Britische Kontroverse um Drill Musik

Vom Online-Video zum Gewaltverbrechen?

Ein schwarzer Mann hält seine geöffnete Hand vor sein Gesicht.
Führt Drill Musik zu mehr Gewaltverbrechen? Die Drill-Musiker selbst verneinen das. © Unsplash.com / Ahmed Rizkhaan
Von Marten Hahn und Natalie Klinger · 15.06.2018
In Großbritannien sorgt Drill Musik für Schlagzeilen: Die Musiker sind oft schwarz, sozial abgehängt, drohen ihren Feinden mit Gewalt. Kritiker behaupten, die Musik stehe im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Messerattacken in England und Wales.
"Five members of a gang from West London whose violent videos have been watched by millions on Youtube have been jailed for planning attacks on a rival gang", heißt es in den BBC Nachrichten. Fünf Gangmitglieder, deren Onlinevideos millionenfach gesehen wurden, sind festgenommen worden, da sie Angriffe auf eine rivialisierende Gang planten.

Polizei hat Videos löschen lassen

Die Musik der Westlondoner Gruppe 1011 ist noch im Internet zu finden, ihre Videos nicht mehr. Wie 30 andere UK-Drill-Videos hat die Polizei die Clips von Youtube löschen lassen. In einem offiziellen Statement heißt es:
"Die Polizei beobachtet seit September 2015 einen Anstieg der Zahl der Videos, die zu Gewalt anstacheln. Gangs versuchen sich gegenseitig mit ihren Inhalten zu überbieten. Was wie ein Musikvideo aussieht, enthält oft drohende Gesten wie Handbewegungen, die Pistolenschüsse andeuten. Wir lassen nur Videos entfernen, von denen wir glauben, dass sie das Gewaltrisiko erhöhen."

Die Gewalt sei nur Show

In der Szene stößt das Verbot auf wenig Verständnis. Die Gewalt sei nur Show. Die Band 1011 hat eine Petition gestartet und schon mehr als 6000 Unterschriften gegen das Verbot gesammelt. Es sei nicht die Musik, die tötet, sondern Menschen, heißt es auf der Webseite.
Auch Poppy aus Nordlondon macht Drill-Musik. Der 23-Jährige findet das Vorgehen der Behörden unangemessen: "Ich finde das einfach lächerlich. Wenn sie die Videos verbieten, können sie gleich Musik ganz generell verbieten, Filme, einfach alles. Unsere Art der Musik zu verbieten ergibt gar keinen Sinn."

Anstieg von Messergewalt in England und Wales

UK-Drill steht im Zentrum einer Debatte über einen beispiellosen Anstieg von Messergewalt in England und Wales. 2017 verzeichnete die Polizei rund 40.000 Messerattacken - der höchste Anstieg, seit Beginn der Statistik vor sieben Jahren. Und der Trend reißt nicht ab: In London wurden dieses Jahr allein schon 37 Menschen bei Messerstecherein ermordet. Viele der Opfer und Täter sind Teenager. Die Behörden und einige Medien machen Drill mit dafür verantwortlich. Und auch Jugendhelfer Chavez Shillingford beobachtet die Entwicklung mit Sorge:
"Musik ist Kunst. Aber bei Drill-Musik ist das etwas anders. Die wird genutzt, um gegen Konkurrenten auszuteilen: 'Du redest nur Müll. Ich werde dir das und das antun. Und wenn ich dich nicht drankriege, dann eben deine Familie.' Sie nutzen das eher als Waffe, statt als Kunstform."

Gefährlicher Nachahmungseffekt

Shillingford hat im Londoner Stadtteil Brixton Muskiprojekte für Kinder geleitet und wieder stoppen müssen. Die Jugendlichen hätten – ganz nach Drill-Manier - nur über Gewalt, Drogen und Geld gerappt, sagt der 26-Jährige.
Er hält den Nachahmungseffekt für gefährlich: "Vor allem Kinder lassen sich leicht beeindrucken. Die kopieren was sie sehen. Die sehen die Videos und denken, das ist der Lifestyle, den sie leben sollten. Also legen sie los, ohne zu merken: Oh, vielleicht lebt die Person dieses Gangsterleben gar nicht."

Beschreibung der eigenen Lebensrealität

Drill lässt sich kaum allein für die zunehmende Gewalt verantwortlich machen. Wer genauer hinschaut, sieht: Das Problem ist komplexer. Die Polizei in London und Wales hat seit 2010 20.000 Stellen gestrichen. Immer mehr Jugendzentren schließen. Schulen schließen auffällige Schüler immer häufiger vom Unterricht aus. 35 Prozent der Schwarzen in London sind Geringverdiener. Für viele gehört Rassismus zum Alltag. Drill-Künstler wie Poppy beschreiben mit ihrer Musik diese Lebensrealität, sagt er:
"Könnten wir über Rosen und schöne Häuser und positives Zeug reden, dann würden wir das tun. Aber davon sind wir ja nicht umgeben. Bei uns gibt’s nur Gewalt, verstehst du? Die Polizei schikaniert uns, all das. Darüber reden wir. Wir können doch nicht lügen und über einen Lifestyle rappen, den wir nicht leben."

Der Traum vom Erfolg

Manche Drill-Videos haben Millionen Klicks auf Youtube. Künstler wie Giggs füllen riesige Hallen und können inzwischen von ihrer Musik leben. Davon träumt auch Poppy:
"Ich mache Musik, weil es ein Weg nach draußen ist, abgesehen von den üblichen Wegen wie kriminell zu werden oder einen Job zu finden. Aber es ist schwer einen Job zu finden, wenn die Polizei dich ständig verdächtigt und belästigt. Das erleben wir hier seit ich denken kann. Nicht alle, sondern vor allem schwarze Jugendliche."

Die Musik gibt den Jugendlichen eine Stimme

In einer Welt, in der die Jugendlichen das Gefühl haben, dass niemand zuhört, gibt ihnen die Musik eine Stimme. Und so hat die Debatte laut Poppy zumindest einen positiven Effekt:
"Immerhin hören die Menschen jetzt zu. Allerdings hören sie nur den schlechten Teil. Sie müssen das große Ganze sehen."
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