Boualem Sansal : "2084"

Düstere Vision einer religiösen Weltdiktatur

Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal
Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Von Martina Zimmermann · 07.09.2015
Boualem Sansal, 2011 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet, bringt in diesen Tagen seinen neuen Roman "2084" heraus. Komplimente von Houellebecq mag er nicht, Vergleiche mit Camus um so mehr − ein Treffen in Paris mit dem algerischen Autor.
"2084" ist ein Zukunftsroman der düsteren Sorte: Es herrscht eine religiöse Weltdiktatur. In Abistan – so der Name des Landes – liegt das Volk dem Gott Yölah und seinem Propheten Abi zu Füßen. Neun Mal am Tag muss gebetet werden. Ansonsten werden die Massen mit Pilgerfahrten und Exekutionen von Ungläubigen beschäftigt. Boualem Sansal sieht seinen Roman als Fortsetzung von Georges Orwells "1984":
"Damals gab es drei Mächte die sich bekämpften, es war die Zeit des Kalten Krieges und dann der friedlichen Koexistenz. Heute findet der Krieg in Informatik und Finanzwesen statt. Und es kommt ein vierter Konkurrent dazu, der dynamisch ist und stark mit einem potentiellen Reservoir von 1,5 Milliarden Muslimen in der Welt. Sie haben Öl und Raum. Dieser Vierte sagt nun: Ich will alleine herrschen, ich werde euch alle töten und ich werde diese Welt regieren."
Sind es radikale Islamisten, die in Abistan herrschen? Das Werk spielt in ferner Zukunft, und Boualem Sansal behauptet im Vorwort, alles frei erfunden zu haben. Parallelen mit aktuellen Ereignissen tun sich dennoch auf: So gibt es in Abistan keine Vergangenheit, keine Geschichte. Der Leser denkt an die reale Zerstörung der Tempel in Palmyra...
Im Ausland gedruckt, in Algerien verboten
Der Chef und Prophet Abi wird in Abistan verehrt, aber kaum einer hat ihn je zu Gesicht bekommen. Eine Erfahrung aus der Heimat des 66-jährigen Algeriers mit den langen grauen Haaren und der Intellektuellenbrille? Staatschef Bouteflika tritt in Algerien kaum an die Öffentlichkeit...
"Überall in Algerien, auch im Fernsehen sehen Sie Herrn Bouteflika im Alter von 40 Jahren mit schwarzen Haaren und seinen hübschen grünen Augen. Dazu wird erzählt, der Präsident tut dieses oder jenes. In Wirklichkeit ist er 80, liegt wahrscheinlich in seinem Bett, ist wahrscheinlich abgemagert... eine Mumie. Bei älteren Leuten wie mir funktioniert das nicht, aber für die jungen Leute, die nie etwas anderes gesehen haben als sein Foto, ist Bouteflika der, den sie auf dem Foto sehen. Und seine Leutnants um ihn herum spielen bei der Maskerade mit, weil sie vom System profitieren, denn sie üben die wirkliche Macht aus."
Der studierte Maschinenbauingenieur Boualem Sansal war Berater im algerischen Handelsministerium und ministerieller Generaldirektor in der Industrie. Er war also auf einem hohen Beamtenposten, als er 1999 mit dem "Schwur der Barbaren" bei Gallimard in Paris seinen ersten Roman veröffentlichte. Daraufhin wurde er entlassen:
"Ich wurde in Wirklichkeit nie wegen meiner Bücher belästigt. Sie wurden im Ausland gedruckt und waren in Algerien verboten. Es war wegen meiner Interviews wie hier mit Ihnen oder wie in Le Monde, Figaro oder der New York Times. Das stört, deshalb gelte ich als Oppositioneller."
Der, der im Land geblieben ist
Die deutschen Medien präsentieren Boualem Sansal immer als "den, der im Land geblieben ist". Anders als die meisten algerischen Schriftsteller, die im Ausland leben, verfolgt werden oder sich verfolgt fühlen, will Sansal nicht weg. Seine Inspiration findet er in Algerien, obwohl er in Boumerdès nahe Algier in einer Art innerem Exil lebt:
"Keiner lädt mich ein, keine Universität und keine Buchhandlung, ich bin ein Niemand. Ich existiere nicht. Ich bin wie ein Toter. Ein Intellektueller, der nicht an den öffentlichen Debatten teilnimmt, ist wie tot. Ich existiere in Algerien nur, weil ich woanders ein bisschen lebe. Außerdem befinde ich mich im Bruch mit dieser Gesellschaft. 80 Prozent sind Islamisten und die anderen, die früher Atheisten oder Kommunisten waren, sind Muslime geworden."
Obwohl er immer wieder von Parteien und Organisationen kontaktiert wird, engagiert sich Boualem Sansal nicht politisch. Sein Kampf findet in seiner Literatur statt:
"Alleine bin ich wirkungsvoller. Ich habe das Glück, schreiben zu können, in viele Sprachen übersetzt zu werden. Gehört zu werden. Ich bringe die Information viel besser rüber."
Dass es Vergnügen bereitet, in diese düstere Welt der Zukunft einzutauchen, liegt an der Raffinesse seines Schreibstils und an den satirischen Spitzen, mit denen Boualem Sansal die Absurdität dieser religiösen Weltdiktatur herüberbringt. Sein neuer Roman "2084 – La Fin du Monde" wird als möglicher Goncourt-Literaturpreis gehandelt.
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