Bonnie Raitt: "Dig in Deep"

Eine sehr lebendige Legende

Die Blues-Sängerin und Gitarristin Bonnie Raitt auf dem Jazz-Fest Wien 2013.
Die Blues-Sängerin und Gitarristin Bonnie Raitt auf dem Jazz-Fest Wien 2013. © picture alliance / dpa / Hans Klaus Techt
Von Harald Mönkedieck · 25.02.2016
Bonnie Raitt hat schon zehn Grammys gewonnen und ist seit 45 Jahren im Musikgeschäft. Dass sie mit Mitte 60 noch lange nicht zum alten Eisen gehört, beweist sie auf ihrem neuen Album "Dig in Deep". Dort präsentiert sie die bewährte Mischung aus R'n'B, Pop und intensiven Balladen.
Rote Haarpracht mit grauer Strähne, markante Slide-Gitarre, große Stimme. Bonnie Raitt ist mit Mitte Sechzig immer noch die gleiche – und das ist eine gute Nachricht. Auf "Dig In Deep" präsentiert sich die kalifornische Blues-Lady in bewährter Manier. Mit einer Mischung aus R'n'B-geprägten Songs, souveränen midtempo Pop-Grooves, intensiven Balladen.
Mit der Single "Gypsy In Me" gibt Bonnie Raitt zu verstehen, dass sie noch immer brennt – vor allem live, für ein treues Publikum. Zwei Jahre wird sie mit dem neuen Album unterwegs sein, im Frühsommer auch in Europa.
"Fünf Shows pro Woche – ein Kinderspiel… Man arbeitet nur zwei Stunden am Abend. Möchten Sie lieber in einer Bank arbeiten von neun bis sechs? Ich bewundere Menschen, die sich für ein Familienleben an einem Ort entschieden haben, wie einige Leute aus meiner Band. Aber man muss auch mal fort. Es geht immer darum, eine Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden. Egal ob man hinter einem Tresen oder in einem Büro arbeitet. Menschen verrichten ihre Lebensarbeit. Viele denken, was wir machen, ist strapaziös – für mich ist es immer noch wie fortzulaufen mit einem Zirkus."
"Dig In Deep" - ein Albumtitel mit mehr als nur einer Bedeutung. "In die Tiefe gehen", das gilt musikalisch und inhaltlich. Es gilt für ältere Rocksongs von INXS oder Los Lobos, die hier neu belebt werden, für neue Kompositionen von Songwriter-Kollegen wie Joe Henry, aber auch für Songs aus eigener Feder.

Die Erfahrung der Trauer

Ein ganzes Leben hat sich abgelegt in der Stimme von Bonnie Raitt, mit jetzt 66 Jahren auch die Erfahrung von Trauer.
"Alle meine Fehler, meine Hoffnungen, meine Träume… Ein Segen dieses Alters ist es ja, dass man - mit etwas Glück - flexibler, ruhiger und geerdeter ist. Was einen früher gestört hat, vielleicht die Wahrnehmung durch andere, das bedeutet jetzt weniger. Als Konsequenz hat man mehr innere Ruhe, wenn man seinen Humor und etwas Abstand behält. Und glauben Sie mir, ich habe von der älteren Blues-Generation gelernt, auch von Leuten wie Kris Kristofferson. Und ich muss schon sagen: Das Geschenk dieses Alters ist es, dass man mit einer anderen Perspektive auf die Dinge blickt, auf die Tiefe des Bedauerns und der Trauer - ohne dass es einen völlig aus der Bahn wirft."
Bonnie Raitt verlor in den letzten Jahren ihre Familie. Sie begleitete Vater, Mutter und Bruder durch Krebs- und Alzheimer-Erkrankungen. Es war eine schwere Zeit. In der fortgeschrittenen Lebensmitte zu stehen, das heißt für Bonnie Raitt heute zum einen, das Leben zu feiern, sich gleichzeitig mit dem Thema "Verlust" auseinanderzusetzen.
Zentral dabei der letzte Song des Albums: "The Ones We Couldn’t Be". Bonnie Raitt solo am Piano. Ein einziger Take – mehr ging nicht.
"Couldn’t do it more than once… Ich wusste, ich würde einen Song schreiben über die Erkenntnis – und das gilt für meine verstorbene Familie genauso wie für meine romantischen Beziehungen: 'Es tut mir leid'. Es betrifft im Grunde jede Beziehung zu Menschen, auch zu Kollegen. Manchmal braucht man Jahre, um zu erkennen, wie herzzerreißend es ist, dass beide Seiten etwas versucht haben und sich dabei verfehlt haben… Wenn man jemanden verliert, dann gibt es viel später diese Erkenntnis. Über diese Wahrheit wollte ich schreiben."
Und so bringt Bonnie Raitt weiter Herz und Seele ins musikalische Geschehen. Das war schon immer so und hat sich nicht geändert. Bonnie Raitt rockt - und sie hat Soul.

Engagierte Linksliberale

Auch die politische Welt der Gegenwart findet man in ihrer Arbeit. Als Linksliberale, die sich drängenden aktuellen Themen widmet. Sie kämpft für eine Wahlkampfreform in den USA, gegen Atomkraft, Plastikverseuchung der Meere und Fracking, für eine gerechtere Bezahlung von Künstlern in der "Streaming"-Welt.
Besonders aufgebracht ist sie über die Übernahme der Politik durch das Geld.
"Ich bin sehr empört. Die Medien checken die Fakten nicht, es gibt keine Rechenschaft und Transparenz, woher das ganze Geld eigentlich kommt. Es ist eine Auktion, keine Wahl. Und es ging schon lange in diese Richtung, wir waren nur blind dafür. Es ist korrumpiert. So funktioniert jetzt das Geschäft mit der Politik in der globalisierten Welt… So war es noch nie. Ich freue mich über Bernie Sanders und wie er die Jugend mobilisiert, denn keiner ist besonders begeistert von Hillary. Aber ich hoffe, sie gewinnt."
Bonnie Raitt hat auch einen politischen Song geschrieben für ihr neues Album. "The Coming Round Is Going Through". Frei übersetzt: "Alles rächt sich irgendwann".
Am Ende eines langen Gesprächs mit Bonnie Raitt steht nicht Resignation, sondern das Positive. So hart wie die Welt auch ist, sagt sie, es gibt immer noch viele Erfolgsgeschichten. Die Jugend ist motiviert zum Widerstand so wie lange nicht. Man kann etwas erreichen.
"I really think that young people have never been more motivated to rise up. We have the means to make some solutions here. I’m just going to stay positive. And when I want to get pissed off, I’ll play 'Coming Round Is Going Through'…"
Album: Bonnie Raitt – Dig In Deep / Redwing /ADA / Warner
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