Brecht-Festival

"Wie ein guter Schinken, der abgehangen noch besser schmeckt"

Das Gespräch führte Susanne Burkhardt · 31.01.2014
Der Schauspieler Burghart Klaußner, der heute das Brecht-Festival in Augsburg eröffnet, hat sich im Deutschlandradio Kultur zu einer durchaus ambivalenten Haltung gegenüber dem Lyriker und Dramatiker Bertold Brecht bekannt. Es gebe in den vergangenen 20 Jahren eine "Erschlaffung" bei der Brecht-Rezeption.
Matthias Hanselmann: Seit mittlerweile fünf Jahren feiert Augsburg seinen großen Sohn Bertolt Brecht, immer im Februar, mehr als eine Woche lang, und lädt dazu internationale Künstler, Wissenschaftler und Kulturschaffende ein. Heute geht's los – elf Tage lang dreht sich alles um Brecht und um die goldenen 20er, also die Jahre, in denen Brecht nach Berlin ging. Es war eine Zeit der Experimente, eine Zeit, in der die Künste ihre ästhetischen und gesellschaftlichen Grenzen gesprengt haben und auch eine Zeit, in der die Unterhaltungsindustrie boomte. Bis dann die Nazis all diesem ein brutales Ende setzten. Eröffnet wird das Augsburger Brecht-Festival mit dem Schauspieler Burghart Klaußner. Mit ihm hat meine Kollegin Susanne Burkhardt gesprochen, und sie fragte ihn, ob er sich an die erste Begegnung mit einem Werk von bertolt Brecht erinnern kann.
Burghart Klaußner: Ich nehme an, es war die "Dreigroschenoper" auf einer alten Schellackplatte im Haushalt meiner Eltern – das ist ja auch ein Werk, wenn Sie so wollen – und das war noch eine Schellackplatte mit der Aufnahme der Uraufführung, in der Harald Paulson den Meckie Messer gespielt und gesungen hat. Und das hat mich schwer beeindruckt. Natürlich, die Musik von Weill ist – logisch – unvergänglich.
Susanne Burkhardt: Die Frage "Ist Brecht aktuell?", die ist ja ziemlich abgedroschen, er wird ja auch gerne mal zu Heiner Müller gestellt. Deshalb frage ich mal anders. Welche Texte von Brecht sind für Sie heute besonders wichtige, unverzichtbare Texte?
Klaußner: Na ja, da renne ich offene Türen ein. Natürlich seine Gedichte, das ist keine Frage. Ich hab, wie viele Theaterleute, mich früher sehr intensiv mit Brecht beschäftigt und auch beschäftigen müpssen, und die Erschlaffung, die in den letzten 20 Jahren darüber eingetreten ist, hat ja nicht nur ihre Ursache in der Häufigkeit der Beschäftigung, sondern auch in der Tatsache, dass die Texte uns doch etwas belehrend vorkommen können. Das hat er übrigens, finde ich, mit Lessing gemein. Auch da fühle ich mich hin und wieder über das erbauliche Maß hinaus unterwiesen. Aber mich hat der Leiter dieses Festivals, Joachim Lang, so lange bearbeitet, bis mir klar wurde, man kann sich diesem Thema Brecht auch auf Umwegen noch mal nähern, und ein alter Text ist mir aufgetaucht, mit dem ich mich, so lange ich eigentlich am Theater bin, also seit jetzt nun wirklich seit über 40 Jahren, immer wieder herumgeschlagen hab, nämlich die „Bunge-Gespräche“. Das sind Gespräche gewesen, die ein Germanist namens Hans Bunge mit dem Komponisten Hans Eisler geführt hat. Diese Gespräche unter dem Titel "Fragen Sie mehr über Brecht" sind ungefähr '72 erschienen, sind von '58 bis '62, bis kurz vor Eislers Tod geführt worden und gehören, wie ich finde, zum Amüsantesten, zum Gebildetsten, zum Provokantesten, was man über Kunst so im Gespräch herausfinden kann. Der Eisler war ein enorm interessanter und gebildeter Erzähler.
Burkhardt: Sie werden dieses Buch in einer szenischen Lesung zum Eröffnungsabend präsentieren, gemeinsam mit Joachim Lang. Was haben Sie denn Neues bei der Lektüre dieses Buches entdeckt?
Wie ein guter Schinken
Klaußner: Ja, wissen Sie, man liest Bücher nach 20, 30, vielleicht sogar 40 Jahren doch wirklich anders. Es ist wie mit der Wurst, die nach einer Weile, oder dem guten Schinken, abgehangener noch besser schmeckt. Ich habe das Gefühl, dass mit dem Verlust der utopischen Fähigkeiten unserer Gesellschaft der andere Aspekt, nämlich nicht der der Utopie, den der Eisler da zum Teil beschwört, sondern der des Verlusts desto stärker auftaucht. Man sieht also so etwas sehr Berührendes, man sieht den Niedergang großer Ideen, zusammen mit dem Verschwinden großer Vertreter dieser Ideen. Es legt sich so etwas wie eine – fast möchte ich sagen, Melancholie über die Geschichte des Scheiterns von großen Aufbrüchen, die es ja mal waren. Und auf eine Weise auch vielleicht, weil der Eisler Österreicher ist, zwar geboren in Leipzig, aber aufgewachsen in Wien, auf eine Weise erscheint am Horizont sogar Thomas Bernhardt und sagt sein Sisyphos-Motiv auf. Und das macht diese hochfahrenden und argumentativ brillanten Motive zeitloser, durch das Scheitern in der Geschichte.
Burkhardt: "Fragen Sie mehr über Brecht", so heißt dieses Buch. Das legt nahe, dass Eisler Herrn Bunge bittet, ihn mehr zu Brecht zu fragen. Ist diese Vermutung richtig?
Klaußner: Ja. Das ist vollkommen richtig. Er sagt, fragen Sie nicht so viel über Schönberg – der ja sein Lehrer war, Eislers Lehrer. Fragen Sie mehr über Brecht. Eisler hat den Brecht außerordentlich bewundert, man merkt das in jeder Bemerkung. Er hat ihn wirklich für einen unerhörten Meister gehalten. Er hat sehr viel mit Brecht seit dem Ende der 20er-Jahre zusammengearbeitet, nicht nur in diesen Kampfliedern, die man heute ja auch zum Teil nicht mehr kennt, "Roter Wedding", "Einheitsfrontlied". Dann in der "Mutter", in der Vertonung dieses Stücks von Brecht nach Gorki, und dann waren sie zusammen in der Emigration. Sie waren eben von den späteren DDR-Oberen scheel beachteten West-Immigration, also in Los Angeles, in Hollywood, zusammen mit Thomas Mann und Feuchtwanger und vielen anderen, Döblin, und haben da eine sehr produktive Zeit gehabt, aus Langeweile, wie sich herausstellt. Was sollten sie da tun? Beschäftigung war in der Industrie nur mit Mühe zu kriegen. Und dann sind sie auch zusammen zurückgekehrt in eine DDR und haben da bis zu Brechts Tod also kontinuierlich zusammengearbeitet. Das war also insofern für den Eisler eine der wichtigsten Arbeitspartnerschaften, und auch für den Brecht.
Burkhardt: Sie haben am Anfang unseres Gespräches gesagt, Sie haben sich beschäftigen müssen mit Brecht hin und wieder in Ihrer Theaterlaufbahn und bevorzugen heute eher die Gedichte. Das geht, glaube ich, vielen so. Es gibt einen Dramatiker, Moritz Rinke, der sagt über Brecht, ich mag seine Theatergläubigkeit, seine schöne, blühende Naivität, dass das Theater ohne Zweifel hilft, bedeutend ist, und nicht nur für den Betrieb selbst, sondern sogar für Menschen, und diese auch noch verbessert. Dieser Glaube an die Erziehbarkeit des Menschen, den kann man ja heute in vielen Parabeln und Lehrstücken Brechts finden, und das ist ja vielleicht auch das, wo man sich immer so ein bisschen erzogen fühlt. Ist der aus heutiger Sicht tatsächlich völlig naiv?
Klaußner: Naiv? Der Brecht? Überhaupt nicht! Der war überhaupt …
Burkhardt: Also mit seinem Glauben an die Erziehbarkeit des Menschen.
Generalunsinn bei Brecht
Klaußner: Jein. Also, das ist schwer zu sagen, woher das kommt beim Brecht, dass er so einen, man kann ja fast sagen, mechanistischen Angang an das Theater hat, zu glauben, wenn man da vorne eine Mohrrübe reintut, dann kommt hinten ein fertiger Esel heraus. Also, das hat mit vielerlei zu tun. Er war zum Beispiel ein großer Bewunderer der Mathematik und hat, bevor er – auch das erfahren wir aus diesen Eisler-Gesprächen, bevor er ein Stück zu Ende mit Dialogen ausgestattet hat, sich immer erst über die Konstruktion genauestens hergemacht und gesagt, wenn die erst mal steht, das andere kommt von alleine, die ganzen Dialoge.
Also er hatte durchaus so einen mechanischen, er hatte einen physikalischen, naturwissenschaftlichen – was ihn dann vielleicht auch zur materialistischen Dialektik, zum Marxismus getragen hat, einen quasi naturwissenschaftlichen Ansatz. Und das ist was – ja, es hat was Holzschnittartiges. Ich war gerade gestern in Augsburg, konnte das holzschnittartige nicht gleich auf Anhieb finden, aber in Bayern gibt es natürlich schon eine lange Tradition des Kasperl-Theaters und der Hau-Ruck-Vorgänge, um mich mal so auszudrücken. Und da gab es was beim Brecht, was ihn so befördert hat in diese Richtung. Und natürlich, muss man ganz klar sagen, auch der damals so verstandene Marxismus hat ja dieses mechanistische Weltbild. Wenn alles nur so vor sich geht, wird es am Ende so und so sein. Dieser sogenannte wissenschaftliche Sozialismus, also Generalunsinn.
Burkhardt: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Burghart Klaußner, der Schauspieler und Musiker eröffnet heute das Brecht-Festival in Augsburg. Herr Klaußner, was können wir heute von Brecht lernen?
Klaußner: Also diese Frage, wie kann man an gesellschaftliche Probleme ein bisschen aufgeklärter herangehen, ein bisschen absichtsvoller, und sich nicht nur, wie es manchmal doch bei uns stark, auch im Dschungelcamp überhandzunehmen droht, einfach rein genusssüchtig sich irgendwelchem Schwachsinn auszuliefern oder gar sich völlig treiben zu lassen. Nein, es gibt eine Notwendigkeit zur Wachsamkeit. Und das ist etwas, was den Brecht schon auch umgetrieben hat. Was er überhaupt nicht erkannt hat und was uns heute bei Brecht auch schmerzlich fehlt und wo wir vielleicht am Theater inzwischen doch weitergekommen sind, ist die Frage des Zufalls, des naturwüchsigen, des – wie soll ich sagen – des Dschungels auf der Bühne und im Leben, also dessen, was man nicht planen kann.
Da hat der Brecht komischerweise, soweit ich das sehen kann, wenig Interesse dran gehabt zu fragen, was passiert eigentlich, wenn man zwei Leute sich begegnen lässt und eben nicht ihnen ein Ziel setzt, sondern sieht, was dabei rauskommt. Und ich finde das eine wunderbare Aufgabe für das Theater, den Moment in der Flüchtigkeit zu erwischen und nicht schon vorher zu wissen, was dabei rauskommt.
Burkhardt: Interessanterweise findet man diesen Moment ja vielleicht in seinen Gedichten.
Gewaltige Assoziationswelten
Klaußner: Unbedingt. Das ist das Wunderbare. Das kleine Haus am See, aus dem Schornstein steigt Rauch – ich kann es gar nicht genau genug zitieren, aber in so Momentbeschreibungen eines Gedichtes eröffnet er gewaltige Assoziationswelten. Da ist auch der große Dichter natürlich sehr stark im Vordergrund, und der Zweifler und der Opponent. Ein Mann, dessen Ziel wahrscheinlich im Leben auch war, möglichst viele Pässe zu besitzen, kann nicht ganz falsch sein. Der Brecht hat ja auch explizit für sein Werk bekundet, er wünsche sich, zu verschwinden hinter seinem Werk, er wünsche, unsichtbar zu werden. Das ist etwas, was mir sehr – komischerweise, was mir sehr einleuchtet, sehr nahe ist auch, zu sagen, lasst mich raus und guckt nur auf meine Arbeit. Und ich versuche, im schlimmsten Fall dann auch ganz schnell weg zu sein. Also es ist sozusagen der Deserteur in sanktionierter Gestalt.
Matthias Hanselmann: Susanne Burkhardt im Gespräch mit Burghart Klaußner, der heute das Brecht-Festival in Augsburg eröffnet. Die Reihe weiterer prominenter Teilnehmer ist lang, Nina Hagen zum Beispiel wird Brecht-Lieder singen, Iris Berben, Patti Smith und viele andere werden bertolt Brecht die Ehre erweisen. Das Festival geht bis zum 10. Februar, das ist dann Brechts 114. Geburtstag. Und ein Gespräch mit dem Festivalleiter, Joachim Lang, können Sie heute in unserer aktuellen Kultursendung "Fazit" hören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.