Bundesgerichtshof

"Man will doch einen guten optischen Eindruck hinterlassen"

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Spaß ohne Helm - auch auf Liegerädern, Dreirädern und Liegetandems © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Moderation: Joachim Scholl · 17.06.2014
Wann immer er mit dem Rad fahre, setze er den Helm auf, sagt der Philosoph Konrad Paul Liessmann. Doch man könne mündige Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen. Wir seien ohnehin umzingelt "von Maßnahmen, die alle unser Bestes wollen".
Joachim Scholl: Selten sind Philosophen so geschwind wie der Österreicher Konrad Paul Liessmann. Als passionierter Rennradfahrer fegt er über die Straßen Wiens, und von der Schönheit und Eleganz dieser Fortbewegung erzählt der Kulturtheoretiker auch in seinem Buch, "Das Universum der Dinge", das ebenfalls eine "Hommage an das Rennrad" enthält. Konrad Paul Liessmann ist jetzt am Telefon.
Guten Tag!
Konrad Paul Liessmann: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: 8.000 Kilometer fahren Sie im Jahr, wie wir gehört haben, Herr Liessmann, pfeilschnell ist Ihr Rad - Sie tragen doch hoffentlich einen Helm?
Liessmann: Das ist richtig, ja. Ich fahre ja mit dem Rennrad, das heißt, ich fahre weniger in der Stadt als sehr viel über Land, nicht immer nur pfeilschnell. Die Alpenpässe empor geht's sehr langsam, und da gibt es viele Kollegen, die dann den Helm auch abnehmen. Ich mache das nicht, auch wenn es heiß ist, und auch wenn man schwitzt. Dafür, den Berg hinunter zu fahren, erreicht man wirklich hohe Geschwindigkeiten. Und auch wenn das statistisch, physikalisch vielleicht nicht korrekt ist, aber es verstärkt mein subjektives Sicherheitsgefühl, wenn ich da einen Helm trage. Außerdem finde ich, beim Rennradfahren gehört es zum professionellen Outfit dazu, dass man einen Helm hat.
Scholl: Heute hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe ein Urteil zu Schadensersatzansprüchen gefällt, wenn kein Helm getragen wird. Diesem Richterspruch ist eine heftige Kontroverse zwischen Verfechtern und Kritikern der Helmpflicht vorausgegangen, die ja in Deutschland nicht besteht.
Verantwortung für sich und andere hier, individuelle Freiheit da, das waren so die zentralen Argumente, Parameter der Diskussion. Wie bewerten denn Sie als Radfahrer, Herr Liessmann, dieses Urteil? Ist es ein Sieg für die Freiheit, sozusagen den Kopf unbehelmt im Fahrtwind?
Selbstverantwortung des Menschen
Liessmann: Also, ich finde dieses Urteil an sich richtig, und zwar aus dem Grund, dass sozusagen der schwache Verkehrsteilnehmer hier doch einen gewissen Sicherheitszuspruch bekommen hat, das heißt also nicht selbst verantwortlich ist in einem Fall, wo er jetzt nicht mitschuldig war.
Das heißt, das Argument, dass sozusagen die Helmpflicht dann eher diese Haltung befördert hätte, man kann auf Sicherheitsmaßnahmen anderer Art verzichten, wenn sie eh einen Helm zu tragen haben. Dieses Argument ist dadurch entkräftet. Man weiß ja auch sozusagen, dass die Sicherheit im Straßenverkehr nicht unbedingt vom Helm abhängt, sondern von vielen, vielen anderen Faktoren.
So gesehen könnte man sagen, ist es eine richtige Entscheidung gewesen. Auf der anderen Seite ist es, denke ich, doch so, dass man so viel Selbstverantwortung den Menschen zumuten kann, dass sie gerade in solch einem Fall freiwillig sozusagen das Höchstmaß an Sicherheitsmaßnahmen treffen, die hier möglich sind.
Scholl: Aber ich meine, man könnte es ja auch umgedreht sehen, Herr Liessmann, weil Sie sagen, die Schwachen. Man könnte ja auch sagen, die Schwachen müssen aber auch noch sozusagen geschützt werden, und im Zweifelsfall auch vor sich selbst. Wenn ich als selbstbestimmtes Individuum die Freiheit nehme, das Risiko größter Verletzungen einzugehen, dann ist das zwar meine Sache, aber wenn ich dann noch rum heule, wenn die Versicherung nicht zahlt, das passt doch irgendwie nicht so richtig zusammen, oder?
Liessmann: Also, ich glaube, die Argumente waren ja, dass das Problem darin besteht, dass im Gegensatz etwa zur Gurtpflicht beim Autofahren, dass der tatsächliche Sicherheitsgewinn durch das Tragen des Helms so eindeutig nicht nachweisbar ist.
Das heißt also, die wirklich schweren Verletzungen entstehen in anderen Zusammenhängen und sind wahrscheinlich auch nur selten durch einen Helm wirklich korrigierbar oder positiv abwendbar. Das zweite Argument, da kann man lange drüber nachdenken, ist jetzt natürlich ein gesamtverkehrspolitisches und ökologisches.
Es gibt ja Untersuchungen, die zeigen, dass dort, wo die Helmpflicht eingeführt wurde, der Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr sehr rasch sehr radikal abgenommen hat. Das heißt, man würde vielleicht den gegenteiligen Effekt dazu erzeugen. Das betrübt mich einerseits ein bisschen, weil natürlich lässt es einen doch an der Vernunft der Radfahrer auch zweifeln. Wer sozusagen nicht mit dem Rad fährt, obwohl er gerne möchte, nur, weil er einen Helm tragen muss, denke ich, da läuft auch was nicht richtig.
Auf der anderen Seite ist es halt philosophisch gesehen für mich auch immer ein großes Problem, wie sehr soll man erwachsene, mündige Menschen zu ihrem Glück zwingen. Und wir sind ja ohnehin schon umzingelt sozusagen von Maßnahmen, die alle unser Bestes wollen. Verbote, Richtlinien, Vorgaben, die alles unser Bestes, unsere Gesundheit, unser Glück wollen. Irgendwo kann man doch auch das Gefühl bekommen, dass man ständig bevormundet wird oder einfach ein Leben lang in der Rolle eines Kindes gehalten wird. Ich finde diese Regelung, wie sie etwa in Österreich ist, dass es eine Helmpflicht für Kinder gibt, aber eine Helmempfehlung für Erwachsene, eigentlich auch nicht schlecht.
Scholl: Herr Liessmann, eines Ihrer zentralen philosophischen Themen ist eben die Freiheit des Individuums in unserer überverwalteten Welt. Aber ist es nicht auch doch so ein bisschen die fast nietzscheanische Vorstellung so vom gefährlichen Leben, die in unserer, so auf alle Risiken immer abgefederten Zivilisation für viele charmant ist - ich riskier's einfach, ich fahr ohne Helm durch diese wilde, automobile Großstadt. Und immer muss ich Angst haben, dass eine Autotür aufgeht.
Ohne Helm zum Rendevouz
Liessmann: Das mag auf Einzelne zutreffen. Meiner Beobachtung nach verwenden die meisten Radfahrer und Radfahrerinnen einen Helm. Es hat sich auch - es gibt ein paralleles sportliches Betätigungsfeld, wo wir ein ähnliches Problem haben, nämlich das Skilaufen. Als Österreicher bin ich auch sehr gern auf Pisten unterwegs, und da hat es sich ganz ohne administrative Vorgaben und gesetzliche Regelungen eingestellt oder durchgesetzt, dass über 90 Prozent der Skifahrer mittlerweile mit Helm fahren.
Das heißt, es gibt sozusagen schon so etwas wie eine Einsicht, es gibt eine Vernunft zum Selbstschutz, nicht unbedingt immer ein gesetzliches Gebot oder Verbot nötig hat. Oder ich denke, dass im Radverkehr das sicher auch zutreffen wird. Es kommt doch drauf an, welche Vorbilder man hier zeigt. Ich glaube, dass, seit es im Profiradsport die Helmpflicht gibt, ist sozusagen das Bild des gut ausgestatteten Radfahrers mit Helm mir ohnehin mittlerweile einprägsam geworden, dass diejenigen, die das sozusagen wirklich bewusst riskieren als Desperados mit dem Rad durch die Stadt fahren, dass das echt eine Minderheit ist.
Wenn andere Menschen auf den Helm verzichten, dann vielleicht eher aus Nachlässigkeit, weil sie es für unbequem halten, was sozusagen ein Irrtum ist. Also ich finde Helme auch im Sommer, vor allem im Sommer auch sehr angenehm. Und das dritte Argument, darüber könnte man jetzt diskutieren, dass sehr viele Menschen, vor allem Mädchen und Frauen, Helme einfach hässlich finden. Und das soll man nicht unterschätzen. Das soll man nicht unterschätzen. Man will natürlich gerade, wenn man sozusagen ein urbaner Typ ist und das Rad als urbanes Verkehrsmittel benutzt und damit zu einem Rendezvous fährt, man will doch einen guten optischen Eindruck hinterlassen. Und gerade - da passt dann sozusagen der Helm nicht dazu, genauso wenig, wie er zu denjenigen passt, die mit dem Rad ins Büro fahren, die einen Business-Anzug haben oder einen Tweed - und dann passt der Helm nicht richtig.
Das sind sozusagen ästhetische Argumente, das sollte man mal offensiv ein bisserl diskutieren, und vielleicht können sich die Helmhersteller und -designer da auch ein bisschen was einfallen lassen. Man könnte ja kreativ damit umgehen. Aber ich denke, dass das echt eine Minderheit ist.
Scholl: Es ist ja auch ein wesentliches Motiv in Ihrem Buch "Universum der Dinge", die Ästhetik der Dinge. Sie würden sich ja wahrscheinlich auch nicht auf irgendeinen alten Drahtesel setzen, den Sie von der Oma geerbt haben, sondern Sie feiern die Schönheit Ihres Rennrads. Habe ich Sie aber richtig verstanden, dass Sie sozusagen in der Stadt, würden Sie dann auch keinen Helm aufsetzen, nicht?
Liessmann: Oh ja. Also ich hab für mich jetzt persönlich das zum Prinzip gemacht, wann immer ich mit dem Rad fahre, egal jetzt, mit welchem Rad - ich bin ja auch so mal mit dem Mountain-Bike unterwegs oder mit dem Stadtrad unterwegs - wann immer ich mich aufs Rad setze, setze ich auch den Helm auf. Das ist jetzt meine sozusagen persönliche Entscheidung, und ich hab mir das zu einer Gewohnheit gemacht und es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, über die ich nicht nachdenke.
Auch Kanzlerin Merkel gegen Helmpflicht
Scholl: Kommen wir noch mal zurück auf diese Debatte, die in Deutschland ja schon seit Jahren geführt wird, pro und kontra Helm. In Deutschland gab und gibt es wesentliche politische Aussagen auch gegen die Helmpflicht, also bis hin zur Kanzlerin Merkel, die sich dagegen ausgesprochen hat. In Österreich gibt es auch keine, also bis auf die Helmpflicht für Kinder, die ja bei uns auch existiert, und die Skihelmpflicht, die nimmt doch jeder in Anspruch. Ist es überhaupt in Österreich ein Diskussionsthema, wo man sich doch drüber aufregt?
Liessmann: Also meiner Wahrnehmung nach nicht in diesem Ausmaß. Es wird zwar hin und wieder, wenn es zu spektakulären Unfällen kommt, wie immer dann Anlass gegeben, darüber diskutiert, aber dass es jetzt diese große Debatte wie in Deutschland gegeben hätte, habe ich hier noch nicht bemerkt. Es gibt auch jetzt keine Initiative, von wem auch immer, diese Helmpflicht unbedingt durchzusetzen und höchstrichterliche Beschlüsse dadurch zu provozieren.
In Österreich setzt man, denke ich, eher genau auf diese Mischung von Vernunft, von Vorbild und vielleicht auch sozusagen sanfter Belehrung, aber nicht unbedingt gleich eine gesetzliche Pflicht. Wir sind auch das Land, das am längsten gebraucht hat, um etwa die Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden und Restaurants durchzusetzen, und auch das noch nicht lückenlos. Es entspricht vielleicht eher der österreichischen Mentalität. In Deutschland möchte man vielleicht alles immer ganz klar gesetzlich geregelt haben. Wir kommen mitunter auch mit einem Augenzwinkern durch die Welt.
Scholl: In Deutschland jedenfalls geht es immer noch heiß her bei diesem Thema, und wir wollen auch hier in unserem Radiofeuilleton die Hörer zu Wort kommen lassen, und zwar gleich zweimal. Nachher in unserer Debatte nämlich, um zehn vor vier können Sie anrufen unter der Rufnummer 00800/22542254 und Ihre Meinung zum Thema Helm - ja oder nein, und was sagen Sie zu diesem Urteil, kundtun und dann nochmals am kommenden Samstag von neun Uhr früh bis elf Uhr, ganze zwei Stunden lang können Sie sich beteiligen an der Diskussion über die "Kampfzone Straßenverkehr", haben wir sie genannt. Wie können Radler, Autofahrer und Fußgänger fairer miteinander klar kommen. Und vielleicht hört uns Konrad Paul Liessmann in Wien zu.
Wir bedanken uns erst mal bei Ihnen, Herr Liessmann, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben.
Liessmann: Ich danke Ihnen. Schönen Tag noch!
Scholl: Gute Fahrt auf jeden Fall wünschen wir. Bitte nicht vom Rad fallen. Und wer sich für Konrad Paul Liessmanns Hommage an das Rennrad interessiert: Sie findet sich in dem Buch "Das Universum der Dinge", das im Zsolnay-Verlag erschienen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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