Brainfood

Die Mär von der Geistesnahrung

Im Deutschen Hygiene-Museum Dresden wird in einer dauerhaften Ausstellung das menschliche Gehirn vorgestellt, 2005
Das Gehirn schützt sich vor gesunden Stoffen - Mahlzeit! © picture alliance / dpa / ZB / Oliver Killig
Von Udo Pollmer · 11.03.2016
Die geistige Gesundheit ist ein hohes Gut. Unlängst wurde sie von Ernährungsexperten als neues, bisher unbekanntes Terrain entdeckt. Seither ergießt sich eine Flut von Ratschlägen, die dem Oberstübchen auf die Sprünge helfen sollen. Udo Pollmer reibt sich verwundert die Augen.
Feiern Sie bloß nicht abends in ihren Geburtstag hinein – denken Sie an Ihr Hirn: "Mitternachtssnacks können dümmer machen", warnt das Wochenmagazin Focus. Bisher wussten wir nur, dass man sich den Verstand mit Korn wegsaufen kann. Heute gelingt das offenbar auch mit einer Bohnensuppe zur Geisterstunde.
Sucht man den Ursprung der kuriosen Meldung, landet man in Los Angeles. Dort haben Forscher ein paar Mäuse in Ruhe schlafen lassen, während weitere Mäuslein zur Unzeit geweckt wurden, um ihnen Futter zu kredenzen. Der Focus vermeldete: "Die eine [Gruppe] wurde tagsüber gefüttert, die andere zu Zeiten an denen die Tiere eigentlich schlafen." Nun ja – die Schadnager sind zwar eher nachtaktiv, insofern lassen sich die Ergebnisse besser auf Journalisten übertragen, die häufig bis spät in die Nacht arbeiten dürfen.
14 Tage später wurden die Mäuse dressiert. Tiere, die nicht durchschlafen konnten, weil sie fressen mussten, schnitten wie erwartet beim Test schlechter ab. Doch diese Banalität wird sofort in einen Ernährungsratschlag umgedeutet: Nächtliches Essen mache dumm und sei für Lernschwierigkeiten verantwortlich. Das klingt sehr nach unausgeschlafenen, hungrigen Redakteuren.
Doch auch Tags lauert bei Tisch Gefahr für den IQ: "Diese Lebensmittel machen blöd", fabuliert ein Gastroenterologe: "Wenn Sie beim Essen nicht dümmer werden wollen", sollten Sie keinen Weizen speisen. Denn der richte "verheerende Schäden in unserem Gehirn an". Klüger hingegen mache der Verzicht auf "billige Kohlenhydrate". Offenbar ist der Blickwinkel dieses Experten berufsbedingt etwas eingeengt, sonst wüsste er, dass auch sein Gehirn in lichten Momenten mit dem billigen Kohlenhydrat Glucose – erzeugt aus Brot, Kartoffeln und Nudeln - betrieben wird.

Fünf Jahre jünger durch Mittelmeerkost?

Die ÄrzteZeitung serviert einen therapeutischen Leckerbissen. Sie verspricht, Mittelmeerkost würde unsere Hirne glatt um fünf Jahre verjüngen. Denksport Adieu – lassen Sie Ihr Sudoku liegen und bestellen Sie sich einfach eine Portion Spaghetti. Auch der NDR-Ratgeber wird den Kampf gegen das Vergessen wohl nicht mehr gewinnen. An der Alster soll nämlich der Verzehr von Zucchini vor Demenz bewahren. Dabei wäre mit einer ordentlichen Portion Bratkartoffeln mit Matjes dem Publikum diese Peinlichkeit erspart geblieben. Das Gehirn gewöhnlicher Hanseaten funktioniert immer noch nicht mit Zucchini oder ballaststoffreichem Stroh, sondern mit Energie, also den Kalorien sättigender Speisen.
Es heißt zwar, plenus venter non studet libenter - ein voller Bauch studiert nicht gern. Wer sich mittags satt isst, verfällt in eine leichte Fressnarkose und wird etwas müde. Der Bauch ist mit Verdauung beschäftigt und wird gut durchblutet – das Hirn braucht dann ein bisschen Geduld, ein Mittags-päuschen. Aber bald strömt Blutzucker in die Blutbahn und das Hirn bekommt seine Nervennahrung, Konzentration und Denken fallen wieder leichter. Wer auf Diät ist, betreibt sein Oberstübchen im Sparmodus – mit allen Folgen für seine intellektuellen Leistungen.
Genaugenommen ist die Vorstellung, unser Gehirn brauche spezielles Brain-Food, nichts anderes, als die Idee vom Nürnberger Trichter in modernem Outfit. Wenn man Wissen schon nicht mechanisch in die Köpfe stopfen kann, so versucht man nun allen Ernstes, Verstand mit dem Salatbesteck zu verabfolgen. Doch selbst auf diese Verstiegenheit ist unser Gehirn vorbereitet: Es schützt sich durch seine Blut-Hirn-Schranke vor den vielen "gesunden" Stoffen aus Vollkorn, Zucchini und Spinat - auf dass es keinen Schaden nehme. Mahlzeit!
Literatur
Becker M: Lernschwächen und Erinnerungslücken: Deshalb können Mitternachtssnacks dümmer machen. Focus Online 1. März 2015
Loh DH et al: Misaligned feeding impairs memories. eLife 2015; 4: e09460
Anon: Besser und gesünder essen - Achtung! Diese Lebensmittel machen blöd! News.de Ratgeber 2. März 2015
Strunz U: Warum macht die Nudel dumm? Heyne, München 2015
Anon: Mittelmeerkost hält das Gehirn fit. NDR Online, Ratgeber vom 12. Januar 2016
Müller T: Hirn um fünf Jahre jünger. ÄrzteZeitung 5. Januar 2016
Melville L: Spezielle Diät schützt vor Alzheimer. Netdoktor.de vom 25. März 2015
Morris MC et al: MIND diet associated with reduced incidence of Alzheimer’s diease. Alzheimer’s & Dementia 2015; 11: 1007-1014
Gu Y et al: Mediterranean-type diet and brain volumes in an elderly population. Neurology 2015; 88: Suppl S36.008
Gu Y et al: Mediterranean diet and brain structure in a multiethnic elderly cohort. Neurology 2015; 85: 1744-1751
NEL Systematic Review: What is the relationship between dietary patterns and risk of dementia/cognitive impairment/Alzheimer’s disease? Technical Abstract, USDA Nutrition Evidence Library 2015
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