Brauchen wir mehr direkte Demokratie?

17.07.2010
Mehr Bürgerbegehren, Volksentscheide, direkte Abstimmungen auch auf Bundesebene! Die Forderungen nach mehr direkter Demokratie werden immer lauter. Sie ist allerdings höchst umstritten: Die Befürworter halten bundesweite Volksentscheide für ein Mittel gegen die Politikverdrossenheit, sinkende Wahlbeteiligung und die wachsende Kluft zwischen Politik und Bürgern. Die Gegner warnen vor einer Aushöhlung der repräsentativen Demokratie.
"Wir haben eine Demokratie und das bedeutet Herrschaft des Volkes", sagt Michael Efler, Vorstandsprecher des Vereins "Mehr Demokratie".

"In Realität sind wir aber meilenweit davon entfernt. Was wir haben, ist eine Herrschaft der Parteien und der Lobbyisten. Wir wollen eine Politik der Bürger für Bürger, eine Herrschaft des Volkes für das Volk. Es geht doch nicht an, dass wir nur alle vier Jahre in Erscheinung treten dürfen, um den Bundestag zu wählen."

"Mehr Demokratie" fordert seit Langem, die Bürger stärker an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Dies geschieht zwar bereits auf Kommunal- und Länderebene, bundesweite Volksbegehren oder Volksentscheide – wie zum Beispiel in der Schweiz - sind aber im Grundgesetz nicht vorgesehen. Eine Gesetzesänderung, für die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig wäre, scheiterte bisher am Widerstand der CDU/CSU.

Michael Efler: "Die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden wäre ein historischer Einschnitt, ein demokratischer Meilenstein, wie die Einführung des Frauenwahlrechts oder des allgemeinen Wahlrechts. Diese demokratische Errungenschaft würde mit Sicherheit europaweit zur Kenntnis genommen und könnte ausgeweitet werden."'"

Eine größere Einbindung der Bürger könne zudem die parlamentarische Demokratie stärken und ergänzen.

"Schafft bessere Abgeordnete, nicht ein anderes System", sagt dagegen der Bonner Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Langguth. Er gehört zu den entschiedenen Gegnern von Volksentscheiden auf Bundesebene:

""Erstens aufgrund der Geschichte unseres Parlamentarismus. Ich bin für die Stärkung der parlamentarischen Demokratie, dass Abgeordnete unabhängiger von ihren Parteien entscheiden können."

Zweitens: "Weil ich überzeugt bin, dass viele Fragen in unserer zunehmend komplexer werdenden Welt nicht mit 'ja' oder 'nein' beantwortet werden können. Sehen Sie nur die Euro-Frage. Politik besteht aus Kompromissen und der Fähigkeit zu Kompromissen."

Der Politikwissenschaftler warnt auch vor Demagogen, die Volksentscheide für ihre Zwecke nutzen könnten. Am Beispiel der USA könne man zudem sehen, wie die direkte Demokratie auch unterlaufen werden könne:

"In den USA gibt es eine eigene Industrie von Firmen, die solche Plebiszite organisieren. Es sind letztlich die finanzkräftigen Kräfte, die so etwas vorantreiben, denn solche Plebiszite wollen auch finanziert werden."

Dies könne man auch bei dem Hamburger Volksentscheid über die Schulreform beobachten – auch hier seien es die finanzkräftigen Bürger, die den Entscheid vorantreiben.

"Das wäre doch ein Treppenwitz der Geschichte, wenn die Grünen, die Frontmänner der Plebiszite, zurückrudern müssten."

"Brauchen wir mehr direkte Demokratie?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Michael Efler und Prof. Dr. Gerd Langguth. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 /2254 2254 oder per E-mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Der Verein "Mehr Demokratie"
Homepage von Gerd Langguth