Botschafter beklagt deutsch-polnische "Kommunikationsstörungen"

Moderation: Christopher Ricke · 16.03.2007
Nach Ansicht des polnischen Botschafters in Berlin, Marek Prawda, wird das Verhältnis zum deutschen Nachbarn von "Kommunikationsstörungen" belastet. Der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Polen sei ein Signal, dass Verständnis und Vertrauen wachsen können.
Christopher Ricke: Heute reist die EU-Ratspräsidentin und Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Polen. Es wird eine vielleicht nicht ganz einfache Reise sein. Vielleicht ist aber auch der Tiefpunkt der aktuellen Beziehungskrise zwischen Deutschland und Polen und der EU und der Polen schon durchschritten. Schließlich gibt es auf beiden Seiten viele, die sich um ein besseres Miteinander bemühen. Ich spreche jetzt mit dem Botschafter Polens in Deutschland, Marek Prawda. Guten Morgen Herr Botschafter!

Marek Prawda: Guten Morgen Herr Ricke!

Ricke: Jetzt kommen ja quasi zwei Angela Merkels, einmal die EU-Ratspräsidentin und dann die deutsche Bundeskanzlerin. Welche Themenfelder sind denn aus Ihrer Sicht die wichtigeren, die polnisch-deutschen oder die polnisch-europäischen?

Prawda: Also ich glaube, dass es bei dem Besuch darum gehen wird, sich daran zu erinnern, dass Polen und Deutschland der EU gemeinsam einiges zu geben haben. Bei bilateralen Fragen ist die EU gar nicht wegzudenken und bei den polnisch-europäischen Themen kommt man auch ohne Deutschland nicht aus. Also beides ist wichtig und in diesem Halbjahr untrennbar.

Ricke: Es ist die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die Sie ansprechen. Deswegen wird sicherlich auch ein sehr heikles Thema diskutiert werden, der geplante Raketenabwehrschild. Polen steht da ganz auf der Seite der USA. Frau Merkel bemüht sich, das ganze Projekt in die NATO einzubetten, die Russen zu konsultieren. Erkennen Sie schon eine Kompromisslinie?

Prawda: Ich glaube, es wäre hilfreich, wenn man gerade diese Debatte etwas entdramatisiert. Wir haben es schließlich mit einer veränderten Bedrohungslage zu tun, auf die man angemessen reagieren sollte. Neu ist, dass die möglichen Attacken jetzt nicht unbedingt von Staaten kommen und häufig auch nicht eindeutig zu definieren sind. Das ist diese neue Lage, der wir ausgesetzt sind. Darüber spricht man in der NATO, die NATO beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dem Thema, und das ist der Hintergrund, vor dem der amerikanische Vorschlag kam, das Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien, vielleicht auch woanders, zu installieren. Natürlich ist es jetzt wichtig, mehr und konkreter zu erfahren, ob und wie diese zu gründenden Basen in ein NATO-System integriert werden. Natürlich soll man auch sprechen darüber, inwiefern die europäischen Verbündeten geschützt werden. Also lieber sachlich darüber diskutieren, statt verhängnisvolle Konsequenzen in der Weltpolitik heraufzubeschwören. In Polen wird dieses Thema heftig und durchaus kontrovers diskutiert. Man spricht auch über zweiseitige Beziehungen, also Polen-Vereinigte Staaten. Aber das ist einfach ein Aspekt der Debatte darüber, ob diese Geschichte für uns einen Mehrwert für die Sicherheit bedeutet oder nicht. Also wenn wir jetzt über Bilaterales, Warschau-Washington sprechen, das heißt ja nicht, dass man die Rolle der Allianz in Frage stellt. Das ist nur ein Versuch, sich selbst zu erklären, ob es uns hilft.

Ricke: Kommen wir vom Mehrwert zum Grundwert. So ein Grundwert könnte eine europäische Verfassung sein. Man wartet auf Polen, sich an dem Verfassungsprozess konstruktiv zu beteiligen. Erwarten Sie hier Äußerungen bei diesem Besuch von Frau Merkel in Polen?

Prawda: Wir haben jetzt die Phase, wo wir etwas mehr über unsere Position sagen möchte, und der Besuch der Frau Bundeskanzlerin ist eine gute Gelegenheit, sich jetzt zunächst mit der Ratspräsidentin auszutauschen.

Ricke: Es gibt ja eine Besonderheit bei diesem Besuch: Frau Merkel wird von ihrem Mann begleitet. Das ist nicht unbedingt üblich, und das signalisiert ja auf der diplomatischen Ebene, man ist durchaus auch daran interessiert, sich auf einer menschlich-privaten Ebene näher zu kommen. Wird das in Polen aufgenommen und verstanden?

Prawda: Die Bundeskanzlerin wird mit Sicherheit mit Sympathie und Neugier aufgenommen. Wir wissen es zu schätzen, dass sie jetzt in der Eigenschaft als Ratspräsidentin kommt, gerade nach Polen, dass sie an der Uni einen Vortrag hält. Und diese, wie Sie angesprochen haben, menschlich-private Ebene, die ist in dieser Phase der deutsch-polnischen Beziehungen wichtig. Wir haben es mit Kommunikationsstörungen zu tun, und in diesem Fall ist dieses Element jetzt so etwas wie ein Signal, dass wir uns besser verstehen sollen, dass wir mehr Vertrauen zueinander gewinnen, dass wir auf dieser Basis über die Zukunft Europas sprechen können.

Ricke: Das polnisch-deutsche Verhältnis hat ja in der jüngeren Vergangenheit erhebliche Turbulenzen durchschritten. Es gibt auf beiden Seiten Leute, die sich nicht unbedingt konstruktiv äußern. Mal vergleicht die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die polnischen Regierungsparteien mit deutschen Rechtsextremen. Dann kommt der polnische Beauftragte für die polnisch-deutschen Beziehungen und sagt, man habe es auf der deutschen Seite mit einer nationalen, in ihrem Wesen egoistischen und durchaus Polen nicht gerade freundlich gesinnten Politik zu tun. Kann es bei solchen Wortgefechten tatsächlich gelingen, sich wieder näher zu kommen?

Prawda: Ach, also ich kann es nicht hinnehmen, dass man die beiden Äußerungen auf derselben Ebene betrachtet. Die Vergleiche, die Frau Steinbach zieht, sind absolut unakzeptabel, und so wurden sie auch in Deutschland kommentiert.

Ricke: Herr Botschafter, es werden möglicherweise auch Probleme angesprochen, die die Bundesregierung schlichtweg von der Vorgängerregierung geerbt hat. Ein Beispiel: Die Ostseepipeline. Ist da noch Zündstoff drin oder ist das Thema erledigt?

Prawda: Ich glaube, es ist immer noch ein schwieriges Erbe, aber kein Zündstoff. Wir sind ja der Europäischen Union gerade beigetreten, um ein sicheres Transitland zu werden. Das war ein Teil des Konzepts, um das etwas metaphorisch zu sagen. Nun gab es viele, wie ich meine, gute Gespräche zwischen Polen und Deutschland darüber, wie man diese negativen Folgen der Entscheidung über die Ostseepipeline überwindet. Da war die Rede von der Zusammenarbeit bei der Suche nach den alternativen Lieferanten. Da sprach man über die Energiesicherheit als ein EU-Anliegen. Die deutsche Präsidentschaft hat dieses Thema zur Priorität während der Präsidentschaft eben gemacht, und man spricht ja über die Solidarität als ein Element der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in Europa, also die Energiesicherheit als ein Element in diesem Komplex. Das ist etwas, was wir als sehr erfreulich sehen.

Ricke: Was in Deutschland nicht erkannt wird, vielleicht wird es vermisst, vielleicht kann man es einfach nicht sehen, das ist eine polnische Vision von Europa, die über eine harte Haltung hinausgeht. Dabei hat doch Polen in den achtziger Jahren zum Beispiel mit der Gewerkschaft "Solidarität" die europäische Nachkriegsgeschichte neu mitgeschrieben. Welche polnisch-europäischen Impulse gibt es heute eigentlich?

Prawda: Die EU braucht heute ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl. Also die Erinnerung an die Jahre 1980 oder 1989 ist für uns wichtig, nicht wegen der Vergangenheit, sondern wegen der Zukunft, damit wir, die neuen EU-Mitglieder, nicht nur als Quelle der Sorgen, sondern als Quelle der politischen Ideen angesehen werden, und wenn man uns sozusagen als Lieferanten einer positiven politischen Energie akzeptiert, dann kann es möglicherweise einfacher sein, auch sich über die Energielieferungen zu verständigen.

Ricke: Vielen Dank für das Gespräch.