Buch bleibt Buch

Gesehen von Michael Laages · 17.09.2009
Bei so vielen Roman-Bearbeitungen auf der Bühne derzeit ist es vielleicht auch mal ganz gut, wenn die Differenz so deutlich bleibt wie in diesem Fall - und also klar wird, dass Roman Roman und Novelle Novelle ist und oft auch bleibt, selbst wenn der Text mit noch so viel Mühe auf die Theaterbühne gehievt wird.
John von Düffel, Dramaturg schon am Hamburger Thalia Theater und jetzt mit dessen neuem Intendanten Ulrich Khuon auch am Deutschen Theater in Berlin, hat sich in jüngerer Zeit ja als behutsamer, stilsicherer Thomas-Mann-Bearbeiter bewährt; Joseph Conrads Afrika-Novelle "Herz der Finsternis” allerdings ist er nicht wirklich beigekommen. Zu durchgängig bleibt seine Version in der Gestik des Erzählens, nur wenig kommt sie zum und ins Spiel.

So liegt die ganze Last der Eroberung für das Theater auf den Schultern von Bühnenbildnerin Johanna Pfau und Regisseur Andreas Kriegenburg. Ihnen gelingen gemeinsam einige Sequenzen, die schier den Atem stocken lassen - etwa, wenn sich aus dem Bühnenhimmel herab haushohe Gliederpuppen wie Marionetten in den Raum herab senken; klapperdürr, hohläugig und -wangig, als Abbilder des blanken Elends, das der Kapitän Marlow in den Dörfern zu sehen bekommt an den Ufern des zentralafrikanischen Kongo-Flusses, den er hinauf schippert, um den an zuviel Urwald und Einsamkeit irre gewordenen Elfenbein-Dealer Kurtz aufzuspüren und aus dem Verkehr zu ziehen im Auftrag der belgischen Weltmarkthändler, in deren Diensten er steht.

Die Welt, das zeugen die Puppen, steht noch mitten im Massaker des ursprünglichen Kolonialismus; hat sich allerdings auch noch nicht so weit davon weg bewegt. Die Puppen steigern die Suggestion, die in Conrads Original-Text wie in der Bühnen-Erzählung durchaus lauert, auch die vor die Bühne der Kammerspiele und den weißen, wie eine blinde Landkarte bekritzelten Raum konstruierten Stahl-Gerüste helfen: die Spielerinnen und Spieler klettern an ihnen immer wieder wie in die Wanten eines Seglers.

Kriegenburg übersetzt die Urwald-, Fluss- und Schiffs-Atmosphären aber nicht nur in Bilder, sondern auch in sehr einfache Holzrohr-Klänge, wie auf einem australischen Didjeridoo erzeugt. Darin, und mit den Puppen, agieren sieben Darsteller, und alle sind irgendwann mal dieser Kapitän auf der Suche nach dem persönlichen "Zerreißpunkt”, wie es bei Conrad heißt.

Wieder, wie zuletzt beim Kafka-”Prozess” in München, setzt Kriegenburg auf das Kollektiv; und es ist durchaus animierend, diesem Ensemble, lauter Hamburger Mitbringseln um Natalie Selig und Markwart Müller-Elmau, bei der Conrad-Erkundung zuzuschauen und zu hören.

Starke Bilder gibt's auch im zweiten Teil, wo allerdings fast nur noch chorisch erzählt wird - Kanonen etwa sind in Form überdimensionaler Klorollen mit Kunst-Qualm drin präsent: wird hinten drauf geschlagen, kommt vorn so etwas wie ein Kanonenqualmwölkchen heraus. Doch da müht sich der Text schon stark und immer stärker mit der mangelnden Theatralität, die ihm letztlich bis zum Schluss anhaftet.

Schade. Die Novelle blieb Novelle, und als solche interessant; im Theater aber kam sie nicht an. Allemal aber bleibt der Mut zum Risiko hoch zu schätzen - das ist ein schwieriger Start, den Ulrich Khuon dem Deutschen Theater und seinem Publikum verordnet; andere machen es sich leicht am Neubeginn.

Herz der Finsternis
Nach dem Roman von Joseph Conrad
Übersetzung und Bearbeitung John von Düffel
Uraufführung am 17.9.09 am Deutschen Theater Berlin
Regie: Andreas Kriegenburg