Bürokratie im Handwerk

Der zertifizierte Dübel

Ein großes Auge überwacht einen Mann am Schreibtisch.
Immer öfter am Schreibtisch: Der Inhaber eines Handwerksbetriebs beklagt den hinderlichen Bürokratieaufwand. © imago / Ikon Images
Von Stephanie Kowalewski · 23.01.2018
Amtliche Formulare, Behördengänge, komplizierte Ausschreibungstexte: Für kleine und mittlere Unternehmen ist der Bürokratieaufwand im Verhältnis besonders groß. Stephanie Kowalewski hat mit dem Inhaber eines Düsseldorfer Sanitärbetriebs über dessen Erfahrungen gesprochen.
"Klemm, Firma Niepmann, guten Tag. Ja. Einen Wartungstermin, ja."
Das Smartphone hat Christian Klemm, Inhaber der Niepmann GmbH immer griffbereit – egal wo im Betrieb er sich gerade aufhält.
"Donnerstag 8:30 Uhr. Ja, sind wir bei Ihnen. Danke."
Sein 14-Mann-Betrieb für Sanitär-, Heiz- und Klimatechnik liegt in einem typischen Düsseldorfer Hinterhof - vorne Wohnhäuser, hinten Werkstatt und drei Büroräume hinter einer schweren Stahltüre. Drinnen blubbert die Kaffeemaschine.

Dutzende Seiten Ausschreibungstext in Juristendeutsch

Leider, sagt der 40-Jährige, nimmt die Büroarbeit immer mehr Zeit in Anspruch:
"Also es ist ein wenig lästig, dass meine Zeit dafür drauf geht. Der Bürokratieaufwand ist für uns Mittelständler sehr hinderlich, weil wir haben keine Abteilung, die sich damit beschäftigt"
Immer öfter sitzt er an seinem großen, schlichten Holzschreibtisch und klickt sich durch Dutzende Seiten Ausschreibungstext in schwer verständlichem Juristendeutsch:
"So, da haben wir ihn: 69 Seiten. Muss mal eben schauen: Der Vortext, der ist bei Seite 30 zu Ende, wo dann halt dann erst mit meiner wirklichen Arbeit begonnen werden kann."

Tipp: Mit dem "langen Weg zur Entbürokratisierung" beschäftigte sich auch Stephanie Kowalewski in einem Zeitfragen-Feature, das Sie hier lesen und hören können.

Öffentliche Behörden und große Unternehmen haben fast immer solche umfangreichen Texte, erzählt Christian Klemm, auch um sich im Schadensfall abzusichern.
Das hat dann manchmal schon skurrile Züge, meint er:
"Bei der Verlegung einer Leitung musste angekreuzt werden, ob denn auch alle Teile, die verwendet werden, aus Ländern kommen, wo keine Kinderarbeit stattfindet. Schlussendlich musste man dann für den Dübel nachweisen, dass der eine Zertifizierung hat. Dass der Sinn dahinter richtig ist, ist klar. Aber bis man dann den Dübel tatsächlich verwenden darf, das ist halt unheimlich aufwendig. Da antworte ich halt, dass ich keine Zeit habe, das auszufüllen und dann lege ich das weg."
Und er bekommt keinen Auftrag. Viel Zeit – und damit Geld – fressen auch die immer neuen Regeln und Vorschriften, die die Europäische Union erlässt und die tausenden DIN-Normen. Der Sanitär-Techniker greift in ein Regal und holt ein dickes Buch heraus:

Eine Schrankwand voller Vorschriften

"Hier hab ich zum Beispiel einen DIN EM Kommentar, hat 400 Seiten"
Dieses gebundene schwere Buch beschreibt ihnen jetzt was?
"Das ist die Planung und Ausführung von Abwasserleitungen in Gebäuden. Nur Abwasser!"
Wie viele von solchen Bücher bräuchten sie, um ihren Beruf zeitgemäß ausüben zu können?
"80 bis 100 Bücher. Das ist halt 'ne schöne Schrankwand."
Es sei auch ein Unding, ärgert er sich, dass ihn alleine der notwendige Papierkram, um einen Auszubildenden einzustellen, rund einen Tag kostet. Oder wie kompliziert es ist, einem begabten jungen Mann aus Afghanistan eine Ausbildungsstelle zu geben – trotz des oft beklagten Fachkräftemangels.
In der Werkstatt gegenüber steht Saber Auriakhil gerade im Blaumann an der Werkbank und baut zu Übungszwecken eine Pumpe auseinander. Sein Chef kontrolliert wohlwollend jeden Handgriff:
"Bist du sicher, dass das richtig rum ist?"
Saber Auriakhil antwortet:
"Das ist falsch. Jetzt ist es richtig."
Und Christian Klemm bestätigt:
"Ja genau."
Saber Auriakhil wischt sich die verschmierten Finger an einem Lappen ab. Mit 17 flüchtete er aus Afghanistan. Seit vier Jahren versucht er jetzt in Deutschland sein Leben zu meistern, hat einen Schulabschluss und zahlreiche Praktika gemacht, um endlich eine richtige Ausbildungsstelle zu finden:
"Das war natürlich nicht leicht mit diesen Formularen, mit diesem ganzen Papierkram hier in Deutschland. Das ist viel zu viel. Das war schwer. Und Herr Klemm, der hat mir auch geholfen, bei der Ausbildung, bei der Wohnung."

Im Dauerkontakt mit der Ausländerbehörde

Vier Monate lang war der quasi im Dauerkontakt mit der Ausländerbehörde, dem Jobcenter, der Jugendberufshilfe und, und, und. Das koste schon Nerven, sagt er:
"Weil viele Stellen für unterschiedliche Sachen zuständig sind, fehlt da ein Berater, der einem da hilft und der einen da durchlotst. Und das fehlt in vielen anderen Bereichen auch."
Die Politik hat das Problem erkannt und bemüht sich seit Jahrzehnten, die Bürokratie schlanker zu machen und Regeln abzubauen. Das passiert auch, sagen Experten aus Wissenschaft und Politik. Wenn auch zu wenig und erheblich zu langsam.
Bei den Unternehmern kommt davon gefühlt allerdings wenig bis nichts an, sagt Christian Klemm:
"Dass die das alles in ihr Regierungsprogramm schreiben, ist schön. Aber ich kann nirgendwo erkennen, dass sich da richtig was ändert."
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