Bücher über Turnerinnen

Drill und Härte

Die rumänische Turnlegende Nadia Comaneci neben einem Foto, das sie bei den Olympischen Spielen 1976 zeigt; Aufnahme von 2005
Die rumänische Turnlegende Nadia Comaneci neben einem Foto, das sie bei den Olympischen Spielen 1976 zeigt; Aufnahme von 2005 © AFP / SAEED KHAN
Von Jutta Heeß · 09.11.2014
Schmerzen, Verbiegen, Unterordnung: Zwei Bücher prangern sehr kunstvoll und kenntnisreich das erbarmungslose System des Turnens an. Das Frauenturnen sei auch eine Metapher für das Leben einer Frau, meinen die beiden Autorinnen Lola Lafon und Evi Simeoni.
Olympische Spiele 1976 in Montreal. Ein 14-jähriges Mädchen turnt die perfekte Kür am Stufenbarren. Die Rumänin Nadia Comaneci erhält die erste Zehnkommanull in der Olympischen Geschichte. Darauf war niemand vorbereitet, auch nicht die elektronische Anzeigetafel: "Einskommanullnull" zeigt sie an.
"Das Mädchen hat den Computer gekillt. Bis zum nächsten Tag ist Zeit, das System an das Kind anzupassen." Das schreibt die französische Schriftstellerin Lola Lafon in ihrem Buch über Nadia Comaneci. In "Die kleine Kommunistin, die niemals lächelte" rekonstruiert sie die Biografie Comanecis. Nahezu schwerelos absolvierte Comaneci ihre Übungen, als Botschafterin im Turnanzug des Diktators Ceausescu. Die Sportjournalistin Evi Simeoni erinnert sich:
"Diese Perfektion von damals, die hat ja auch sehr viel mit einer Form von Unerbittlichkeit zu tun, fast schon Grausamkeit spricht heute für mich daraus. Ich weiß natürlich heute auch, dass die Leichtigkeit und die Eleganz, die mich damals begeistert hat, nur durch Drill entstehen kann und durch sehr harte Arbeit und sehr große Härte gegen sich selbst."
Evi Simeoni hat auch einen Roman über eine Turnerin geschrieben. In "Rückwärtssalto" blickt Antonia Heinrich als 49-Jährige auf ihr Leben zurück: auf ihre Flucht in den Leistungssport auf der Suche nach Anerkennung, die sie in ihrer Familie nicht bekam. Auf die Grausamkeiten des Trainers, der sie quälte und missbrauchte und den sie später doch heiratete. Und auf die Strapazen und Demütigungen, die ihr Körper und ihre Seele einstecken mussten. Warum ist Simeonis erfundene Protagonistin ausgerechnet eine Turnerin?
"Fliegende Kinder, die Frauen darstellen sollen"
"Das Frauenturnen ist für mich eine große Metapher für das Leben einer Frau. Nehmen Sie nur einfach mal das Verbiegen, sich Anpassen oder auch das Ertragen von Schmerzen oder die Unterordnung unter den Willen eines Trainers, eines Mannes. Oder auch die Frage, was ist eigentlich eine Frau bereit zu tun, um schön zu sein oder einem Schönheitsideal zu entsprechen."
Den Zwang, als Turnpüppchen funktionieren zu müssen, das schildern sowohl Evi Simeoni als auch Lola Lafon auf eindringliche Weise. Lola Lafon füllt die Lücken im Leben Comanecis etwas zu großzügig mit ihrer eigenen Fantasie – zum Beispiel mit einem erfundenen Mail-Verkehr mit Comaneci. Doch beide Bücher prangern sehr kunstvoll und kenntnisreich das erbarmungslose System des Turnens und das vermittelte Frauenbild an.
"Der Turnsport kämpft darum, da raus zu kommen. Es gibt ja mittlerweile ein Mindestalter bei OS von 16 Jahren. Es wird schon darauf geachtet, dass die Kindlichkeit nicht die Oberhand behält, aber wenn Sie das sehen, 2008 in Peking die Mädchenmannschaft, das waren Kinder, und das werden sie immer wieder erleben. Ich weiß nicht, ob man das jemals wieder rückgängig machen kann, diese Entwicklung der fliegenden Kinder, die Frauen darstellen sollen."
Dass der Sport die besten Geschichten schreiben kann, haben die beiden Autorinnen bewiesen. Umgekehrt wäre es vortrefflich, wenn der Sport – in diesem Fall das Leistungsturnen der Frauen - sich von (den Erkenntnissen) der Literatur die Augen öffnen ließe.

Literaturhinweise:
Lola Lafon: Die kleine Kommunistin, die niemals lächelte, Piper
Evi Simeoni: Rückwärtssalto, Klett Cotta