Bütikofer: Lobbyisten verhindern wirksamen Emissionshandel

Reinhard Bütikofer im Gespräch mit André Hatting · 21.02.2013
Die Energiekosten für die europäischen Bürger könnten sinken, glaubt Grünen-Politiker Reinhold Bütikofer, "wenn tatsächlich der Emissionshandel funktionieren würde". Momentan sei er aber unter anderem nicht wirksam, weil der Flugverkehr aus dem Handel mit Zertifikaten herausgenommen wurde.
André Hatting: Das wichtigste Mittel für den Klimaschutz in Europa heißt Emissionshandel, und der funktioniert so: Jede Tonne Kohlendioxid kostet Geld. Wenn eine Firma also viel CO2 in die Luft bläst, dann muss sie auch viele Zertifikate kaufen, die ihr das erlauben. Wenn sie klimafreundlicher wird, zum Beispiel, weil sei neue Filter in die Schornsteine einbaut oder Kohlekraftwerke abschaltet, dann lohnt sich das finanziell. Das Ganze funktioniert aber nur, wenn die Zertifikate teuer sind.

Das ist aber zurzeit nicht der Fall: Von ursprünglich 28 Euro im Jahr 2008 ist der Preis auf derzeit um die fünf Euro gefallen! In der EU war es also seit Einführung des Emissionshandels noch nie so billig, die Luft zu verschmutzen. Grund dafür ist, dass es viel zu viele Zertifikate gibt. Die EU-Kommission will deswegen einschreiten, eine künstliche Verknappung der Zertifikate soll diese wieder verteuern.

Am Telefon begrüße ich jetzt Reinhard Bütikofer, er ist Vizevorsitzender der Grünen im Europaparlament und Mitglied im Ausschuss für Industrie. Guten Morgen, Herr Bütikofer!

Reinhard Bütikofer: Ich grüße Sie, guten Morgen!

Hatting: Rettet eine Verknappung den Emissionshandel?

Bütikofer: Nein. Die Verknappung an sich, die jetzt im Umweltausschuss erfreulicherweise grünes Licht bekommen hat, ist nur ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. Denn der Umweltausschuss hat nur beschlossen, eine gewisse Menge Zertifikate erst mal derzeit nicht in den Handel zu bringen, sondern das aufzuschieben. Als Zweites müssten diese Zertifikate ganz aus dem Handel genommen werden, und selbst das würde nicht ausreichen.

"Mit gesichtswahrenden Manövern faktisch eingeknickt"
Hatting: Und wenn man diese ganz aus dem Handel nimmt, würde das dann reichen oder was müsste man noch machen?

Bütikofer: Nein, auch das reicht nicht, weil auf der anderen Seite die Menge durch ungünstige Entscheidungen – um es mal höflich auszudrücken – gerade wieder vergrößert worden ist. Die EU hatte sich …

Hatting: Was meinen Sie damit?

Bütikofer: Die EU hatte sich zum Beispiel vorgenommen, den Flugverkehr in den Emissionshandel einzubeziehen ab Beginn dieses Jahres. Dagegen hat sich eine mächtige Koalition aufgebaut, von Amerikanern, Russen, Indern und Chinesen angeführt, und die EU ist mit gewissen gesichtswahrenden Manövern faktisch eingeknickt. Das ist auch gefördert worden durch die europäische Luftfahrtindustrie. Also, immer wenn die EU-Kommission in Washington verhandelt hat, war Lufthansa vorher oder hinterher bei denselben Gesprächspartnern und hat das Gegenteil erzählt.

Und allein die Tatsache, dass wir jetzt den Flugverkehr nicht in den Emissionshandel einbeziehen, bedeutet, dass 500 Millionen Zertifikate zusätzlich zur Verfügung stehen. Das heißt, ungefähr die Hälfte von dem, was wir herausnehmen, kommt jetzt zusätzlich auf die Art und Weise wieder rein.

Hatting: Müsste man auch das Klimaziel anheben? Es ist ja so, dass bislang die Vorgabe, bis 2020 ein Fünftel weniger CO2 als 1990 auszustoßen, ja schon längst so gut wie erfüllt ist.

Bütikofer: Das predigt unsere Klimakommissarin Hedegaard, die eigentlich von Haus aus eine Konservative ist, seit etlichen Jahren unablässig. Wir Grüne unterstützen sie dabei. Aber dafür war bis jetzt unter den Mitgliedsländern keine Mehrheit zu finden. Und im Bundeskabinett ist es leider, wie es in den letzten Jahren bei dieser schwarz-gelben Regierung immer war: Wenn einer, ein Minister eventuell mal bereit wäre, einen halben Schritt nach vorne zu machen, dann ist sicher der FDP-Wirtschaftsminister knüppelhart dagegen, und so ist es auch in diesem Fall.

Hatting: Allerdings konnten Sie sich im Industrieausschuss des Europaparlamentes auch nicht durchsetzen. Der hat ja die Reform, die jetzt geplant ist, auch mit großer Mehrheit abgelehnt.

Bütikofer: Na ja, der hat das abgelehnt, das stimmt. Im Umweltausschuss ist es jetzt andersherum gelaufen, mit deutlicher Mehrheit, und die letzten zwei Abstimmungen im Plenum des Europäischen Parlaments, die wir bei der letzten Straßburg-Plenarsitzung hatten, liefen für die Anhebung des CO2-Emissionsziels auf 30 Prozent. Das heißt, da ist das zwar umkämpft, aber da haben wir durchaus eine Chance auf eine Mehrheit. Das Problem sind die Mitgliedsländer.

Hatting: Herr Bütikofer, apropos Mitgliedsländer, Sie haben die Rolle Deutschlands bereits angesprochen: Wenn es sich enthält, weil sich Rösler auf der einen und Altmaier auf der anderen Seiten nicht einigen könnten, dann würde das bedeuten, dass das System möglicherweise so bleibt, wie es ist, und das bedeutet, es bleibt im Augenblick wirkungslos. Sollte die Klimakanzlerin Angela Merkel den Streit mit einem Machwort entscheiden?

Enteist wird eine Boeing 737 der Fluggesellschaft Air Berlin am Montag (29.11.2010) auf dem Flughafen Leipzig/Halle bei Schkeuditz (Kreis Nordsachsen).
Die EU sei beim Einbeziehen des Flugverkehrs in den Handel eingeknickt, kritisiert Bütikofer.© picture alliance / dpa / Peter Endig
"Emissionshandel voranzustellen senkt die Kosten"
Bütikofer: Ach, die Frau Merkel hätte längst Gelegenheit gehabt, in dieser Sache mal ein klares Wort zu sagen. Ich kann das nicht mehr hören mit der Klimakanzlerin. Diesen Ehrentitel hat sie schon 20 Mal verwirkt. Es hat, seitdem sie 2007 mal vor irgendeinem Eisberg gestanden ist, keine einzige industriepolitische Entscheidung in Brüssel gegeben, bei der sie nicht auf der falschen Seite war.

Hatting: Lassen Sie mich noch mal auf das System Emissionshandel generell zu sprechen kommen: Reicht es, was Sie jetzt angesprochen haben, Zertifikate künstlich zu verteuern, aus dem Markt nehmen, Einbindung des Flugverkehrs, reicht das oder ist dieser Emissionshandel selber problematisch? Ich erinnere daran, dass ja schon jetzt viele Großkonzerne ihre Produktion nach Asien verlagern. Dort gibt es laxe Emissionsschutzrechte. Und dann lassen sie die Produkte wieder schön CO2-intensiv einfliegen!

Bütikofer: Na ja, Vorsicht! Die Verlagerung von Produktion, von Industrieproduktion aus Europa, noch viel stärker aus den USA, findet seit vielen Jahren ganz unabhängig von irgendeiner Art von Emissionshandel statt. Die Amis haben die nicht und haben mehr Industrie nach Asien verloren als wir. Und die Frage der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie ist nicht eine, die man an einem Kostenfaktor festmacht. Aber dann kommt noch der Clou der Sache: Tatsächlich würde die Energiekostenbelastung der europäischen Bürger in Deutschland zum Beispiel sinken, wenn tatsächlich der Emissionshandel funktionieren würde. Das heißt, es geht hier bei diesem Emissionshandel, wenn man das gesamtwirtschaftlich betrachtet, überhaupt nicht um einen Kostenfaktor. Es gibt keine billige Lösung, die viel CO2 ausstößt… Im Gegenteil, Emissionshandel voranzustellen senkt die Kosten!

Hatting: Reinhard Bütikofer, stellvertretender Vorsitzender der Grünen im Europaparlament und dort Mitglied im Industrieausschuss, ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Bütikofer!

Bütikofer: Ich danke Ihnen auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Angela Merkel habe den Titel als Klimakanzlerin schon 20 Mal verwirkt, sagt Bütikofer.© picture alliance / dpa /Felix Kindermann
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