Böll auf der Bühne

16.04.2010
Das Großen Haus des Schauspiels Köln hat "Wozuwozuwozu" uraufgeführt. Das Zitat stammt aus Heinrich Bölls Roman "Billard um halb zehn". Regisseurin Anna Viebrock hat das Stück für die Bühne bearbeitet.
Wo die Bühnenbildnerin Anna Viebrock tätig wird, entsteht ein Bild der 50er-Jahre: unwirtlich, leicht verstaubt, von Licht und Luft abgeschnitten, dunkel und schwer sind die Räume, in denen sie – mit den Regisseuren Jossi Wieler und Christoph Marthaler etwa und zunehmend auch als Regisseurin und Ausstatterin in Personalunion - Opern und Schauspiele ganz verschiedener Epochen angesiedelt hat. Da muss Bölls Roman "Billard um halb zehn", dessen Ereignisse präzise datiert sind auf den 6. September 1958, ihr ein Fest gewesen sein.

Und in der Tat: der holzvertäfelte Saal, die üppig drapierten Gardinen, die Schreibtische mit den Bakelit-Telefonen, die zierlichen Sessel, deren Rückenlehnen in einem spitzen Winkel wieder nach vorn schwingen, und natürlich die Kostüme: das Jackenkleid in changierender Seide, der krause, wippende Rock und die Wespentaille, das winzige, blattförmige Hütchen schräg auf der Frisur - was Anna Viebrock auf die Bühne des Kölner des Schauspiels gestellt hat, ist ein Musterkatalog der Fünfzigerjahre.

In Bölls Roman "Billard um halb zehn" entsteht auch ein Innenbild dieser Zeit. Wiederaufbau der Fassaden und Verdrängung von Krieg und Nazizeit kennzeichnen sie. Böll montiert ein Mosaik aus Erinnerungen und Ereignissen, das die Geschichte der Architektenfamilie Fähmel erzählt: Der Senior hat ein epochemachendes Bauwerk errichtet, eine Abtei, die sein Sohn in den letzten Kriegstagen in Vollzug eines sinnlosen "Verbrannte-Erde-Befehls" gesprengt hat.

Sein Enkel soll beim Wiederaufbau mithelfen und entdeckt im Zuge dieser Arbeiten, dass es sein Vater war, der das Werk des Großvaters in Schutt und Asche gelegt hat. Und in den Erinnerungen der Familienmitglieder entsteht eine spannende, problembeladene Geschichte um Fragen von Mitläufertum und Widerstand, Abrechnung und Vergebung in einem Milieu, in dem die Angepassten aus der Nazizeit längst wieder zu Einfluss und bürgerlicher Reputation gekommen sind.

Die Spannungen dieses Innenbildes zu vermitteln, gelingt Anna Viebrock weit weniger gut als das Abbild der äußeren Erscheinung dieser Zeit. Sie folgt zunächst sehr eng und wörtlich dem Text von Böll, der allerdings exemplarisch undramatisch ist, weil er aus lauter inneren Monologen besteht und kaum szenische Aktion ermöglicht. Das ist ermüdend und zäh, hört sich papieren an, denn es gibt nun einmal einen fundamentalen Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache.

Im zweiten Teil des über dreistündigen Theaterabends greift Anna Vierbrock dann zu ganz anderen Mitteln, setzt Film und Musik und stumme, choreografische Aktion ein und verknappt die Handlung bis an die Grenze des Verständlichen.

Schauspielerische Highlights sind dünn gesät und die zentrale Frage beantworten beide Teile nicht. "Wozuwozuwozu" zeigt uns die Regisseurin und Bearbeiterin Anna Viebrock diese Geschichte, wo sieht sie die Aktualität, wo liegen Parallelen zu unserer eigenen gesellschaftlichen Situation?

Der Abend führt vor allem vor Augen, dass Bölls Montagetechnik für das Erscheinungsjahr 1959 sicherlich interessant und innovativ war - und "Billard um halb zehn" durchaus geeignet sein könnte, das heute nicht mehr eben strahlende literarische Image des Autors zu revidieren. Und dass die Adaption eines Romans fürs Theater erst dann gelingen kann, wenn die Bühne selbstbewusst ihre eigenen szenischen Möglichkeiten entschieden ins Spiel bringt und nicht an der epischen Vorlage kleben bleibt.