Buch über Vampire

Polen und seine Blutsauger

Der Hauptdarsteller des Musicals "Tanz der Vampire", Felix Martin, posiert in Hamburg.
Nicht tot zu kriegen: die Faszination für Vampire © picture alliance / dpa
Von Arkadiusz Luba · 22.11.2014
Die Autorin Maria Janion hat sich mit dem Verhältnis der Polen zu Vampiren befasst und Erstaunliches entdeckt: Sie findet einen Patrioten, der seine Feinde aussaugt, außerdem könne man den Unterlauf der Weichsel als Zentrum des Vampirismus verorten.
Sławomir Buryła: "Frau Professor Janion ist selbst ein intellektueller Vampir! Sie versucht die anderen maximal auszusaugen, aber doch ist dabei aber niemals egoistisch. Denn wir sind auch eine Art Striegen, die von ihr inspiriert werden wird. Sie ist eine absolute Intellektuelle!"
Behauptet Sławomir Buryła, einer der ehemaligen Doktoranden Maria Janions, und heute Professor für die polnische Holocaust-Literatur. Wer hätte es gedacht, dass "die Geschicke der Polen und ihrer Untoten, insbesondere der Vampire, eng miteinander verbunden sind"?! Doch "gerade am Unterlauf der Weichsel bis in die jüngste Zeit habe sich ein exponiertes Zentrum des Vampirismus" befunden. Auf diese Worte Kazimierz Moszyskis, eines hervorragenden Kenners der slawischen Volkskultur, beruft sich Maria Janion in ihrem Eröffnungsessay "Die Polen und ihre Vampire".
Phantasmen sind Produkte der Phantasie und Träume. Ihre vampirische Variante – in der Verbindung mit "patriotischen Vorstellungen und Ideen – erzeugte ein einzigartiges polnisches Amalgam", schreibt Janion. Das Vampir-Phantasma versteht sie so:
Maria Janion: "Das ist unsere Beziehung zu den Toten und unser Verhältnis zum Tod. Die Geschichte der Vampire ist eine alternative Geschichte der Menschheit mit ihrer Auslegung des Todes und der Auferstehung. Die Vampire sind Wesen, die vorzeitig aufstehen. In der ganzen Mythologie, aber auch in der Volks- und Massenkultur und -literatur steht der Vampir für die Unsterblichkeit."
Romantische Polen sahen sich als "Christus aller Völker"
Fasziniert von der Literatur der polnischen Romantik erforscht Maria Janion deren ihre Beziehungen mit der zur Moderne und erklärt das Dunkle, das Verborgene und das Geistige. Denn die polnische Kultur ist voller Geister, die aus alten Gräbern hervortreten und Erlösung und Wiederanerkennung verlangen verlangt.
Infolge des erlittenen Leids sahen sich die romantischen Polen gerne als den einen erlösenden "Christus aller Völker", an den Rand Europas gedrängt. Darin erkennt die Forscherin die "messianischen Phantasmen" der Polen. Als Beispiel nennt sie den dritten Teil der "Dziady", der "Ahnenfeier", des nationalen Epos von Adam Mickiewicz. In ihm zeigt sich am stärksten der rachesüchtige polnische Patriotismus. Der Hauptprotagonist Konrad, ein romantischer Barde und zugleich Kämpfer für die Freiheit Polens, will das Blut seiner Feinde trinken.
In dem polnischen Filmdokument "Bunt Janion", auf Deutsch "Der Widerstand Janions", erklärt die Professorin:
Maria Janion: "Europa betrachtet Polen und das gesamte Slawentum als etwas Zweitrangiges, als etwas Zurückgebliebenes und Rückständiges. Es ist die Verachtung Europas für die slawische Kultur. Der messianische Stolz der Slawen soll die angeblich höhere Kultur des Westens besiegen."
Ähnlich äußert sie sich in dem Essay "Sich selber fremd": "Die Mythologie und Religion der heidnischen Slawen wurden von den katholischen Missionaren geringgeschätzt und rücksichtslos vernichtet". Janion analysiert den "Untergang der großen autonomen Slawenkultur". Sie beruft sich dabei auf die Ideenhistorikerin Monika Ruda-Grodzka, die behauptet: Das Slawentum wurde "als Reservoir unfreier Arbeitskraft genutzt, als ein Ort der Ausplünderung und Ausbeutung; sein vorgeblich passiver, unterlegener Charakter galt als Ausdruck seiner Sklavennatur und als Rechtfertigung seiner Eroberung und Unterwerfung".
Der Schlüssel zur Unsterblichkeit
123 Jahre lang war die Republik Polen eine Kolonie, geteilt durch Russland, Preußen und Österreich. Ähnlich wie die Missionare, unterdrückten die Besatzer die slawische Mythologie, doch ihre Geister und Gespenster retteten sich durch und in der Folklore. Von hier aus – schon nach der Befreiung Polens – gingen sie in die Hoch- und später in die Massenkultur über.
Als wache Kritikerin des postkolonialen Polens und Literaturhistorikerin inspiriert regt Maria Janion ethische Debatten in dem östlichen Nachbarland an. Einmal schrieb sie: "Nach Europa, klar, aber nur mit unseren Toten". Damit meinte sie die Juden, die das über tausendjährige kulturelle Bild ihres Landes Polens prägten:
Maria Janion: "Unsere Toten sind nicht nur die Juden, aber vor allem die Juden. Sie wurden aus der polnischen Märtyrergeschichte ausgeschlossen. Der Restitutionsprozess ist aber im Gange..."
Es ist faszinierend, wie die heute schon 88-jährige Wissenschaftlerin, umgeben von Bücherstapeln, aus ihrer "Höhle der Gelehrten" in dem Warschauer Wohnbezirk Ochota, immer noch die polnische Befindlichkeit beeinflusst.
Immerhin ist der Vampir nicht nur ein unsterblicher jugendlicher Verführer, der ständig nach frischem Blut sucht, sondern auch jemand, der den Schlüssel zur Unsterblichkeit besitzt und die Geheimnisse erklärt.
Darin gleicht ihm Professor Maria Janion, die "in der Erzählung die Grundlage der Geisteswissenschaften" sieht. "Es genügt nicht, etwas zu sehen, zu erleben, ja zu begreifen. Man muss es auch erzählen können", schreibt Janion. Und das kann sie verständlich und gut, auch in der Sprache der kulturellen Phantasmen.

Maria Janion: Die Polen und ihre Vampire - Studien zur Kritik der Phantasmen
Suhrkamp Verlag, 2014
475 Seiten, 48 Euro

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