Bohème gegen kruden Alltag

04.08.2012
Die Geschichte um die beiden tragischen Lebenskünstler Arlecq und Paasch im Leipzig der 50er-Jahre durfte in der DDR nie erscheinen. Seit mehreren Jahren ist der Roman, der nichts an Frische verloren hat, vergriffen. Durch die Neuauflage wird er endlich kanonisiert.
Dieses Buch ist eine der großen Sensationen der DDR-Literatur - ohne bis November 1989 jemals in der DDR erschienen zu sein. Fritz Rudolf Fries veröffentlichte es im Alter von 31 Jahren 1966 auf Vermittlung Uwe Johnsons im Frankfurter Suhrkamp Verlag. Daraufhin verlor Fries seine Stelle an der Akademie der Wissenschaften der DDR und schlug sich als Übersetzer und Dolmetscher aus dem Spanischen durch.

"Der Weg nach Obliadooh" stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass Fritz Rudolf Fries in der DDR in doppelter Weise ein Exot war. Sein Roman ist zum einen eine Huldigung an den Jazz, der damals als westlich dekadent galt. Zum anderen tritt Fries in einen virtuosen Dialog mit den Schreibweisen der Moderne romanischer Provenienz, führt sie spielerisch fort und schlägt damit einen in der zeitgenössischen deutschen Literatur ganz und gar ungewöhnlichen Ton an.

Seine umfassende Bildung und breite Kenntnis der spanischen und lateinamerikanischen Tradition erklärt sich aus seiner Herkunft: Fries‘ zweite Muttersprache ist Spanisch. Er wurde 1935 in Bilbao geboren, kam im Alter von sechs Jahren nach Leipzig, wo er in einem Haushalt mit seiner spanischen Großmutter aufwuchs, die kein Wort Deutsch konnte. Der romanische Einfluss grundiert seinen sehr eigenen Stil: Die syntaktische Improvisationslust und sprachliche Leichtigkeit ist ebenso von lateinamerikanischen Phantasien getragen wie vom Rhythmus des Bebop.

Arlecq und Paasch, die beiden Hauptfiguren des Romans, stellen dem kruden Alltag im Leipzig der fünfziger Jahre ein Leben der Bohème gegenüber und frönen lustvoll dem Snobismus. Der Titel "Der Weg nach Obliadooh" variiert einen Song von Dizzy Gillespies mit der Zeile "I knew a wonderful princess in the land of Obliadooh", und das ist ihre Chiffre für eine andere Existenz. Arlecq arbeitet als Literaturübersetzer, poetisiert seine gesamte Umgebung mit seinem hispanischen Blick, der in die Liebe zu der atemberaubenden Exil-Spanierin Isabel gipfelt.

Natürlich kann das kein gutes Ende nehmen. Sein bester Freund Paasch ist gerade durchs Examen für Zahnmedizin gefallen, hat seine eher als amourösen Notbehelf gedachte Freundin geschwängert, lenkt sich mit Jazz und Alkohol ab und führt lange Gespräche mit einem Psychiatriepatienten, der sich "Gott" nennt. Schauplatz der Handlung sind neben Leipzig auch noch Dresden und West-Berlin. Eine Weile können sich die beiden die schnöden sozialistischen Zwänge, wie staatlich reglementierte Berufsausübung und Eheschließung, mit Gillespie und Charlie Parker noch vom Leibe halten.

Aber dann holt sie die Wirklichkeit doch ein. Damit karikiert Fries in einer assoziationsreichen, witzigen und überbordenden Sprache die offizielle kulturpolitische Parole von der "Ankunft im Alltag". Der seit mehreren Jahren vergriffene "Weg nach Obliadooh" ist ein unvergleichlicher Roman, der nichts an Frische verloren hat. Dass er jetzt durch eine Neuausgabe in der Anderen Bibliothek endlich kanonisiert wird, war längst überfällig.

Besprochen von Maike Albath

Fritz Rudolf Fries: Der Weg nach Obliadooh
Die andere Bibliothek, Berlin 2012
351 Seiten, 34,00 Euro
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