritik ist fester Bestandteil des Elite-Bashing in unserer Zeit, und jetzt gibt es Diskussionen um die Nebeneinkünfte von Richtern, genauer gesagt die Nebeneinkünfte von durchaus gut bezahlten Bundesrichtern. Ein Beispiel, das zeigt, dass es offenbar auch für sie nicht immer leicht ist, zwischen falsch und richtig zu unterscheiden. Richter werden gut bezahlt, sind sie also auch von Gier getrieben? Braucht es eine neue Ethik? Das will ich Eike Bohlken fragen. Er ist in Köln Professor für Ethik an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, außerdem Gründungsmitglied der Hamburger Band Blumfeld, bei der er bis 1996 Bass gespielt hat. Schönen guten Morgen!
Eike Bohlken: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Ist der Anspruch des Stammtischs an eine Selbstlosigkeit der Eliten oder gar eine Gemeinwohlpflicht überzogen?
Bohlken: In gewisser Hinsicht ja. Ich denke, das hat mindestens zwei Aspekte. Der eine ist eben, dass es eventuell ein Elitenversagen in einzelnen Punkten geben kann. Das muss natürlich entsprechend diskutiert und aufgeklärt werden. Zum Teil sehe ich da aber auch, Sie hatten schon Eliten-Bashing genannt, in den USA ist das unter Anti-Establishment-Kritik in den Wahlen gelaufen. Der andere Aspekt ist eben, dass es, glaube ich, auch einen Ressentimentcharakter hat und Teil einer Neiddebatte ist. Und zu den Gemeinwohlpflichten: Ich denke, unser ganzes System ist in den letzten Jahrzehnten darauf aufgebaut worden, dass Gemeinwohl durch Eigeninteresse gefördert wird. Und wenn man das sich jahrzehntelang auf die Fahnen schreibt, dann muss man natürlich auch mit entsprechenden Orientierungen der Akteure rechen.

Unterschiedliche Tätigkeiten

von Billerbeck: Nun ist es so, dass es nach Recherchen der "Wirtschaftswoche" 2012 so gewesen ist, dass 73 Prozent der Richter am Bundesgerichtshof, der ja ein sehr gutes Renommee hat eigentlich, ihre Kasse mit Nebentätigkeiten aufgebessert haben. Am Bundesverwaltungsgericht waren es 85 Prozent, am Bundesfinanzhof 97 Prozent und am Bundesarbeits- und Bundessozialgericht 100 Prozent, also alle. Wie sehen Sie das? Gibt es für solche Berufe wie Bundesrichter da ein besonderes Anforderungsprofil?
Bohlken: Ich denke, das gilt für alle Beamte letztlich. Es geht ja um ein verantwortliches Erfüllen der amtlichen Pflichten, und die Frage ist, wird das durch solche Nebentätigkeiten beeinträchtigt. Da muss man, glaube ich, auch genauer unterscheiden, um was für Nebentätigkeiten es geht, denn zum einen gibt es unentgeltliche und ehrenamtliche, zum anderen gibt es entgeltliche. Alle sind ja anzeigepflichtig, das heißt, wir wissen da im Prinzip über alle Bereiche Bescheid.
Die sind aber zum Teil inhaltlich auch sehr unterschiedlich. Das geht von eher wissenschaftlichen Tätigkeiten wie Kommentaren von Urteilen oder Nachwuchsförderung bis hin zur Mitwirkung an Staatsexamen bis hin eben zu Schiedsgerichtsverfahren, wo eben mehr Geld drin ist, oder eben auch Urteilsvermarktung im weiteren Sinne, und Rechtsgutachten.
von Billerbeck: Sprechen wir über die, die bezahlt werden. Sie haben es gesagt, Richter sind verbeamtet, Nebentätigkeiten müssen genehmigt werden, interessanterweise von anderen Richtern. Das klingt ja verdammt danach, dass eine Hand die andere wäscht.
Bohlken: Ja. Wobei die Frage natürlich ist, wer es sonst tun sollte. Wir haben ja nicht umsonst ein Prinzip der Gewaltenteilung, und beim Bundesverfassungsgericht gibt es beispielsweise das Problem, dass die gar keinen Vorgesetzten mehr haben, auch nicht haben sollen.
von Billerbeck: Nur den Gott im Himmel.
Bohlken: Damit sie eben wirklich unabhängig entscheiden können. Sie sind natürlich ihrem Gewissen und dem Grundgesetz verpflichtet. Und da haben wir eben das Problem oder – auf der einen Seite ist es ein Problem, wenn man den Richtern Freiheit lässt, um wirklich unbeeinflusst entscheiden zu können, ist das auf der anderen Seite natürlich auch ein Mangel an Kontrolle.
von Billerbeck: Aber das klingt wie ein klassisches Dilemma. Da sagen Richter, ja, du darfst eine bezahlte Nebentätigkeit ausüben – das sind aber Kollegen, die möglicherweise von dem Kollegen, dem sie es genehmigen, dann beim nächsten Mal die Genehmigung erhoffen.

Ex-BVG-Präsident Papier spendete sein Honorar

Bohlken: Ja. Da gibt es, glaube ich, unterschiedliche Haltungen. Zum Beispiel der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgericht, Hans-Jürgen Papier, hat geäußert, dass er selbst keine Honorare für solche Tätigkeiten genommen hat, sie, wenn, gespendet hat. Das ist eine sehr tugendorientierte Haltung, die ich für vorbildlich halte. Auf der anderen Seite stellt sich aber auch die Frage: Das sind ja nicht sinnlose Tätigkeiten, sondern es sind zum Teil jedenfalls Tätigkeiten, die auch in die Rechtsprechung zurückwirken. Es ist vielleicht ähnlich, wenn ich als Wissenschaftler zum Beispiel jetzt ein Radiointerview gebe –
von Billerbeck: Für das Sie nicht bezahlt werden von uns.
Bohlken: Für das ich nicht bezahlt werde, ja, aber dann wirkt das auch auf meine Forschungstätigkeit, auf meine Lehrtätigkeit zurück. Und das ist in der Rechtsprechung zum Teil natürlich auch der Fall.
von Billerbeck: Wenn Richter aus dem Amt ausscheiden, auch solche Fälle gibt es ja, dann stellt sich ja die Frage, wenn sie noch nicht in dem Alter sind, wo sie nur aufs Altenteil gehen, was tun sie. Sollte es ihnen dann verboten sein, lukrative Jobs im Anschluss anzunehmen? Braucht es da eine Abkühlzeit bis dahin? Wie sehen Sie das?
Bohlken: Das ist natürlich schwer im Allgemeinen zu beantworten. Die Gefahr, die da ja gesehen wird, ist, dass das Vertrauen in die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit und die Unbefangenheit der Gerichte in Frage gestellt wird. Es gab ja kürzlich dieses Verfahren der ehemaligen Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt. Da ist aber eben die Frage, wie beurteilt man das?
von Billerbeck: Da muss man dazu sagen, sie hat bei einem Autokonzern gearbeitet, zwölf Monate, glaube ich, und hat dann eine Millionenabfindung kassiert.
Bohlken: Genau. Die Frage ist ja, ob schon aus der Tätigkeit selbst die Unparteilichkeit im Nachhinein gefährdet wurde. Wenn Richter, die in ihrem eigenen Arbeitsgebiet mit verschiedenen Parteien zu tun hatten, plötzlich auf einer Seite dann arbeiten und angestellt sind. Das kann man grundsätzlich als Problem sehen. Ich glaube aber, dass es sich letztlich immer im Einzelfall entscheidet. Und ich weiß auch nicht, ob eine Karenzzeit von ein bis zwei oder maximal drei Jahren da einen entscheidenden Unterschied machen würde. Und dass so exorbitante Abfindungen gezahlt werden, ich glaube, in dem Fall ging es um zwölf Millionen Euro, hat natürlich eher was mit den wirtschaftlichen Eliten zu tun als mit den juristischen.

Gibt es eine Berufsmoral?

von Billerbeck: Trotzdem gibt es diese Diskussion natürlich auch unter den Richtern selbst. Gibt es denn da eine klare Berufsmoral, wenn man das von außen betrachtet? Oder sollte es eine Berufsmoral, eine Ethik für Richter geben, diese Tätigkeiten betreffend?
Bohlken: Ich würde da generell unterscheiden zwischen Berufsmoral und Berufsethik. Berufsmoral ist eigentlich das, was jeder Berufsstand im Prinzip hat. Das kann an verschiedenen Gerichten unterschiedlich ausgeprägt sein, das ist einfach das Problembewusstsein hat, die eigene Herangehensweise, die man hat, denn ich würde da immer erwarten, dass es da moralische Vorstellungen gibt. Das andere ist die Frage einer Berufsethik, die noch mal eine Ebene höher angesiedelt ist und eben kritisch zurück fragt.
Das, was wir immer schon an Moral haben, was wir mitbringen, ist das ausreichend, oder muss das geschärft, muss das eingehegt werden in irgendeiner Form. Und da gibt es in letzter Zeit zwei Entwicklungen. Es gibt einen geplanten Ethikkodex des Bundesverfassungsgerichts, über den man aber noch nicht allzu viel weiß. Und es gibt ein sehr interessantes Thesenpapier zur Richterethik in Deutschland des Deutschen Richterbundes.
von Billerbeck: Das werden wir uns ansehen dann. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Professor Bohlken!
Bohlken: Gern, Frau von Billerbeck!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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