Bosbach: Gezielte Tötung von Terroristen mehr als problematisch

Moderation: Marie Sagenschneider · 10.07.2007
Unionsfraktions-Vize Wolfgang Bosbach hat den Vorschlag von Bundesinnenminister Schäuble zur gezielten Tötung von Terroristen zurückgewiesen. Hierfür gebe es keine Rechtsgrundlage, sagte Bosbach. Auch bei Terroristen müssten rechtsstaatliche Grundsätze gelten. Die Kritik an Schäuble sei aber völlig überzogen.
Marie Sagenschneider: Reicht unser Rechtsstaat, um den neuen terroristischen Bedrohungen zu begegnen? Allein schon dieser Satz von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat unfrohes Echo in der SPD ausgelöst. Und die neuen Vorschläge, die er parat hält, sorgen für ziemlichen Verdruss. Denn ginge es nach Wolfgang Schäuble, dann würden die staatlichen Befugnisse gegen Terror-Sympathisanten ausgeweitet. Seine Ideen reichen von Handy- und Internetverbot bis hin zu Fragen, ob man sogenannte Gefährder, wie Kombattanten, also Kämpfer, internieren sollte und ob es nicht an der Zeit wäre, gezielte Tötungen von Terroristen zu legalisieren. Selbst in der Union ist da so mancher schwer irritiert. Wolfgang Bosbach ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag und als solcher Zuständig für rechts- und innenpolitische Belange. Herr Bosbach, ich grüße Sie.

Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Sagenschneider.

Sagenschneider: Müssen wir rechtliche Unklarheiten im Grundgesetz ausräumen, zum Beispiel die Frage klären, ob Terroristen gezielt getötet werden dürfen?

Bosbach: Ich glaube, dass die Rechtsgrundlagen dafür vorhanden sind, unter welchen Umständen der Staat eingreifen darf. Wolfgang Schäuble hat in dem Interview mit dem Spiegel zu Recht auf das Beispiel "finaler Rettungsschuss" hingewiesen. Die Regelung über den finalen Rettungsschuss gibt es in fast allen Polizeigesetzen der Länder. Das sind Fälle, in denen Leben gegen Leben steht. Wenn beispielsweise ein Geiselnehmer eine Geisel nimmt und die Geisel kann nur gerettet werden durch eine Tötung des Angreifers, dann ist das Notwehr, genauer gesagt Nothilfe, und die ist zulässig, wenn es ein milderes Mittel nicht gibt.

Sagenschneider: Aber Herr Schäuble hat ja ein konkretes anderes Beispiel konstruiert. Er sagt, Gesetz dem Fall, man wüsste, wo sich Osama bin Laden aufhält und könnte eine ferngesteuerte Rakete abschießen, um ihn zu töten, dann wäre völlig unklar, ob sich Deutsche an einer solchen Aktion beteiligen dürfen oder nicht.

Bosbach: Die gezielte Tötung halte ich für mehr als problematisch, denn dafür sehe ich keine Rechtsgrundlage, jedenfalls nicht im innerstaatlichen Recht. Ich glaube nicht, dass Wolfgang Schäuble auf das Kriegsvölkerrecht abstellen wollte. Aber es wird ja auch der schöne Fall gebildet, wenn wir ihn hätten, Osama bin Laden, dann müssten auch die rechtsstaatlichen Grundsätze bei einem Terroristen angewandt werden, und das heißt für mich, Anklage und Aburteilung.

Sagenschneider: Das heißt, man müsste jetzt keine spezielle neue Rechtsgrundlage schaffen?

Bosbach: Ich sehe eine solche nicht, und ich kann mir auch eine solche Rechtsgrundlage gar nicht vorstellen. Ich darf bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass wir die Todesstrafe abgeschafft haben und zwar aus guten Gründen. Und selbst wenn man sagen würde, hier geht es nicht um Strafe, sondern um Gefahrenabwehr, wenn wir uns also im Polizeirecht befinden würden, kann ich mir, mit Verlaub, keine Rechtsnorm vorstellen, wo wir das vorsätzliche Töten zum Zwecke der Gefahrenabwehr in das Gesetzbuch nehmen, ausgenommen der Fall, den ich gerade geschildert habe, wo Leben gegen Leben steht, und wo das Leben eines Opfers nur gerettet werden kann, wenn der Angreifer getötet wird. Das ist meines Erachtens ein anderer Fall.

Sagenschneider: Was, Herr Bosbach ist mit den Vorschlägen, die der Bundesinnenminister in Bezug auf Terrorsympathisanten gemacht hat: Handy-, Internetverbot, vorsorgliche Inhaftierung?

Bosbach: Verbot der Nutzung der Kommunikationsmittel. Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Das ist geltendes Recht, und zwar bei den Ausländern, die wegen Terrorverdacht ausreisepflichtig sind, die also ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland verloren haben, die aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können. Das Ergebnis ist, wir müssen sie mit einem großen Aufwand an Personal und Technik rund um die Uhr im Auge behalten, damit sie keine terroristischen Aktionen begehen können. Da gibt es schon jetzt die Möglichkeit, Meldeauflagen zu erteilen, sie müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden, und das Verbot, bestimmte Kommunikationsmittel zu benutzen. Da frage ich mich allerdings, wie praxisrelevant das ist. Denn wenn ich schon jemanden nicht als Person unter ständiger Kontrolle halten kann, wie will ich dann ständig kontrollieren, ob er Internet oder Handy nutzt.

Sagenschneider: Dann wären wir noch beim Punkt Internierung. Das ist ja besonders heikel, weil man sofort an Guantanamo denkt. Wenn man sieht, dass in den USA das oberste Gericht die US-Regierung wegen dem, was in Guantanamo geschieht, schon kräftig zaust, und die US-Regierung auch darüber nachdenkt, wie sie Guantanamo halbwegs ohne Gesichtsverlust schließen kann, findet man das schon sehr verwegen.

Bosbach: Frau Sagenschneider, hier sind zwei Fälle zu unterscheiden, Guantanamo gibt es meines Erachtens zwei Möglichkeiten, nämlich freilassen oder anklagen. Jemanden jahrelang in Haft halten, ohne dass die Betroffenen wissen, was ihnen konkret vorgeworfen wird, halte ich nicht für erstrebenswert. Aber es gibt natürlich eine Fallgestaltung. Die habe ich gerade schon erwähnt. Da könnte eine solche Sicherungshaft durchaus notwendig sein, im wahrsten Sinne des Wortes. Und sie ist einmal von Otto Schily vorgeschlagen worden, nicht von Wolfgang Schäuble. Otto Schily war der erste, der gesagt hat, was machen wir in einem Fall von terrorverdächtigen Ausländern, die ausreisepflichtig sind, die wir aber nicht abschieben können, zum Beispiel weil ihnen im Heimatland Folter oder Todesstrafe droht, weil sie dort bereits schwerste Verbrechen begangen haben und möglicherweise in Abwesenheit bereits verurteilt worden sind. Dann haben wir wieder das Problem, dass wir diese Personen nicht abschieben können, wir müssen sie hier rund um die Uhr beobachten.

Wichtiger scheint mir aber, wenn ich das mal sagen darf, etwas anderes zu sein. Warum sprechen wir von sogenannten Gefährdern oder Top-Gefährdern, die eine erhebliche Bedrohung für die innere Sicherheit unseres Landes sind? Weil sie sich zum Beispiel in Terrorcamps zu Terroristen haben ausbilden lassen. Weil sie sich um den Ankauf von Sprengstoff bemühen. Weil sie Anleitungen zum Bombenbau ins Internet stellen. Diese Verhaltensweisen sollten wir unter Strafe stellen. Da haben wir in der Koalitionsvereinbarung schon vor zwei Jahren darüber gesprochen, endlich Strafbarkeit für sogenannte terroristische Vorbereitungshandlungen. Wenn wir nämlich dann solche Terrorhelfer haben, dann könnten wir sie festnehmen wegen einer begangenen Straftat. Dann könnten wir sie vor Gericht stellen und aburteilen. Dann gäbe es all die Debatten nicht, die wir in den letzten Stunden geführt haben.

Sagenschneider: Vielleicht wäre es ja einfacher, ein paar Sachen umzusetzen, wenn Bundesinnenminister Schäuble nicht täglich mit neuen Vorschlägen an die Öffentlichkeit ginge und alle so verschreckt. Aus der SPD heißt es ja schon, zwar sei der Innenminister dazu da, den Rechtsstaat zu schützen, aber langsam müsse man darüber nachdenken, ob der Rechtsstaat nicht vor dem Innenminister geschützt werden soll.

Bosbach: Ich halte diese Kritik an Wolfgang Schäuble für völlig überzogen. Wolfgang Schäuble will den Rechtsstaat nicht abschaffen, Wolfgang Schäuble will den Rechtsstaat schützen. Und dass er durch den internationalen Terrorismus ernsthaft gefährdet ist, die Sicherheit der Menschen, die hier leben, das kann man doch ernsthaft nicht bestreiten. Und da macht er sich große Sorgen. Vieles, was Wolfgang Schäuble sagt, ist auch Wiederholung dessen, was er schon seit Jahren sagt, ohne dass wir mittlerweile zu Entscheidungen kommen. Nehmen wir doch einmal Online-Durchsuchungen, BKA-Gesetz, Nutzung von Mautdaten wenigstens zur Aufklärung von schwersten Verbrechen, Rasterfahndung, Einsatz der Bundeswehr im Innern, Komplettierung Luftsicherheitsgesetz – Frau Sagenschneider, da reden wir nur drüber. Wir haben noch keine einzige konkrete Maßnahme beschlossen. Das wichtigste scheint mir im Moment das BKA-Gesetz einschließlich Online-Durchsuchung zu sein. Wir können den internationalen Terrorismus nicht mit Reden bekämpfen, sondern nur mit Taten. Deswegen ist Wolfgang Schäuble so hartnäckig. Er gibt nicht auf, bis wir Schutzlücken geschlossen haben. Und da hat er auch die Unterstützung der Union.

Sagenschneider: Aber dem Koalitionsfrieden dient es nicht gerade, wenn er täglich mit neuen Vorschlägen kommt, sie erweitert und erweitert, anstatt sich auf wenige Punkte zu konzentrieren, oder?

Bosbach: Mir wäre es auch lieber, Frau Sagenschneider, wenn wir nicht jeden Tag eine neue Baustelle eröffnen, sondern endlich einmal eine Baustelle abschließen würden. Da haben Sie völlig Recht. Aber es dient auch nicht dem Koalitionsfrieden, wenn die SPD beidfüssig auf der Bremse steht und nicht bereit ist, Schutzlücken zu schließen, obwohl es viele vernünftige Sozialdemokraten gibt, die überhaupt keinen Zweifel daran haben, dass wir rasch handeln müssen. Allerdings glaubt die SPD, sie hätte jetzt einen parteipolitischen Vorteil davon, wenn sie dem Bundesinnenminister derart in die Parade fährt, sie leistet der inneren Sicherheit des Landes dadurch einen Bärendienst, und das bringt sie in der Koalition auch nicht nach vorne.

Sagenschneider: Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Herr Bosbach, ich danke Ihnen.

Bosbach: Ich danke Ihnen.