Brandenburg

Wie Bio-Bauern den Preiskampf überleben

Anja Hradetzky vom Hof "Stolze Kuh".
Anja Hradetzky vom Hof "Stolze Kuh". © Deutschlandradio / Vanja Budde
Von Vanja Budde  · 25.10.2016
Junge Brandenburger Bauern kämpfen gegen Landgrabbing und Agrarspekulanten. In dem östlichen Bundesland mit seinen riesigen landwirtschaftlichen Betrieben versucht eine Genossenschaft, auch Kleinbauern eine Zukunft zu ermöglichen. Das Motto lautet: "Ackerland in Bürgerhand".
Noch fährt er, der Jahrzehnte alte Trecker, mit dem Janusz Hradetzky das Heu für seine Milchkühe auf die Winterweide bringt. Ihren Fuhrpark haben sie gebraucht gekauft, als sie 2014 den Milchhof "Stolze Kuh" gründeten, erzählt seine Frau Anja. Beide sind 29 Jahre alt und haben an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde Ökolandbau studiert. Weil Bodenspekulanten die Preise für Ackerland und Grünflächen in schwindelerregende Höhen treiben haben, haben es Jungbauern wie die Hradetzkys in Brandenburg sehr schwer.
Anja Hradetzky: "Wir waren im Bündnis junge Landwirtschaft oder sind da sehr aktiv, wo wir uns gegen Landgrabbing in Ostdeutschland eingesetzt haben. Deswegen wussten wir schon, wie der Bodenmarkt aussieht. Es gab aber zum Beispiel dann ein Angebot, aber innerhalb von einer Woche hätten wir so viel Geld überweisen müssen, vorweisen müssen zumindest, dass wir bei einer 400-Euro-Pacht 50 Jahre verschuldet wären, ohne Zinsen, und bei einer 200-Euro-Pacht, die wir gut erwirtschaften können mit unserer extensiven Landwirtschaft, 100 Jahre verschuldet gewesen wären. Und das ist schon eine krasse Nummer. Da können auch all die Genossenschaften, die junge Landwirte unterstützen wollen, nicht mitmachen, wenn es innerhalb von einer Woche 190.000 Euro sein sollen."
400 Euro Pacht pro Hektar im Jahr – das ist in der märkischen Streusandbüchse mittlerweile normal. Und wer Flächen kaufen will, sollte ein paar Millionen mitbringen: Die Preise sind in den vergangenen Jahren explodiert, mittlerweile zahlt man 12.000, 15.000 oder gar 18.000 Euro pro Hektar. Und die meisten Höfe sind groß in Brandenburg, das müssen sie auch sein, weil die Böden oft sandig sind und nicht viel Ertrag bringen.
Der Hof "Stolze Koh" ist bio- und Demeter-zertifiziert, die Hradetzkys beliefern eine Biomolkerei und verkaufen ab Hof Rohmilch und Fleisch von ihren Kühen. Die finden in der offenen Scheune im Winter eine eingestreute Liegefläche, bleiben aber meistens lieber draußen, wie Anja Hradetzky erzählt. Sie füttert die ausgedienten Legehennen, denen sie ein neues Zuhause mit Auslauf und Staubbädern gibt.
Bescheidene 100 Hektar Grünland und Acker haben die Jungbauern gepachtet – vom Nationalpark "Unteres Odertal" und vom NABU, dem Naturschutzbund Deutschland. Die Pacht ist hier bezahlbar, weil mit strengen Auflagen behaftet.
Anja Hradetzky: "Ja, fahren wir mal auf die Weide."
Vier Kilometer sind es vom 200-Einwohner-Dorf Stolzenhagen bis zur Sommerweide im Nationalpark, auf denen die 28 Milchkühe grasen, dazu zwei Zuchtbullen, die in der Herde mitlaufen und 30 Kälber. Jenseits der Oder beginnt Polen. Die Kühe stehen im kniehohen Gras, alle haben noch ihre Hörner, ihre Kälber dürfen an den Müttern oder an Ammenkühen trinken.

Viel zu niedrige Milchpreise

Diese naturnahe Milchviehhaltung sei weniger rentabel, aber dem Wesen der Tiere gemäß, meint Anja Hradetzky und krault der zutraulichen "Emmily" den Rücken: Eine ihrer Lieblingskühe, ein Tiroler Grauvieh. Deren Kolleginnen gehören anderen bedrohten Rassen an, wie dem Angler Rotvieh, dem Allgäuer Braunvieh und dem Deutschen Schwarzbunten Niederungsrind.
Anja Hradetzky: "Das ist schon schön, eigene Tiere zu haben."
Die Kühe werden an einem fahrbaren Stand auf der Weide gemolken, über die jetzt im Herbst Kraniche und Schwäne fliegen. Ein Anblick, der für die harte Arbeit im Morgengrauen entschädigt. Weil sie keinen Kredit bekamen, haben die findigen Jungbauern den Kauf der Kühe über Genussrechte finanziert: Mit einem Mindesteinsatz von 500 Euro konnte man Anteile an einer Kuh kaufen und bekommt dafür Milch und Fleisch.
Um an den viel zu niedrigen Milchpreisen nicht einzugehen, wollen die Hradetzkys vom kommenden Frühjahr an auch eigenen Käse herstellen und direkt vermarkten. Für den Bau der Käserei setzen sie auf Crowdfunding, fast 25.000 Euro sind schon zusammen gekommen – ein Anfang.
Anja Hradetzky: "Unsere Nachbarn haben alle 2.000 Hektar und haben natürlich auch dann ganz andere Subventionssummen auf dem Konto jedes Jahr, dann ist so was natürlich auch viel leichter stemmbar. Und so kriegen die Großen immer mehr, die Kleinen gehen halt leer aus. Und wenn die Pacht dann noch steigt, weil Biogasmais sich doppelt lohnt, dann ist es ein total logischer Weg. Aber ich frage mich: Wie soll unsere Landschaft aussehen? Und jeder Verbraucher, jeder Konsument findet es schön spazieren zu gehen, wenn es kleine Wege zwischen den Feldern gibt, wenn man einfach immer mal wieder einen Baum sieht, einen Feldrain, Feldhasen, Rebhühner, was es hier im Nationalpark alles gibt, was aber sonst einfach nicht mehr vorhanden ist."

Nicht den Spekulanten überlassen

Weil Riesenbetriebe wie die KTG Agrar mit wenig Personal aber riesigen Maschinen im industriellen Stil säen und ernten. KTG Agrar, mit mehr als 46.000 Hektar bewirtschafteter Fläche der größte deutsche Agrarkonzern, hat sich allerdings übernommen: Das verschachtelte Unternehmen ist mit 600 Millionen Euro Schulden insolvent gegangen und wird gerade aufgelöst.
Sogleich forderten das "Bündnis Junge Landwirtschaft" und auch die Grünen, die frei werdenden Flächen des Giganten nicht wieder dem meistbietenden Spekulanten zu überlassen, sondern diesmal alternativen Formen von Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen. Allein in Brandenburg hat die KTG 18.000 Hektar beackert. Große Flächen hatte der Konzern von der BVVG bekommen: der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH des Bundes, dem ehemaligen Agrar-Ableger der Treuhand.
Uwe Greff: "Also ne KTG wäre nie so groß geworden allein durch die Flächenkäufe, wenn es nicht auf der anderen Seite Menschen gegeben hätte, die ihnen auch, nur unter Preisgesichtspunkten, Land verpachtet hätten."
Denn die großen Konzerne zahlten Pachtpreise, bei denen kein bäuerlicher Familienbetrieb mithalten kann, erklärt Uwe Greff. Der gelernte Bankkaufmann war lange Mitarbeiter der alternativen GLS Gemeinschaftsbank. Heute ist er Chef der BioBoden Genossenschaft. Uwe Greff sitzt zusammen mit dem Landwirt und einem uralten Hofhund im Garten des Demeter-Hofes Gut Peetzig unweit von Angermünde in der Uckermark. Ulf Dobroschke hat das heruntergekommene Gut 1994 als Wiedereinrichter übernommen. Pro Hektar zahlte er der Bodenverwertungsgesellschaft damals 90 D-Mark Pacht, heute müsste er das Zehnfache auf den Tisch legen.
Ulf Dobroschke: "Als die Biogasanlagen aufkamen, da hat die BVVG gemerkt, sie kann die Flächen wesentlich hochpreisiger verkaufen als an die Landwirte, weil ich, wenn ich Nahrungsmittel erzeuge bzw. Landwirtschaft mache oder Energie auf dem gleichen Hektar erwirtschafte, habe ich ein Verhältnis von 1:2,5. Da ist natürlich auch eine höhere Pacht zu bezahlen gar kein Problem. Dann hat sich die BVVG dahingehend verhalten, dass sie gesagt hat: Wir versuchen, die verpachteten Flächen wieder zurückzukriegen, um sie dann an die Biogasbetreiber hochpreisig zu verkaufen und eben dieses war für alle hier in der Region ansässigen Biobetriebe das gleiche Problem."
2001 fing das an, 2004 erreichte der Preiskampf seinen Höhepunkt. Die Erträge der Bauern reichten nicht aus, um mit zu halten und selber das Land zu kaufen. Und so kam Uwe Greff von der GLS Gemeinschaftsbank ins Spiel:
"Dann haben wir auf Initiative der Landwirte diese Gesellschaft gegründet, die diese Flächen dann gekauft hat. Wir haben gesagt: 'Wenn wir jetzt den Landwirten helfen, diesen 13, ihre Betriebe zu sichern, dann muss das dauerhaft sein, dann müssen wir Menschen finden, die sich dafür begeistern lassen, sich für die ökologische Landwirtschaft einzusetzen'. Wir haben zehn Millionen Euro von Menschen gekriegt, die gesagt haben: 'Das finden wir toll, das finden wir wichtig, dass so was gesichert wird, hier den größten Bioackergürtel in Europa zusammenhängend, nördlich von Berlin'. Und die Menschen haben es gemacht."

Nach dem Motto "Ackerland in Bürgerhand"

Obwohl keine Dividende versprochen wird und die Anteile erst nach fünf Jahren wieder kündbar sind. Dafür gibt es das gute Gefühl, sich gegen die Bodenspekulation zu stemmen und Biobauern zu unterstützen. Mittlerweile hat die Genossenschaft weitere zwei Millionen Euro eingesammelt. Die Landwirte gewinnen 30 Jahre Pachtsicherheit, aber unter einer Bedingung: Die Bauern müssen sich der Bio-Landwirtschaft verschreiben.
Wie Ulf Dobroschke auf Gut Peetzig. Er baut auf 200 Hektar Futter für seine Galloway-Rinder an, die er gerade tränkt. Auf weiteren 300 Hektar produziert er Roggen und Dinkel für die Großbäckerei "Märkisches Landbrot" in Berlin, Hanf, Buchweizen und Kresse. Er hat die großen Flächen in Schläge von maximal 20 Hektar unterteilt und mehrere Kilometer Windschutzhecken angelegt.
Bislang hat die BioBoden-Genossenschaft unter dem Motto "Ackerland in Bürgerhand" so ein gutes Dutzend Landwirte unterstützt, vor allem in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Dort wird aktuell für stattliche 900 Hektar ein Bauer gesucht. Uwe Greff glaubt, dass das Projekt aber auch in anderen Bundesländern eine Zukunft hat. Denn auch im Westen steigen die Betriebsgrößen.
Uwe Greff: "Sie haben heute in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen die gleichen Größenordnungen, dass Sie da 200, 300, 400 Hektar große Betriebe haben, für die Nachfolger gesucht werden."
Und zwar ganz dringend, denn ein Generationswechsel steht an: 35 Prozent der Landwirte in Deutschland sind älter als 55.
Uwe Greff: "Sie haben keine Kinder, keine Erben, die das weitermachen. Und es gibt dann die nächste Generation an jungen Landwirten, die nachkommen, aber kein Geld in der Tasche haben. Die sollen plötzlich dann einen 200-Hektar-Betrieb, einen 500-Hektar-Betrieb übernehmen und wir haben dann die nächste Lücke."

Politiker und Verbraucher haben die Wahl

Eine Lücke, die BioBoden schließen will, indem sie das Land aufkauft und an Jungbauern verpachtet. Die Genossenschaft entwickelt derzeit eine Management-Ausbildung für junge Landwirte, um den Nachwuchs auch betriebswirtschaftlich fit zu machen. Mit Anja Hradetzky vom Hof "Stolze Kuh" ist Greff sich einig: Politiker und Verbraucher haben die Wahl.
Anja Hradetzky: "Da ist halt die Frage, was man will. Will man ausgeräumte Landschaften, wo man mit möglichst großen Maschinen schnell ernten kann? Oder will man eine belebte Landschaft mit Arbeitsplätzen, mit wirklichem, ja, ich will gar nicht das Wort benutzen, Tierwohl, wo die Leute sich das anschauen können, wo wir das Dorf beleben, wo junge Leute wieder aufs Land ziehen, weil es attraktiv ist und man auch vor Ort wieder was kaufen kann – das ist halt so die Frage, da muss man sich entscheiden."
Uwe Greff: "Das wäre relativ einfach. Da bräuchte nur der Deutsche Bundestag eine Entscheidung zu treffen und dann wäre die Vorgabe für die BVVG, auch strukturpolitische, soziale, regionale Gesichtspunkte zu berücksichtigen."
Die Grünen im Bundestag forderten nach der KTG-Pleite Programme, die Neugründungen gezielt unterstützen. Das müsse sich die Bodenverwertungsgesellschaft zur Aufgabe machen.
Doch die Äcker der KTG Agrar hat größtenteils die Stiftung Gustav Zech übernommen – und die ist Teil des Bremer Bau- und Immobilien-Imperiums Zech.
Regionale, bäuerliche Landwirtschaft sieht anders aus.
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