Botho Strauß

Der Wortzauberer

Von Hartmut Krug · 02.12.2014
Er erhielt den Georg-Büchner-Preis, den Berliner Theaterpreis, den Lessing Preis und viele mehr: Botho Strauß gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller - manchen auch als rotes Tuch. Jetzt wird er 70.
In seinem gerade erschienenen schmalen Buch "Herkunft" gibt der interviewscheue Botho Strauß erstmals Auskunft über seine Kindheit und seinen Vater, mit dem ihn eine "bürgerliche Moral des Scheiterns" verbinde.
In sein Lebenslauf allerdings finden sich nur wenige Momente des Scheiterns: 1944 in Naumburg an der Saale geboren, aufgewachsen in Remscheid und Bad Ems, ein Studium abgebrochen, dann zwischen 1967 und 1970 mit seinen analytischen Beiträgen aufsehenerregender Mitarbeiter der Zeitschrift "Theater heute", darauf bei Peter Stein Dramaturg an der Berliner Schaubühne und schließlich ab 1975 freier Autor.
Zeitlose Gesellschaftsdiagnosen
Die große Zeit des Dichters und Dramatikers Botho Strauß waren die 1970er- und 1980er-Jahre. Da wurden seine Theaterstücke von den größten Regisseuren in Hamburg, München, Stuttgart und vor allem an Peter Steins Schaubühne gespielt. Es sind aktuelle und zugleich zeitlose Gesellschaftsdiagnosen. Melancholisches Personal beschäftigt sich erschöpfend und erschöpft nur noch mit sich selbst.
In "Bekannte Gesichter, Gemischte Gefühle" bewegen sich Standardtänzer ohne Gefühle über das Parkett und durch die zufrieden erstarrte Wohlstandsgesellschaft, während in "Groß und Klein" eine Lotte Kotte erfolglos über Gegensprechanlagen zu kommunizieren versucht.
Theatergeschichte gemacht
0b "Paare, Passanten", "Trilogie des Wiedersehens", ob "Kalldewey Farce" oder "Hypochonder", immer ist die Entfremdung des Menschen von sich und der Natur das Thema. Und die Erscheinungsweisen von Liberalität werden kritisch untersucht. Als Strauß diese Stücke schrieb hat er für die Schaubühne auch Klassiker für die dramaturgisch bearbeitet. Deren Inszenierungen machten Theatergeschichte: So "Peer Gynt", "Prinz von Homburg", "Die Sommergäste" und das "Sparschwein" von Labiche.
Seit Anfang der 80er-Jahre hat Strauß immer öfter auch Prosa verfasst. Meist sind es Erinnerungen, Träume, Visionen und Episoden im ganz eigenen, sprachfunkelnden und kulturkritischen Ton, weniger erzählende als aphoristische Gedankenprosa. Ein frühes Beispiel ist "Marlenes Schwester" von 1975, aus dem Botho Strauß hier selbst vorliest:
"Am anderen Ende der Reise ein schwaches Licht. Deine tränenden Augen, deine weißen Handschuhe, an deren Flecken du schnupperst. Heute quält mich zum ersten Mal der Verdacht, dass die wenigen Dinge, die hier geschehen, die gewöhnlichen Erlebnisse, in Wahrheit weit über meinen Verstand, nein, weit sogar über mein Vorstellungsvermögen hinaus gehen könnten."
Eine Art Eremit
Wann immer heute über Botho Strauß berichtet wird, dann erscheint er als eine Art Eremit, weil er sich vor zwanzig Jahren aus dem Berliner Kulturbetrieb in eine einsame Klause in der Uckermark zurückgezogen hat. Zwar ist er als Dichter und Denker nicht verstummt, doch gelten seine formal noch immer bewundernswerten und wortzauberischen Texte als unzeitgemäß.
Denn sie klingen konservativ und für manche sogar reaktionär, weil sie in der Auseinandersetzung mit einer vorherrschenden technisch-ökonomischen Einverständniskultur bewahrend im Sinne des Wortes sein wollen. Gegen seinen demokratie- und zivilisationskritischen Essay "Anschwellender Bocksgesang", gab es heftige und nicht immer unberechtigte Einreden.
Wenn Strauß Mythos, Transzendenz und Theologie beschwört und, gegen die Postmoderne, von Wiedererkennung und Anamnese als Aufgabe des Dichters spricht, dann ist das Teil seines Kampfes gegen "das große monotone Recycling des Neuen und der Neuigkeiten."
Suche nach dem Unverletzlichen
In seiner Dankesrede für die Verleihung des Büchner-Preises 1989 spricht er von der Suche nach dem Unverletzlichen als Auftrag des Dichters. Verlesen hat die Rede sein Verleger Michael Krüger:
"Dichtung. Land, das nie fasslich, aber doch da ist,
bewohnbar, fruchtbar, unverseucht, lebensschützend, lebensspendend.

Ziel. Asyl. Der Dichter ist die schwache Stimme in der Höhle unter dem Lärm.
Ein leises ewiges Ungerührtsein. Das Summen der Erinnerung."
Einst wurde jeder neue Text von Botho Strauß groß beachtet und besprochen. Diese Aufmerksamkeit hat der Dichter heute nicht mehr. Dabei sind allein seine Analysen des Theaters, mögen Sie noch so konsequent das alte Theater gegen das Installationstheater verteidigen, von anregender Intelligenz. Wer wissen will, wie Theater funktionieren kann, lese seine Laudation auf Jutta Lampe.
Mehr zum Thema